Live fast, die young!

Es gibt nichts Peinlicheres als dopende Sportler. Ihr Publikum hat sie allerdings verdient.

Zwischen jemandem, der just for fun hin und wieder ein bißchen Dope raucht, eine Line zieht oder sich einen Druck setzt, und jemandem, der völlig spaßfreie Substanzen in sich hineinschüttet oder hineinschütten läßt, bloß damit er schneller rennt, gibt es einen gewaltigen Unterschied.

Sich zu dopen oder anderen Leuten Dopingmittel zu verabreichen, das bedeutet nicht nur, daß man, wie diejenigen, die Drogen nehmen, mit Substanzen zu tun hat, von denen man eigentlich ganz genau weiß, welche Konsequenzen ihre Einnahme haben, wenn man erwischt wird. Was der Doper tut, beschränkt sich allerdings, im Gegensatz zum User, nicht nur auf das Privatvergnügen. Es ist auch Beschiß, gegenüber den Kollegen und Kolleginnen, die keine Pillen schlucken, und gegenüber dem Publikum. Das Publikum hat es natürlich absolut verdient, beschissen zu werden, denn es steht mehrheitlich auf Sportler mit dicken Muskeln, die in Talkshows gerne und ausführlich erklären, daß ihr Sieg sie mit Stolz erfülle, denn schließlich haben sie die Medaille nicht nur für sich selbst, sondern auch für Volk und Vaterland errungen.

Das Publikum steht aber auch auf Rockstars mit stecknadelkopfgroßen Pupillen, die staatliche Anti-Drogen-Kampagnen unterstützen, ebenso wie es auf Journalisten steht, von denen man sicher sein kann, daß sie ihre Texte über die Gefahren von Drogen grundsätzlich im Vollsuff schreiben - das Publikum scheint an das Gute im Menschen zu glauben. Deswegen kann man die öffentliche Empörung, wenn "es" herauskommt, auch im Falle des erwischten Sportlers ruhig vergessen.

Gegen die Freigabe ausnahmslos aller Drogen gibt es kaum vernünftige Argumente, schließlich sollte jeder mit seinem Körper machen können, was er möchte. Auf dem Gebiet des Sportes allerdings entwickelt sich daraus eine Vorstellung, die völlig unerfreulich ist. Eine anonym geführte Umfrage unter deutschen Spitzensportlern ergab zum Beispiel vor einigen Jahren, daß die Mehrzahl der Interviewten sofort nicht nachweisbare Dopingmittel einnehmen würde, wenn sie dadurch in ihrer Sportart garantiert an die Spitze gelangen würden - eine eventuelle Verkürzung der Lebenszeit würde dabei in Kauf genommen. Das ist sehr Achtziger, sehr Punk und sehr "Live fast, die young", und, wenn man sich einen dieser typischen deutschen Sportler ansieht, auch gar keine schöne Vorstellung. Denn der deutsche Sportler ist vor allem eins: extrem ehrgeizig.

Ehrgeizlinge tun für ihren Erfolg alles, und das macht sie per se schon zu völlig langweiligen Nervern. Der Ehrgeiz der sich dopenden Sportler jedoch umfaßt weit mehr als die gewohnten Disziplinen Schleimen-Intrigieren-Buckeln. Sie nehmen leistungsfördernde Substanzen ein und übervorteilen so wissentlich die Kollegen, die sich nicht dopen wollen oder es aus Geldmangel schlicht nicht können. Und so gewinnen die Doper dann. Ohne rot zu werden, lassen sie sich anschließend feiern - aber wenn sie dann im Nebenwettbewerb der offiziellen Meisterschaften, im "Werde ich erwischt oder nicht?", plötzlich doch mal verlieren, dann haben sie in der Regel nicht einmal genug Mut, öffentlich zu dem zu stehen, was sie getan haben.

"Na und, ich wollte halt Geld verdienen" wäre eine gleichermaßen schlichte wie einleuchtende Antwort auf die Frage nach dem "Warum?", auf die man jedoch wahrscheinlich noch sehr lange warten muß - statt dessen muß man sich wochenlang das beleidigt-larmoyante "Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das Zeug in meinen Urin gekommen ist" des Überführten anhören. Und wenn alles mal ganz schlecht läuft, wird der Doper in seinen wirren Verschwörungstheorien auch noch von der Boulevardpresse unterstützt, und dann kann man wochenlang auf die Bild-Zeitung verzichten. Erwischte Sportler sind peinlich, ebenso wie ihre Trainer.

Der Teamchef der deutschen Mannschaft, Trainer Winfried Leopold, dem in der letzten Woche bei der Schwimm-WM im australischen Perth die Akkreditierung wegen seiner Verwicklungen in DDR-Doping-Fälle entzogen wurde und dem nur eine Einstweilige Verfügung wieder an den Beckenrand verholfen hat, hatte wohl weniger die Selbstbestimmung des Athleten über seinen Körper im Sinn.

Ihm ging es wohl eher, wie den meisten seiner Kollegen, um die Kombination von Siegen plus nationalen Interessen. Denn nicht nur in der DDR wurden internationale Wettkämpfe vor allem danach bewertet, wie stark man die Starter anderer Nationen deklassiert hatte und welcher Platz in den Medaillenspiegeln erreicht werden konnte. Auch in der BRD schicken Politiker nach großen Siegen gerne lange Glückwunschtelegramme, verleihen Verdienstmedaillen, umarmen Trainer und lassen sich mit Siegern fotografieren - die ganze sich dopende Blase dopt sich nicht nur wegen der zu erwartenden Sponsorenverträge, sondern auch, um vom Bundeskanzler geküßt zu werden.