Eine Kette von Knallfröschen

Dringende Gründe zu trinken, aufgezeichnet

Höhepunkte, Highlights, Topevents - ein solches Jahr, ein solches "Glücksjahr '97" (für Jenny Elvers, heißt es am 10.12. in "Herzen '97", einer Sonderausgabe der Sat.1-Produktion "spot - das magazin"), ein derartiges Hammerjahr hat es schon lange nicht mehr gegeben. Die Menschheit darf stolz auf sich sein.

Was leistete sie präzise und en détail in den bald abgelaufenen zwölf Monaten?

Ihre südostasiatische Insel-Fraktion perfektionierte die Techniken der Waldbrandstiftung und stellte einmal mehr die Gültigkeit jener Marxschen Einsicht unter Beweis, wonach die Ärmsten der Elendsten dann, wenn es ihnen am schlimmsten geht, zur revolutionären Tat schreiten, die Vernunft in ihr Recht und alles daran setzen, dem über die Jahrhunderte doch ausnehmend unerträglich gewordenen Planetenzirkus ein möglichst baldiges Ende zu bereiten. Hut ab!

Ihren Hut nahm auf Betreiben des RTL-Programmchefs Thoma und erfreulich vorzeitig bereits am 18.12. Margarethe Schreinemakers, deren Steuerverwicklungen allerdings noch aus 1996 herrühren, als erstmals gewisse Unstimmigkeiten, Unvereinbarkeiten und heterogene Interessenlagen zwischen ihrer und ihres Gatten Produktionsfirma "Living Camera" sowie dem amtierenden Bundesfinanzminister und nebenberuflichen Fußballreporter in Diensten von Antenne Bayern Theodor Waigel offenbar wurden. Dergestalt endete "ein Stück deutsche TV-Geschichte" (BamS, 7.12.), auf daß dem Weltenrichter wenigstens erspart bleibt, dies bei Gelegenheit zu veranlassen: die gewissermaßen untragbare Jammertüte, deren Karriere am 21.1.1992 bei Sat.1 begann, auf Packeis zu legen. Sat.1ens noch immer in Lohn und Brot stehender, gleichfalls rettungsloser Angestellter Thomas Hermann (Abt. Fußballquatsch) möge zügig folgen, dito abtreten und der Mohrrübenzucht sich zuwenden. Sonst müßten wir einschreiten.

Was war weiterhin ansehnlich und bemerkenswert? Der ein oder andere turnusmäßige Flugzeugabsturz wäre in Rechnung zu stellen, Scharpings politische Finalhavarie (obendrein kündigen sich für 1998 vielversprechend zusätzlich profunde innerfamiliäre Scharping-Desaster an), das sehr ausgedehnte Schröder-Hillu-Gebömmel, ergänzt durch neuerliche und zum Teil überraschend extraordinäre feuilletonistische Verschmocktheiten (die sich selbst in der feinsinnigen Jungle World fanden, ich darf den Leser mit aller gebotenen Bedachtsamkeit und Fairneß zur Überprüfung des kürzlich hierselbst veranstalteten Film-Dossiers anhalten: "Linke gehen ins Kino", Rechte gehen zur Pommesbude, harhar); sowie zähe Politkämpfe allerorten, einen radikalen Neuanfang der bundesdeutschen Linken (wo, habe ich vergessen), einen Essay des Herrn Diederichsen, den er, bezeugen Mitwisser, bereits während der Niederschrift selbst nicht mehr verstand, einen ostdeutschen Radfahrerauftritt beim Bergfranzosen, einen mehrfach wiederholten Stromkollaps auf der großrussischen Weltraumstation Mir; der seinerseits schon heute als weniger spektakulär denn als symptomal einzustufen ist, symptomal für den Zustand einer Gattung, die "hoch hinaus" will und sich, auf dem Gipfel ihres faustischen Strebens angelangt, von beinahe irdisch anmutenden Komplikationen überwältigt sieht. Eindrücklicher ward nie Ridikülität unter Beweis gestellt: War die Kaffeemaschine schuld (am Energie- und Bordcomputerab- und ausfall)? Wie kommt das Loch ins Sonnensegel?

Auch das Jahr 1997 wartete obendrein wieder mal mit einem Herbst auf, der sich gewaschen hatte (und den Hitzesommer 1977 spielend ausstach). Heinrich Breloers Doku-Drama "Todesspiel" galt dem stern als "Fernsehereignis des Jahres", unsereinem als Auftakt zum größten Helmut-Schmidt-Bundeskanzler-a.D.-Medien-Relaunch aller Zeiten. Wäre nicht der angenehm behäbige Parlaments-TV-Kanal Phoenix gegründet worden, der professionelle Expertenrundenbeisitzer und Ex-RAFler Jünschke könnte noch unerkannt einkaufen gehen. 1997, geben wir's ruhig zu: das Jahr der Medien und der (gar nicht mehr für möglich gehaltenen) "Politisierung" (W. Benjamin) des Fernsehens. Chapeau! Chapeau!

Während Kino eher enttäuschte. Wenn wir "Alien - Die Wiedergeburt" sehen, wollen wir kein "europäisches Kino" sehen, wenn wir Clint Eastwood sehen wollen, dann nicht "In the Line of Fire". Wenn das schon alles sein mußte, hätte wenigstens - um den Bogen zum Fernsehen zurückzuzimmern - Richard Kähler davon Abstand nehmen sollen, ausgerechnet für Jörg Wontorras abendfüllende Unterhaltungsshow "Sommer, Sonne, Sat.1" die Drehbücher zu liefern. So geht Lohnarbeit.

4 322.000 Arbeitslose listete die offizielle Statistik des Nürnberger Bundesamtes für Arbeit im Dezember auf, Herr Jagoda erklärte, es sei "die Talsohle erreicht". Regierungssprecher Hausmann interpretierte nämliche "Talsohle" als "gutes Zeichen", denn "der Anstieg ist niedriger als im Vormonat" und witziger als R. Kählers Wontorra-Witze.

Überhaupt: Lassen Sie uns übers Fernsehen reden. Spitze laut BamS (7.12.) im superben "Fernsehjahr '97": a) der RTL-Nachrichten-Ankermann Kloeppel "mit der menschelnden Ausstrahlung"; L. Dis Heimgang begleitete das "Wesen (Ö) von wohltuender Zurückhaltung" mit 12 Litern Tränensud im Knopfloch; b) die "fröhlichen Sechs von der Tankstelle": "In den witzigen 40-Sekunden-Filmen mit sechs fröhlichen Menschen geht's um Grundbedürfnisse wie Tanken und Trinken, Flirten und Fluchen"; c) die abgemeierten Mayr-Bülow (vergaß als BR-Redakteur, ein hochbrisantes Waigel-Interview zu senden), Makatsch, Böttinger, Kiesbauer und Fliege, der Spezialdoktor Hackethal unter die Erde sang und wenig später doch den nach Gottes Zutun hinterhergestiefelten R. Bahro vergaß.

Eine Riesenüberraschung aber und allen Schmähungen zum Trotz: die fleischgewordene Success-Story und jetzt wohl sogar nach Hollywood beorderte "Peep!"-Diva Verona Feldbusch. Ihr nach "Blitzehe" (BamS) und einseitigem Schlagabtausch mit Modern-Talking-Masterhead Dieter Bohlen in Angriff genommener Aufstieg bricht sämtliche Rekorde oder wenigstens Erwartungen, es ist schon so. Bohlen selbst muß bis auf weiteres an der Seite seiner gestrengen Frau Mutter Interviews geben, in denen der Schutzengel des "120-Millionen-Platten-Manns" (vgl. BamS, 7.12.; eine unglaublich starke Ausgabe!) gesteht: "Das liegt vielleicht daran, daß er (Dieter) mit elf einen schweren Unfall beim Sport hatte. Fiel mit dem Kopf voran aus den Ringen", während Hermann Bohlen zum Ausklang der Berliner "Woche des Hörspiels" für sein Stück "Prozedur 7.7.0" die "Lautsprecher"-Trophäe erhielt.

Im übrigen "macht es", dekretiert

der Gesellschaftswissenschaftler und nach sechs 1:0-Erfolgen des 1. FCN abermals couragierter auftretende Popstar G. Koch aus Nürnberg-Langwasser, "keinen Sinn mehr, nach Skandalen zu suchen", die Gollwitz- und Wehrmachtsausstellungsdemonstrationsdeutschen seien "überall", pausenloser Arschgeigenalarm also garantiert. H.C. Artmann, der viel zu spät mit dem Büchnerpreis bedacht wurde, sah's schon früher: "ach, / es gibt / keine gerechtigkeit mehr / in dieser / schnöden / welt!" ("meine maorifrau", in: "Gedichte über die Liebe und über die Lasterhaftigkeit")

Sat.1-Text vom 10.12. andererseits zitiert hoffnungsfroh - wir blicken forsch über den Tellerrand der "Jetztzeit" (W. Benjamin) hinaus - US-amerikanische Zukunftsforscher, die für 1998 prognostizieren: ferngesteuerte Flugzeuge, Sex-Roboter, Mediabutler (verschalten PC, TV und Radio), eine Kreuzung aus Austern und Krabben und des weiteren Kekse, deren Düfte die Gewalt auf den Straßen dämpfen. Dürfen wir, diesen dem bedeutenden Jahr 1997 ziemlich angemessenen Jahresabschlußbericht bedeutsam abschließend, folglich abschließend sagen: Nie war die Vorgeschichte reifer als 1997!?

Ich meine wohl doch ja.

Appendix: Harald Juhnke im Spiegel der Presse

1) "Juhnke: Es geht wieder los. Talkshow geplatzt - Wodka-Orgie im Hotel" (Bild, 13.1.) Mit "Freund Udo Lindenberg an der Bar. Bis nachts um 2 Uhr tranken die beiden Wodka." Wodka allein aber sollte nicht genügen. Erst die glückliche Synthese, erst Wodka und Champagner im Paket brachte dem ewigen Bumsfallada vierzehn Textzeilen und mehr ein: "Am frühen Morgen wankt der große Entertainer in den dritten Stock in die" - wohin? - "in die 'Carl-Zuckmayer-Suite'. Er bestellt Champagner. Flaschenweise. Weiter Seite 8."

2) "Juhnke: 'Es tut mir leid.'" (Bild, 15.1.)

3) "Wieder Wodka! Wieder Randale! Wieder Prügel und Pöbeleien!" (Bild, 26.2.) Und die Juhnke-Journalisten Karin Schlautmann und Friedhelm Berger weiter: "Er (Ö) wälzte sich am Boden." Ihr schönster Satz aber, durch den die Juhnke-Berichterstattung gleichsam zu sich selbst kam: "Harald Juhnke (67) und der Alkohol."

4) Dr. med Michael Beuer im stern 11/97: "Es ist zum Heulen, wie vielen behandlungsbedürftigen Alkoholikern der 'liebe, unverbesserliche Harald' ein willkommenes Alibi verschafft, um eine vielleicht erfolgversprechende Therapie erst gar nicht zu beginnen."

5) Regine Hildebrandt wiederum schrieb in ihre Sprücheklopferbuchsimulation "Herz mit Schnauze - Sprüche und Einsprüche" (Düsseldorf 1997) unter dem Stichwort "Harald Juhnke" hinein: "Ein begnadeter Schauspieler und ein netter Mensch. Leider zeigt sich bei ihm auch, wie chronischer Alkoholismus Menschen kaputtmacht - es ist ein Jammer!"

6) Nach Bilds In/Out-Liste vom 10.4. schwerstens out: die "Höllen-Mixtur Wodka und Bier". Und Champagner?

7) "Juhnke - Bin ich denn der einzige, der in Deutschland nicht mehr trinken darf?" (Bild, 11.6.)

8) "Juhnke schloß sich in sein Zwei-Zimmer-Appartement im Hotel Schloß Seefels ein: mit Wodka." (Bild, 12.6.)

9) "Juhnke! Was für ein Elend" ("Tag 5 des Alkohol-Absturzes. Es wird gefährlich.") (Bild, 14.6.)

10) "Velden - Er ist wieder fit! Harald Juhnke (68) - er hat das Alkoholtief hinter sich. Fast unglaublich: Morgen will Harald schon wieder drehen."

Hier bricht die Überlieferung ab.