Denken ist ein verrücktes Luxushotel

Der Bild-Peter Sloterdijk gibt Antworten auf die Fragen unserer Zeit

Hätten Sie's gewußt? Hätten Sie gewußt, was "das größte Problem unserer Zeit" ist? Nicht? "Erfolg und kluger Umgang mit ihm" ist "die wichtigste Frage unserer Zeit", erklärte sechs Millionen Lesern der Bild-Zeitung am 24. Dezember, am Tage, da das Denken wie an keinem anderen Tag des Jahres in Frage gestellt wird, der Karlsruher Philosophieprofessor Peter Sloterdijk, ein Mann, der die "Kritik der zynischen Vernunft" verfaßte und über Rolltreppen, Wirtschaftstaoismus, Nudelsuppen und die Fragen der Zeit räsoniert.

Peter Sloterdijk - man muß sich diesen Namen wie Schweineschmalz auf der Zunge zergehen lassen! Legendär und Legion sind seine wortreichen TV-Auftritte, gerne und "zunächst und zumeist" (Sloterdijk) in Gertrud Höhlers unvergleichlich rumpeldummer Talkrunde "Baden-Badener Disput" auf Südwest 3. Peter Sloterdijk: ein Mann wie ein Philosoph - resp. "ein Mann wie aus einem Breughel-Gemälde: massige Gestalt, rosige Wangen, helle blaue Augen, halblanges blondes Haar" (Bild).

Was denkt Sloterdijk unter seinem nachlässig frisierten Philosophenhaar den lieben langen Tag und speziell für Bild am 24. Dezember des nicht gerade erfreulichen und zum Glück auch schon wieder vergangenen Jahres 1997 zusammen - im speziellen als Philosoph?

"Den Philosophen treibt eine Leidenschaft", erzählt der gemütvoll gemütliche Großdenker, "er spürt" - keineswegs im Herzen, vielmehr im geräumigen Kopfe - "etwas, was stärker ist als er selbst", "Leidenschaft" nämlich die, jeder angelsächsische Body-Mind-Philosophy und den alten Bewußtseinsphilosophen von Fichte bis Hegel stracks zuwiderlaufend, nicht zum "Selbst" gehört, sondern neben dem "Ich" quasi herumliegt. Hebt dann jemand die Leidenschaft auf und läßt sie von einer Leiter oder einem Schemel herab in den Philosophen hineinplumpsen, reift im Kopf des Philosophen eine Philosophie heran: "Wenn beides in denselben Kopf fällt, entsteht ein Philosoph."

Jetzt ist der Philosoph fertig. Nun denkt er. Er denkt über die Gegenwart nach: "Das größte Problem von heute ist das abstrakte Erfolgsstreben", denn ein konkretes Erfolgsstreben kennt unser virtuell-medial mehrfach in sich selbst verwirbeltes Zeitalter nicht mehr. Ein "Erfolgsstreben, das als Geldgier erscheint", treibt also Börsen- und Immobilienmakler an, und "die Hauptfrage ist: Wie bringt man Geld mit Intelligenz in eine positive Beziehung?"

Ja, das fragen wir und wissen's dennoch nicht, genausowenig wie Geldprofessor Sloterdijk. Hat sich die Geld-Intelligenz-Beziehung nicht längst sozusagen überlebt? Sollten sich Kohle und Urteilskraft nicht lieber trennen? Oder kostete die Scheidung zuviel?

"Wie haben von allem zuviel", haben also neben zuviel Geld (womit die Auflösung der Liaison zwischen Verstand und Mammon eigentlich doch wieder hinhauen müßte) gleichfalls "zu viele Fragen", von denen die wichtigste die Geldfrage ist, die mit Intelligenz gelöst und vermählt sein will, obschon beide schlecht zueinander passen; wir haben zusätzlich "zu viele Eindrücke, zuviel Weltoffenheit. Dieses Zuviel muß betreut werden, damit wir nicht verrückt werden", und dafür gibt's die Philosophie, und für die gibt's, zumindest, wenn wir Philosophieprofessor in Karlsruhe sind, praktisch Geld, wenngleich das Geld im Grunde auf die Philosophie nicht besonders gut zu sprechen ist.

Kommunikation ihrerseits bleibt oberstes Gebot unserer Zeit, wie der Frankfurter Professor Habermas zwar nicht der Bild, dafür jedoch vierzehntausend Seiten Papier anvertraut hat, wofür Sloterdijk nur fünf kleine Zeitungsspalten benötigt, der Mann ist, trotz Breughel-Statur, anspruchslos, fast genügsam und freut sich, den Menschen, diesem Massenpublikum, bei der Gelegenheit seine Philosophie näherbringen zu können. Unter diesen Millionen von orientierungslosen Menschen: Kinder, Kinder - die Leihscheine auf unsere Zukunft inmitten einer Zeit, in der "wir Opfer eines Informationskrieges sind", für den die Kleinsten ja gar nichts können, deren hilflose Teilnehmer sie sogar darstellen (Brutalo-TV!). "Man darf das Kind nicht entmutigen, und man darf es auf keinen Fall in verarmende Kommunikation hineinziehen", mahnt Sloterdijk, aus verarmenden Kommunikationen fände der an Entwicklungsmöglichkeiten reiche Filius u.U. nicht mehr heraus, und alles, die nächste Generation inbegriffen, wäre verloren.

Es ist insgesamt ein Problem mit der Gegenwart. Sloterdijk, "der berühmteste Denker unseres Landes" (Bild), denkt deswegen endlich mal laut und vernehmlich nach: über seinen immensen Erfolg zum Beispiel. "Erfolg wird zur Zeit immer mehr in Geld ausgedrückt und nimmt dabei eine Form an, die der Mensch nicht mehr seelisch erleben kann" und darob das Denken verlernt, die vornehmste Eigenschaft des Menschen und des Philosophieprofessors erst recht. So kommt es, daß "einer der bedeutendsten deutschen Philosophen" (Bild) die Philosophie, sein eigenes minder intelligentes und einträgliches Geschäft, mit einem Luxushotel vergleicht, in dem er wahrscheinlich gerade logierte, als er über den Zusammenhang von Geld und Intelligenz sinister sinnierte. Auf die blitzgescheite Bild-Frage "Wozu brauchen wir Philosophie?" antwortete der Schnellkombinierer Sloterdijk folgerichtig wie aus dem Künstlichen Intelligenz-Computer gedroschen: "Wozu brauchen wir Luxushotels? Brauchen tun wir sie nicht. Aber Menschen sind auf Luxus hin ausgerichtet." Vor allem mit Geist und Körper verschwenderisch ausgestattete Breughel-Menschen - auch wenn sie ein paar Epochen überaltert und ein wenig zynisch erscheinen.

Das wenigstens müssen sich die verantwortlichen Bild-Redakteure gedacht haben, als sie zur Weihnachtszeit, den Tagen des Konsums der fetten Makronen, Nußecken, Gänse und blutleeren Köpfe, dachten, es sollte auch mal nachgedacht werden.