Buenos Aires Confidential

Argentiniens mächtigste Polizeibehörde ist in Mordanschläge, Drogenhandel und Prostitution verstrickt. Jetzt werden mal wieder die Tapeten gewechselt

Am Morgen des 25. Januar 1997, wurde der Leichnam des Fotografen José Luis Cabezas nahe des in der Provinz Buenos Aires gelegenen Badeortes Pinamar gefunden. Cabezas war mit Handschellen gefesselt, erschossen und schließlich in seinem Auto mit Benzin übergossen und angezündet worden. Der Mord erregte heftiges Aufsehen: Cabezas hatte für ein Nachrichtenmagazin zu den mafiösen Verbindungen der Provinzpolizei und des in Pinamar ansässigen Unternehmers Alfredo Yabr‡n recherchiert. Der hatte sein Vermögen mit der Privatisierung der Staatsdienste durch die Regierungen Alfons'n und Menem gemacht und wird von der Opposition mit dem sogenannten organisierten Verbrechen in Verbindung gebracht. Cabezas' Leiche wurde in der Nähe des Feriendomizils von Provinzgouverneur Eduardo Duhalde aufgefunden, am Rande eines Feldweges, auf dem der Präsidentschaftsanwärter der Peronisten allmorgendlich zum Fischfang marschierte.

Die Ermittlungen gerieten damit zum Politikum, das zugleich die dramatische Zuspitzung der Krise im argentinischen Sicherheitsapparat illustrieren sollte. Zunächst war die Tat routinemäßig einer lokalen Diebesbande angehängt worden, der man die Mordwaffe auf dunklen Kanälen untergeschoben hatte. Kurze Zeit später jedoch präsentierte Provinzgouverneur Duhalde, um der öffentlichen Empörung zu begegnen, persönlich Indizien, die zur Verhaftung nahezu der gesamten Polizeibrigade von Pinamar führten. Offenbar hatte diese - soviel scheint mittlerweile bewiesen - die "Hinrichtung" von Cabezas in einem regelrechten Kommando-Unternehmen zusammen mit einigen ortsbekannten Delinquenten erledigt.

Unklar sind freilich weiterhin Hintergründe und Auftraggeber: Duhaldes Ermittler versuchen bislang vergeblich, Yabr‡n, den millionenschweren Unternehmer und engen Vertrauten der Regierung Menem, als intellektuellen Kopf des Verbrechens dingfest zu machen. Dessen Anwälte hingegen deuten auf die Spitze der Provinzpolizei Duhaldes und werden darin unverhohlen von der Bundesregierung unterstützt. Hintergrund der gegenseitigen Beschuldigungen zwischen den Parteigenossen Menem und Duhalde ist der heftige interne Positionskampf hinter den Kulissen der Peronisten, deren Präsident nur bei einer Verfassungsänderung noch einmal wiedergewählt werden könnte - die aber stößt auf den Unwillen des mächtigen Gouverneurs.

Doch als wäre die zuweilen gewaltsame Neuaufteilung der Pakte der peronistischen Hierarchie mit offen oder verdeckt operierenden Wirtschaftsmagnaten noch nicht verwickelt genug, ist der Fall Cabezas zudem vor dem Hintergrund eines dramatischen Machtkampfes in der Polizei der Provinz Buenos Aires zu beurteilen, der mit 47 000 Mann personalstärksten Behörde des Landes. Diese war ins Zwielicht geraten, seit im September 1996 die Verwicklung etlicher Beamter in die Beschaffung des Fahrzeuges bekannt wurde, von dem aus im Juli 1994 das Gebäude der Jüdischen Sozialversicherung (AMIA) in Buenos Aires in die Luft gesprengt worden war. 86 Menschen starben bei dem Attentat.

Ausgerechnet der Leiter des Dezernats für Autodiebstahl, der Kommissar Juan José Ribelli, der als rechte Hand des Polizeichefs Pedro Klodczyk galt, hatte kurz zuvor das Bombenfahrzeug von einem Autohehler in Empfang genommen und daraufhin 2,5 Millionen Dollar als "vorgezogenes Erbe" angemeldet. Klodczyk selbst wird verdächtigt, eine Fabrik für Fahrzeugteile als Fassade

für illegale Geldwäsche benutzt und auf diesem Wege kurz vor dem Anschlag 700 000 Dollar unbekannter Herkunft in die Polizeispitze geschleust zu haben. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Argentiniens hat mittlerweile die Vorladung Klodzcyks als Zeuge unter Tatverdacht im AMIA-Prozeß beantragt.

Gouverneur Duhalde, nach den Enthüllungen unter Zugzwang geraten, ersetzte im Oktober 1996 den noch kurz zuvor als "besten Polizeichef aller Zeiten" gefeierten Klodzcyk an der Spitze der "Bonaerense" und ernannte den Verfassungsrichter Eduardo De L‡zzari zum neuen Sicherheitsbeauftragten. Der, ein ausgewiesener Gegner Klodczyks, begann die Spitze der Behörde systematisch von dessen Vertrauten zu säubern, als Cabezas in Pinamar ermordet wurde, in einer Region, deren Brigade besonders tief in das Drogengeschäft verwickelt ist.

Bereits zwei Wochen nach dem Attentat spekulierte De L‡zzari dann auch öffentlich über mögliche Verbindungen der Mörder zur Polizeihierarchie, ehe er im April 1997 durch den peronistischen Apparatschik Carlos Brown abgelöst und die "Polizei-Hypothese" zugunsten der "Yabr‡n-Hypothese" aufgegeben wurde.

Doch nachdem bei den Parlamentswahlen im vergangenen Oktober überraschend die Opposition in der traditionellen Peronistenhochburg Buenos Aires triumphierte, scheint Duhalde die Brisanz des Themas für seine präsidialen Ambitionen erkannt zu haben. Ende Dezember segnete der Gouverneur einen Reformplan des ehemaligen Justizministers Arslani‡n ab, der zur Ersetzung der gesamten Polizeispitze durch zivile Funktionäre und zur Suspendierung von rund 300 Offizieren unter Korruptionsverdacht führte. Weiterhin sieht der Plan die Schaffung eines Sicherheitsministeriums vor, dessen Führung sich dem Parlament zu verantworten hat. Die Leitung der Behörde übernahm für 90 Tage der bisherige Vorsitzende des Cabezas-Ausschusses im Parlament, Luis Lugones - als erster ziviler Polizeichef seit 30 Jahren.

Kern des Arslani‡n-Projekts ist die Ersetzung der mächtigen Regionalbrigaden durch Departements, denen nach US-Vorbild gewählte Funktionäre vorstehen sollen, sowie die Verbesserung der desolaten Finanzlage der Institution: Laut Projektstudie hatten die Kommissariate zuletzt lediglich die Hälfte der benötigten Gelder erhalten, und selbst diese nur in unregelmäßigen Abständen.

Die prekäre Situation der "legalen Finanzen" ist freilich nur ein Faktor im Dickicht der Verstrickungen von Wirtschaft, Politik und organisiertem Verbrechen, in dessen Zentrum die Behörde steht, deren interne Struktur, so Lugones, "auf einer quasi institutionellen Korruption" beruht.

Die Spezialitäten dieses Netzwerks sind Waffenhandel und Drogengeschäft. Gehandelt wird mit Maschinenpistolen undgewehren, Handgranaten oder "leisen" Neun-Millimeter-Pistolen, für 1 000 Dollar aus Paraguay eingeschmuggelt. Eine "laute" Pistole aus Diebesgut, mit registrierter Waffennummer, ist schon für 300 Dollar zu haben.

Wichtiger noch ist das Kokaingeschäft: Jeder "Kiosco" (klandestiner Verkaufsposten) muß für 150 Gramm "Merca", die auf das Doppelte gestreckt in den Handel kommt, je 500 Dollar an die lokale Brigade und das Drogendezernat und je 200 an den Kommissar und die vorgesetzte regionale Einheit entrichten. Vom Dienst suspendierte Ex-Polizisten kassieren oft weiter, bis die "Narcos" von ihrer Absetzung erfahren. Andere schließen sich zu Banden zusammen, die den Stoff in ihre Gewalt bringen und - nochmals gestreckt - an die Dealer zurückverkaufen. Gemischte Banden aus aktiven und suspendierten Polizisten verüben Banküberfälle und Entführungen - oftmals weiterhin unter dem Befehl krimineller Ex-Offiziere, da die persönlichen Loyalitäten in der parallelen Hierarchie mehr zählen als tatsächliche Rangfolgen. Das Geschäft mit gestohlenen Autos und die klandestinen Werkstätten, in denen diese mit legalen Ersatzteilen versetzt werden, stehen schon lange unter Kontrolle der Polizei.

Neue Erwerbszweige tun die "Sicherheitssyndikate" auf, die sich der Schutzgelderpressung und dem Handel mit Uniformen, Handschellen und Abzeichen der Behörde mit Banden ehemaliger Polizisten widmen, die - als Aktive getarnt - in Geschäfte eindringen oder Autofahrer in Scheinkontrollen locken. Illegales Glücksspiel, die Ausbeutung von Prostituierten, das Ausstellen falscher Protokolle oder das geheime Verhören und Bedrohen von Personen im Auftrag von Anwälten und Konzernen sind weitere Dienste im Angebot der Behörde.

Die legalen Aktivitäten der "Bonaerense" stehen den illegalen in nichts nach: Über 300 Menschen sind in Argentinien seit der Rückkehr zur Demokratie 1983 von den Sicherheitskräften entführt und ermordet worden, zu einem Großteil durch Polizisten der Provinz Buenos Aires. Selten kommt es zu Prozessen wie dem gegen drei ehemalige Sergeanten in Mar del Plata, die im März 1996 den Jugendlichen Cristian Campos in ein Waldstück verschleppt hatten, wo sie ihn schlugen, erschossen und seine Leiche verbrannten. Es sei "ganz normal", sagte einer der Angeklagten im Prozeß aus, "einen Verdächtigen im Busch zum Singen zu bringen oder abzugreifen und wieder laufenzulassen, ohne daß er auf dem Revier erscheint".

Die Reaktionen der alten Polizeihierarchie auf die Reform ließen nicht lange auf sich warten. Nach ersten Protesten über die Einsetzung ziviler Funktionäre wurden in der Weihnachts- und der Silvesternacht Gräber auf jüdischen Friedhöfen in der Umgebung der Hauptstadt geschändet. Zu solchen Anschlägen war es schon nach der Absetzung Klodzcyks als Polizeichef gekommen, vermutlich als Demonstration der Stärke der alten Polizeihierarchen sowie der Bereitschaft zu gewaltsamem Widerstand, sollte man ihre Pfründe antasten. Zwei im Dezember vom Dienst suspendierte Ex-Kommissare stehen unter dringendem Verdacht, die Anschläge "koordiniert" zu haben.

Doch der Erfolg der Reform ist nicht allein wegen der internen Widerstände ungewiß. Denn auch die Bereitschaft der Provinzregierung ist zweifelhaft, die vertikalen und klientelistischen Strukturen der Behörde und deren Orientierung an persönlichen Loyalitäten dauerhaft abzustellen, auf denen die parallelen Hierarchien zwischen Beamten im Dienst und Ex-Polizisten basieren: Sind es doch genau diese Strukturen, auf denen auch die interne Organisation der peronistischen Bewegung und somit die Machtverteilung in der Provinz Buenos Aires beruht.

Mit den breiten Vorstadtgürteln um den Bundesdistrikt, wo nur noch vier von zehn Haushalten über das statistische Mindesteinkommen verfügen und bereits fünf Prozent der Bevölkerung unterhalb der Hungergrenze lebt, gilt Buenos Aires als soziales Pulverfaß Argentiniens. Das prekäre System sozialer Sicherheit und Kontrolle auf der einen und politischer Stabilität auf der anderen Seite, mit dem die Administration Duhalde, abgesichert durch einen umfangreichen Hilfsfonds der Bundesregierung, dieses Pulverfaß in Bann hält, stützt sich auf ein System nicht-offizieller Pakte zwischen Regierungsapparat, Wirtschaft, peronistischen Lokalmogulen, marginalen Sektoren und Sicherheitskräften: Letztere auf Transparenz zu verpflichten bedeutete somit auch, die eigene Machtmaschinerie zu gefährden.

Duhaldes Dilemma besteht darin, daß das Antasten der organischen Korruption in seiner Provinz unweigerlich auch die Verstrickung seiner eigenen Administration ans Tageslicht brächte. Doch sollte es ihm nicht gelingen, seine Rolle als erbitterter Kämpfer gegen die Mafia einigermaßen glaubwürdig darzustellen, dürfte der Gouverneur bei den Präsidentschaftswahlen nahezu mit Sicherheit durchfallen.

Indes macht Duhaldes Dilemma nur das eines peripheren Kapitalismus offenbar, der parallel zur Abkehr von den etatistischen Modernisierungsprojekten der siebziger Jahre die einstmals vom Staat ausgehende Repression nicht etwa abgeschafft, sondern privatisiert hat. Nicht allein sind seit den Generalamnestien der Regierungen Alfons'n und Menem die Ex-Folterer und Repressoren aus Armee und Polizei wieder auf freiem Fuß und oftmals in obskuren "Sicherheitsunternehmen" tätig; sie stehen auch mit ihren früheren Kumpanen bei den staatlichen Diensten weiterhin in florierendem Geschäftsverkehr. Doch während ein Großteil dieses auf dunklen Kanälen eingeführten Kapitals Anteil an der Investitions- und Spekulations-Bonanza der ersten Menem-Amtsperiode hatte - nicht zuletzt, weil die Privatisierungswelle attraktive Möglichkeiten zur Legalisierung verdächtiger Gelder bot -, beginnen nun bei knapper werdenden Ressourcen am unteren Rand des Korruptionsnetzes die Verteilungskämpfe.