Die Kurden als Entwicklungshelfer

Italien möchte ein Zeichen gegen die deutsche Arroganz setzen und beschert Flüchtlingen aus Kurdistan eine freundliche Aufnahme

Kaum haben sich die Polizei- und Sicherheitschefs der Schengen-Staaten sowie Griechenlands und der Türkei in Rom getroffen, kracht es schon: Vor der albanischen Küste verhinderte die italienische Marine am vergangenen Freitag das Auslaufen mehrerer mit albanischen und kurdischen Flüchtlingen beladener Schlauchboote. Dabei wurde auch geschossen.

Italiens Regierung macht ernst, und doch wieder nicht: Zwar patrouilliert die italienische Marine verstärkt vor der albanischen Küste, die Küstenwache entlang der italienischen Adria-Küste zwischen Ancona und Reggio, doch der Umgang mit den Flüchtlingen, die trotzdem ankommen oder bereits in Italien sind, bleibt zwiespältig.

Etwa 2 500, in der Mehrzahl kurdische Flüchtlinge haben seit Anfang November Italien erreicht, darunter knapp 1 300, die Ende Dezember bei Soveranto und am Neujahrstag bei Otranto gestrandet sind. Die meisten von ihnen haben gute Chancen, in Italien bleiben zu können. "Wir werden allen Kurden, die darum bitten, politisches Asyl geben", ermutigte Innenminister Giorgio Napolitano Anfang Januar Kurden, ihren Asylantrag in Italien zu stellen. Ministerpräsident Romano Prodi, die Parteien des regierenden Ulivo-Bündnisses und die Regierung tolerierenden Neokommunisten der Rifondazione Comunista hatten sich auf dieses Vorgehen geeinigt. Geprüft werde lediglich, so Napolitano, ob der Antragsteller wirklich aus einer Region komme, die der Repression unterliege.

Auch die Oppositionsparteien ziehen mit. Von Silvio Berlusconis Forza Italia bis zur neofaschistischen Alleanza Nazionale (AN) wird die Prodi-Regierung ermuntert, an ihrem bisherigen Kurs festzuhalten. Niemand scheint Lust zu haben, den deutschen Innenminister in die italienische Politik hineinregieren zu lassen. "Jetzt sind wir im Zusammenhang mit der Kurdenfrage beim Ultimatum der Bonner Regierung an die Adresse Italiens angekommen. (...) Wie weit ist sich Deutschland - wirtschaftlich, demographisch, finanziell und politisch die Nummer eins in Europa - eigentlich noch bewußt, daß dieses Gewicht nicht das Recht zur imperialen Arroganz gegenüber den Partnern verleiht?" hatte beispielsweise die linksliberale Tageszeitung La Repubblica am 7. Januar auf einen parteiübergreifenden nationalen Zusammenhalt orientiert.

"Deutschland darf sich in der Kurdenfrage nicht zum Richter aufwerfen", legte Piero Fassino, Staatssekretär im Außenministerium, nach. "Man kann heute nicht einfach zu uns sagen: 'Weist sie zurück und basta'", verbat sich auch Giorgio Napolitano die Belehrungen aus Bonn. Italien habe zudem "seine Hausaufgaben gemacht". Nicht ohne Stolz verwies er dabei auf die Ausweisung von 38 000 "illegalen Einwanderern" - so die offizielle Zahl des Innenministeriums - im vergangenen Jahr. Noch Anfang Dezember hatte Italien rund 5 000 Albaner, deren Aufenthaltsgenehmigungen abgelaufen waren, abgeschoben.

Die "Repatriierung" genannte Abschiebung von Albanern stellt die Regel der italienischen Asylpolitik dar. Den zusammen mit den Kurden gestrandeten Flüchtlingen aus Ägypten, Pakistan, Sri Lanka und Marokko wird es ähnlich gehen. Daß mit den Kurden anders verfahren werden soll, ist nicht Ausdruck einer "Liberalisierung des Asylrechts" oder einer plötzlich entdeckten humanitären Ader. Es handelt sich um einen mit politischen und ökonomischen Interessen verbundenen symbolischen Akt: Die "imperiale Arroganz" Deutschlands gegenüber anderen europäischen Staaten soll - so weit, so gut - gebremst werden. Zudem bietet die Aufnahme der Kurden der italienischen Regierung die Möglichkeit, den Tod von 83 albanischen Flüchtlingen Ende März vergangenen Jahres vergessen zu machen. Damals hatte eine Fregatte der italienischen Küstenwacht ein mit über 100 albanischen Flüchtlingen besetztes Schiff gerammt und zum Sinken gebracht.

Die in süditalienischen Notunterkünften untergebrachten Kurden erfahren zur Zeit große Sympathie von Teilen der dortigen Bevölkerung. Bürgermeister einzelner Gemeinden laden die Flüchtlinge ein, in die weitgehend verlassen Dörfer Kalabriens und Apuliens zu ziehen. Seit Ende der fünfziger Jahre sind aus diesen Regionen, bei Wahlen seit Jahrzehnten Hochburgen der Neofaschisten, bis zu 90 Prozent der Einwohner weggezogen, um in Norditalien Arbeit und Einkommen zu finden.

"Die können doch wieder Leben in die Stadt bringen", meint der Bürgermeister der kalabrischen Kleinstadt Badolato Superiore mit Blick auf die knapp 100 kurdischen Flüchtlinge, die in seiner 600-Seelen-Gemeinde zum ersten Mal seit 25 Jahren wieder für Bevölkerungszuwachs gesorgt haben. Wohnungen und selbst Arbeitsplätze, vor allem in landwirtschaftlichen Kooperativen, sind ausreichend vorhanden. Die Flüchtlinge werden zudem als gut ausgebildete Arbeitskräfte angesehen. Denn wer bis zu sieben Millionen Lire für Schlepperorganisationen bezahlt hat, wird wohl in der Türkei kaum zu den einkommensschwachen Bevölkerungsschichten gezählt haben, mutmaßen zahlreiche Politiker des Mezzogiorno. Nationale und internationale Hilfsprogramme - und damit Geld für die nicht gerade finanzstarke Region - werden für die nächsten Wochen erwartet. Den Flüchtlingen soll's recht sein.