Sprung ins Ungewisse

Vox zeigt die Lebensgeschichte des HIV-positiven Olympiasiegers im Turmspringen, Greg Louganis

Greg Louganis gehört zu den wenigen Sportlern, die auch gänzlich Sportuninteressierte kennen. Greg Louganis war der Turmspringer, der bei der Olympiade 1988 in Seoul mit dem Hinterkopf gegen das Sprungbrett knallte, was in allen Nachrichten, Rückblicken und Zusammenfassungen gesendet wurde.

Greg Louganis war das wohl schon damals klar, deswegen riß er sich sehr zusammen als es geschah, schaffte es, trotz einer klaffenden Wunde am Hinterkopf, nicht loszuheulen. Denn Louganis wußte zu diesem Zeitpunkt, daß er HIV-positiv war, und damals war die Krankheit so unheilbar, daß man sich mit ihrer Diagnose schon Gedanken um den Nachruf machen mußte. Und in dem wollte der Olympiasieger ein Bild vermeiden: Sich selbst, heulend, zur Freude von Redneck-Amerika -"guck sie dir an, die Schwuchtel!"

So erzählte Louganis dem behandelnden Arzt nichts von seiner Krankheit, um sich kurz darauf deswegen heftige Vorwürfe zu machen - der Mediziner hatte ohne die damals noch nicht vorgeschriebenen Handschuhe gearbeitet - viel später dann ergab ein Test, daß sich der Doktor nicht angesteckt hatte.

Schon als kleiner Junge hatte Greg Louganis erfahren, wie Diskriminierung geht: Von seinen Schulkameraden wurde der Samoaner als "Nigger" beschimpft, etwas später kam "Blöder Nigger" dazu, denn Louganis schaffte es nicht, richtig lesen zu lernen, erst beim Eintritt ins College wurde bei ihm Legasthenie diagnostiziert.

Zuvor hatten Sprungtrainer bei dem kleinen Greg großes Talent entdeckt. Schon kurz nachdem er das systematische Training aufgenommen hatte, sollte er zu Junioren-Meisterschaften geschickt werden. Sein Adoptiv-Vater, ein harter und liebloser Mann, von dem Gregs Mutter später sagen sollte: "Er wurde schon als zorniger alter Mann geboren", ließ den Jungen erst mitfahren, als der Trainer die Frage: "Hat er da überhaupt ein Chance" klar bejahte. Trotz des Sports blieb Greg auch in seiner Adoptivfamilie isoliert, mit zwölf Jahren unternahm er einen Selbstmordversuch, der immerhin dazu führte, daß er in ein Sportinternat kam. Schließlich hatte er es geschafft: Er galt als einer der kommenden Medaillenkandidaten. Der Boykott der Olympischen Spiele in Moskau durch die USA und ihre westlichen Verbündeten machte Gregs Pläne erstmal zunichte, 1984 in Los Angeles reichte es nur zu einer Silbermedaille.

Dafür war Louganis Privatleben zum ersten Mal in Ordnung.Sein Lover, der Geschäftsmann Tom, übernahm das Management, und zunächst war Greg sehr glücklich, obwohl seine Eltern Tom ablehnten. Dann aber zeigte Tom mehr und mehr sein wahres Gesicht: Der eher naive Greg wurde von dem smarten Mann systematisch isoliert. Anrufe seiner Muter ("die weinerliche Ziege") wurden nicht durchgestellt, Tom bestimmte Gregs Terminkalender und der durfte nichts eigenständig planen, selbst kurze Besuche bei seinen Freunden mußte er vorher mit Tom abstimmen. Greg wurde von Tom geschlagen und mißhandelt, trotz dieses Drucks schaffte er es, sich sportlich immer weiter zu steigern. Als Tom ihm vor den Olympischen Spielen in Seoul mitteilte, daß er HIV-positiv sei, ergab ein Test bei Louganis, daß er sich ebenfalls angesteckt hatte. Sein Trainer bestärkte ihn, ebenso wie die Ärzte, darin, trotzdem weiterzumachen. Auch nach dem Unfall auf dem Dreimeter-Brett: Trotz seiner Kopfverletzung schaffte er wenige Stunden später eine von vier Goldmedaillen.

Danach zog Louganis sich vom aktiven Sport zurück. Und mußte feststellen, daß Tom beinahe sein ganzes Vermögen verschleudert hatte. Nachdem Toms Vollmachten widerrufen waren, drohte der: "Ich werde der Welt sagen, daß du mich mit Aids angesteckt hast und mich jetzt auf die Straße setzt. Ich mach dir die Hölle heiß!" Greg sorgte schließlich trotzdem für Toms finanzielle Absicherung ("Wir haben uns gegenseitig schließlich damals versprochen, daß keiner von uns allein sterben muß").

Greg Louganis Aids-Krankheit ist mittlerweile voll ausgebrochen, in der Öffentlichkeit zeigt er sich nicht mehr. Im Internet ist über ihn wenig zu finden, außer auf Listen mit seinen sportlichen Erfolgen kommt er nur noch in einer Aufzählung von Personen vor, "die wahrscheinlich die Jahrtausendwende nicht erleben".

Sprung ins Ungewisse, R.: Steven Hillard Stern, USA 1996, Vox, Dienstag, 16. Dezember, 20.15 Uhr