»Der höchste Stolz des Weibes«

Ihr Wahlrecht mußten Frauen sich erkämpfen. Vor 79 Jahren durften sie in Deutschland das erste Mal an die Urnen

"Wählen oder nicht wählen?" Diese Frage, mit der sich linke Frauen heute auseinandersetzen - unseren Großmüttern und Urgroßmüttern stellte sie sich nicht. Gerade 79 Jahre ist es her, daß Frauen zum ersten Mal - über die Kommunalebene hinaus - an die Urne treten durften: Als am 19. Januar 1919 nach dem Ende des Kaiserreichs die Nationalversammlung gewählt wurde, welche über die Weimarer Verfassung zu entscheiden hatte, galt das alte Verfahren - "erweitert um das Frauenwahlrecht", wie es in einem zwölfbändigen Geschichtslexikon lakonisch heißt. Auch das Studium weiterer Folianten ergibt nicht viel: "Seit 12. Nov. 1918 Frauenwahlrecht. Ausdruck der veränderten Stellung der Frau in der Gesellschaft." Damit wird das Frauenwahlrecht Ende dieses Jahres 80. Eine Jungfrauengeburt? Einen Kampf ums Frauenwahlrecht scheint es für die Geschichtsschreibung nie gegeben zu haben.

So gründlich vergessen, wie die Stimmrechtlerinnen heute sind, so gründlich unbeliebt waren sie damals. Die Stimmrechtsbewegung war nahezu identisch mit dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung. Während die Suffragetten es ablehnten, um die Zustimmung der Männer zu buhlen, versuchte der gemäßigte Flügel lediglich, die Männer zu überzeugen, daß Frauen es wert seien, weitere Rechte zu erhalten. Sozialdemokratische Arbeiterinnenvereine hielten ebenfalls Distanz. Für sie war eine Lösung der Frauenfrage nicht durch rechtliche Gleichstellung möglich, sondern nur in einer sozialistischen Gesellschaft. Die Stimmrechtsforderung - seit 1891 im Programm der SPD verankert - stand daher nie im Mittelpunkt ihrer Forderungen.

Der Kampf um das Frauenwahlrecht wurde durch die geltende Gesetzeslage noch zusätzlich erschwert: In Preußen durften Frauen bis 1908 nicht Mitglied politischer Vereinigungen werden. Versammlungen, in denen Frauen anwesend waren oder sprechen wollten, wurden von der Polizei aufgelöst. So mußte 1902 der "Deutsche Verein für Frauenstimmrecht" im liberaleren Hamburg gegründet werden. Die Mit-Initiatorin Minna Cauer notiert am selben Abend des Jahres 1902 in ihr Tagebuch: "Natürlich werden alle Gemäßigten wieder schreien, daß wir der Sache schaden. Die Sozialdemokratie wird die Gründung aus taktischen Gründen nicht gutheißen, denn nur der Anschluß an ihre Partei kann ihrer Meinung nach helfen. Und so sind wir wieder die Verfemten. So war es immer."

Tatsächlich orientierte sich der Verein zunächst an den liberalen Parteien, bis die Frauen erkannten, daß sie von diesen nur als Wahlkampfhelferinnen gebraucht wurden; Unterstützung für ihre Forderungen fanden sie dagegen kaum. Sie beschlossen dieTrennung von den liberalen Parteien, doch das schlechte Verhältnis zur Sozialdemokratie blieb. Aus Angst vor einer Identifikation mit SozialistInnen lehnte die Stimmrechtsbewegung Aktionsformen auf der Straße wie Paraden oder Märsche ab, die als bevorzugte Kampfformen der Linken galten. Zu militanten Aktionen wie bei den Suffragetten in England - die immer wieder Kampfdemonstrationen mit häufig handgreiflichen Auseinandersetzungen veranstalteten - kam es nicht: Zum einen fürchteten die Frauenrechtlerinnen die negative Berichterstattung, verzichteten damit aber auf die Möglichkeit, ihre Forderungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Zum anderen war ihre Begründung schlicht, solche Verhaltensweisen entsprächen nicht dem Wesen der Frau.

Die schwersten Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung entzündeten sich an der Frage, welches Wahlrecht gefordert werden sollte. Die Gründerinnen des "Vereins für Frauenstimmrecht" fordern das allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht - eine weitgehende Forderung zu einer Zeit, in der in keinem Landesteil des Deutschen Kaiserreichs ein solches Wahlrecht herrschte. Ausgehend von Preußen, wo das Dreiklassenwahlrecht herrschte, bildete sich eine Gegenbewegung, die ein Wahlrecht forderte, wie "Männer es haben oder in Zukunft haben werden". Das Beharren der Gründerinnen des Vereins auf der Forderung nach demokratischem Wahlrecht für beide Geschlechter veranlaßte zunehmend mehr Mitglieder und ganze Ortsgruppen, aus dem Verband auszutreten. Als auf einer Beiratskonferenz 1912 ein Kompromißversuch scheiterte, konnte die Spaltung der Bewegung nicht mehr verhindert werden; es gründete sich die "Deutsche Vereinigung für Frauenstimmrecht". Dazu kam 1913 der "Deutsche Stimmrechtsbund" mit der Forderung nach demokratischem Wahlrecht für Frauen - der Bund verzichtete darauf, Politik für Männer zu machen.

Doch trotz dieser inneren Auseinandersetzungen wuchs die Bewegung, so daß sich einige ihrer Gegner 1912 veranlaßt sahen, eine Gegenorganisation zu gründen, den "Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation". Das prominenteste Mitglied war Professor Ludwig Langemann aus Kiel. Er vertrat die Ansicht, die Einführung des Frauenstimmrechts würde die "Verwässerung des männlich starken Staates" bedeuten, sie würde schließlich zu seinem Niedergang führen. Langemann versuchte, seine Thesen logisch zu begründen, indem er schrieb: "Der höchste Stolz des Weibes ist immer der, einem Helden anzugehören oder einen Helden geboren zu haben. Darum kann es auch nur männlich vollberechtigte und verpflichtete Staatsbürger geben." Die Teilhabe von Frauen am Parteileben beschwöre die Gefahr einer "Erschöpfung der notwendigen Reserven des Volksorganismus", argumentierten die Gegner weiter. Dieser "übermäßige Kräfteverbrauch" bewirke eine "Verhäßlichung und Verlangweiligung" des "schönen Geschlechts" und habe damit auch Auswirkungen auf die "Männerwelt".

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges erlag auch die Stimmrechtsbewegung dem Nationaltaumel. Die bisher sehr starke Solidarität mit Frauen anderer Länder und deren Stimmrechtsbewegungen wurde abrupt aufgekündigt, das Interesse galt nun der "Sorge für das Vaterland". Adele Schreiber schwärmte in der Monatsschrift Die Staatsbürgerin: "So ist es denn auch ein Beispiel für viele, daß der Kongreßfonds zu Wolle für Soldatenstrümpfe umgewandelt wurde. Viele Tausend Krieger werden grauwollene Socken tragen, die sie vor Erkältung bewahren, ihren müden Füßen die Märsche erleichtern, aus Frauenstimmrechtsgeldern beschafft."

Lida Gustava Heymann war eine der wenigen Frauen, die sich nicht für den Krieg begeisterte, sondern gegen ihn auftrat. Rückblickend kommentierte sie: "Alle deutschen Frauenvereine, die sozialdemokratischen inbegriffen, waren dem nationalen Kriegstaumel verfallen, sie gingen völlig in Kriegshilfearbeit auf. Auf sie war bei politischer Tätigkeit nicht zu rechnen. Nur in einigen Ortsgruppen des deutschen Frauenstimmrechtsbundes konnten Mitgliederversammlungen abgehalten werden, um politische und pazifistische Themen eingehend zu erörtern."

So vernachlässigte der Stimmrechts-Bund als einzige Organisation den Kampf um das Wahlrecht nicht völlig. Er sandte wiederholt Petitionen mit der Forderung nach demokratischem Wahlrecht an die Reichstagskommission. Im Januar 1916 wurde eine solche Eingabe erstmals dem Reichskanzler überwiesen und nicht wie sonst üblich gleich abgelehnt. Ab 1917 zeichnete sich ab, daß man(n) nach dem Ende des Krieges nicht umhin kommen würde, den Frauen das Wahlrecht zu verleihen. Die politische Konstellation hatte sich zugunsten der Frauen verschoben: Frauen hatten in der Kriegsmaschinerie zu "wertvolle" Arbeit geleistet, als daß man sie weiterhin würde übergehen können. Mit ihren Leistungen in der Rüstungsindustrie hatten sie die Weiterführung des Krieges erst ermöglicht. Und auch innerhalb der Bewegung wurde argumentiert, die Frauen hätten "ihre Zugehörigkeit zum Volk in leidvoller, schwerer Zeit durch die Tat" bewiesen und darum das Stimmrecht "verdient". Andere europäische Staaten, so Dänemark und Frankreich, verliehen den Frauen bereits während des Krieges das Wahlrecht.

Die Aktivitäten der Stimmrechtsbewegung belebten sich wieder. In der öffentlichen Diskussion sprach sich erstmals eine Mehrheit für die Verleihung des Wahlrechts an Frauen aus. Am 12. November 1918 verkündete der Rat der Volksbeauftragten die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen aktiven und passiven Wahlrechts für alle Männer und Frauen ab 20 Jahren. Damit war das Ziel erreicht - die Stimmrechtsvereine lösten sich auf. Es hat also einen Kampf um das Wahlrecht gegeben. Auch wenn die deutschen Frauenrechtlerinnen sich nicht durch Einigkeit und Radikalität auszeichneten - in den Schoß gefallen ist das Wahlrecht den Frauen nicht.