Sinn Féin in Number 10

Gerry Adams glaubt, daß "fast eine Revolution" nötig ist, um den stockenden Friedensprozeß wieder in Gang zu bringen. Sein Gegenspieler Ian Paisley hat's leichter: "Gott rettet Ulster"

Am 11. Dezember will der britische Premierminister Tony Blair eine Sinn-Féin-Delegation unter der Führung von Gerry Adams zu Hause in 10 Downing Street treffen. Zwei Wochen vor Weihnachten, in der Zeit von Liebe und Besinnlichkeit, versucht die britische Regierung unter Blair, die Friedensverhandlungen in Nordirland am Laufen zu halten.

Es ist Zeit, die Geschenke auszupacken. In ganz Belfast verzichtet die britische Armee jetzt tagsüber auf Patrouillengänge, und unter den 400 nordirischen Häftlingen, die über Weihnachten zehn Tage Urlaub erhalten, befinden sich auch Republikaner und Loyalisten.

Zum ersten Mal seit der Unterzeichnung des Anglo-Irischen Friedensvertrags im Jahr 1921, der die Teilung Irlands absegnete, soll in dieser Woche eine Sinn-Féin-Delegation die heiligen Dielen der Downing Street betreten. Eine Begegnung, die auch Risiken für Adams birgt. Die letzte Einladung ging an Michael Collins, den damaligen Befehlshaber der IRA, der den Anglo-Irischen Friedensvertrag unterzeichnete. Bei der darauffolgenden Pressekonferenz in Dublin meinte er: "Ich habe gerade mein Todesurteil unterschrieben." Er hatte recht. Zwei Jahre später, während des irischen Bürgerkriegs im Jahr 1923, wurde er von einem Heckenschützen in seinem Geburtsort Cork erschossen. Noch heute fragt man sich, wie es wohl möglich war, den Oberbefehlshaber der Freistaatsarmee Irlands so problemlos wegen seines "Verrats" hinzurichten.

Nun, 76 Jahre später, versuchen Gerry Adams und Martin McGuinness, mit Blair diesen Vertrag neu auszuhandeln. Nach dem Treffen mit Blair darf Adams seine Pressekonferenz vor der Tür von "Number 10" geben. Shakehands mit Blair sind ihm in der Öffentlichkeit jedoch untersagt, Gerry Adams fürchtet, daß die "Securocrats" (der aufgeblähte Sicherheitsapparat) das System in Nordirland immer noch kontrollieren. In einem Interview mit der Irish Times fragt er, wie die Reaktion wohlaussehen würde, wenn die IRA statt des jetzigen Waffenstillstands ebenfalls nur tagsüber auf ihre Patrouillen verzichten würde - wie die britische Armee. Er vermutet, daß die Akteure der britischen "Kriegsmaschine" Meinungsunterschiede über die Entmilitarisierung Nordirlands haben. Bisher, so sagt er, "waren die Minimalisten erfolgreich", d.h. diejenigen, die den Status Quo unbedingt bewahren wollen. Adams zitiert den ehemaligen Präsidenten Südafrikas, F.W. De Klerk, der bemerkte, ein Friedensprozeß müsse wie ein eintägiges Cricketspiel ablaufen, um erfolgreich zu sein. Ein normales Cricketspiel dauert fünf Tage. Adams weiter: "Wir brauchen mehr Dringlichkeit, größere Zuwendung, fast eine Revolution."

Adams Intimfeind, der protestantische Hardliner Reverend Dr. Ian Paisley, der Führer der zweitgrößten unionistischen Partei Nordirlands (The Democratic Unionist Party - DUP), ist von dem ganzen Friedensgerede immer noch nicht überzeugt: Seine Partei boykottierte von Anfang an die Verhandlungen. Ende November untermauerte Paisley mit einer Parteitagsrede seine Position: "Ich zitiere die Worte unseres Gründers, Lord Carson, um der britischen Regierung einiges klarzumachen: Sie werden uns vielleicht verraten, aber sie werden uns niemals gefesselt in die Hände unserer Feinde ausliefern. Wir werden unsere Rechte verteidigen und behalten. Auch der Allmächtige wird unsere Rechte verteidigen. Gott rettet Ulster!" Von diesem blieb eine offizielle Stellungnahme allerdings aus.

Unterdessen nutzte Paisley die unter vielen Unionisten herrschende Krisenstimmung aus. Er fuhr fort: "Es ist eine komische Zeit in Nordirland, eine Zeit in der die Ungläubigen gepriesen und die Gläubigen geächtet werden, eine Zeit, in der Dunkelheit 'Licht' und Licht 'Dunkelheit' genannt wird, eine Zeit in der die Hölle 'Himmel' und der Himmel 'Hölle' genannt wird. Wir müssen über unsere Freiheit nicht verhandeln, wir müssen unsere protestantischen Geburtsrechte nicht verkaufen." Die Parteimitglieder wurden durch seine Rede von ihren Stühlen gerissen.

Die Zeiten in der Irischen Republik haben sich ebenfalls geändert. Bertie Ahern und seine Fianna-F‡il-Partei (Soldaten des Schicksals) errangen in diesem Jahr die Regierungsmehrheit. Im Gegensatz zum konservativen Vorgänger Fine Gael (Gaelische Krieger) unter John Bruton hat Fianna F‡il einen zusätzlichen Namen: Republikanische Partei. Nach dem Waffenstillstand der IRA ist es im Süden wieder Mode geworden, konstitutioneller Nationalist zu sein und von einem vereinigten Irland zu reden. Die sogenannte "green card" hat wieder politisches Gewicht (grün als Symbol für ein vereinigtes Irland).

Anlässe für Unzufriedenheit mit der britischen Regierung, wie beispielsweise die seltsamen Ermittlungen um den "Bloody Sunday" am 30. Januar 1972 in Derry, als 14 Bürgerrechtsdemonstranten von der britischen Armee erschossen wurden, sollen aber zumindest entschärft werden. Alte Wunden, so stellt es sich Ahern vor, werden zunächst wieder aufgerissen, damit sie dann umso besser heilen. Geheime Beweisstücke zum "Bloody Sunday", die von der letzten irischen Regierung unter Bruton an London übergeben wurden, sollen laut Ahern im März 1998 - mit oder ohne Zustimmung der britischen Regierung - veröffentlicht werden. Diese Auseinandersetzung solle jetzt nicht mehr "hinter verschlossenen Türen" geführt werden, so Ahern. "Die britische und irische Öffentlichkeit soll selbst entscheiden, was dann gemacht werden muß." Aherns Ziel ist eine offizielle britische Entschuldigung. Zusammen mit John Hume, dem Chef der katholischen Social Democratic and Labour Party (SDLP), versucht er, bis zu hundert sympathisierende Labour-Abgeordnete zu mobilisieren, um Tony Blair unter Druck zu setzen.

Neue Pläne schmiedet Ahern auch: Nach skandinavischem Modell wird eine neue Beziehung zwischen Großbritannien und Irland angestrebt. Mit Hilfe eines "Inselrates" sollen die Irische Republik, Nordirland, Schottland und Wales enger kooperieren, um nicht nur die Nord-Süd-, sondern auch die Ost-West-Verbindungen zu stärken. Der Ausschluß Englands soll eine solche Kooperation einfacher machen. Irland würde in Edinburgh und Cardiff diplomatisch vertreten sein.

Ob seine ehrgeizige Pläne erfolgreich sein werden, bleibt allerdings äußerst fraglich. Vieles hängt vom Erfolg Gerry Adams' ab, der mit seiner Einladung nach Downing Street zum neuen konstitutionellen statt militanten Republikaner wird - und somit für Ahern ein unbequemer Partner. Sinn Féin ist schließlich dank des IRA-Waffenstillstands mittlerweile in Südirland als republikanische Alternative wählbar.