Magdeburger Kontinuität

Nach einem neuen Mordversuch an einem Punk in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt ändert sich nichts an der Politik der Stadtregierung: Vertreibung für Linke, "akzeptierender Sozialarbeit" für Nazi-Skins

Die Nazis hatten ihr Vorgehen generalstabsmäßig geplant. Die elf rechtsextremen Skinheads, die am 3. Januar mehrere Punks in einer Wohnung im Magdeburger Stadtteil Cracau überfielen, verteilten sich auf dem Hof und im Hausflur. Während einige der Punks flüchten konnten, blieb der 23jährige Gordon G. zurück und wurde von den Skins im Alter zwischen 13 und 20 Jahren fast totgeschlagen und -getreten. Inzwischen ist Gordon G. außer Lebensgefahr, doch die Ärzte erwarten bleibende Hirnschäden. Ein Mädchen, das den Nazis ebenfalls in die Hände fiel, wurde nicht geschlagen, damit sie eine Botschaft der Angreifer überbringen konnte: "Wo ist Peter Böttcher? Den machen wir fertig", "Wir kriegen ihn". Und zum Schluß: "Auch du änderst deine Meinung!" Eine ältere Nachbarin rief schließlich die Polizei, die alle elf Täter festnehmen konnte - neun davon kurz nach dem Überfall in einer Straßenbahn. Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl gegen vier der Täter wegen Hausfriedensbruch und versuchtem Totschlag; zwei Nazis sitzen seitdem in Untersuchungshaft, zwei weitere im Jugendarrest. Die sieben anderen an dem Überfall beteiligten Nazi-Skins wurden wieder freigelassen.

Neben der lokalen Antifa, sagt der 19jährige Peter Böttcher, sei er im vergangenen Februar der einzige gewesen, "der sofort in der Presse die rechte Szene für den Tod meines Bruders verantwortlich gemacht hat". Böttchers eineinhalb Jahre jüngerer Bruder Frank war an einer Straßenbahnhaltestelle in der Magdeburger Plattenbausiedlung Neu-Olvenstedt von einem 17jährigen rechten Skinhead erstochen worden. Bis zur Ergreifung des Täters vertuschten Polizei und Staatsanwaltschaft damals die Hintergründe des Mordes. Immer wieder spekulierten die Behörden öffentlich über einen "szeneinternen Konflikt" und "Streit unter Punks". Seit dem Überfall auf seine Wohnung hält sich Peter Böttcher versteckt. Er ist sich sicher, daß "Gordon die Prügel für mich bezogen hat", sagt er. Und: "Es gibt keinen sicheren Ort für mich in Magdeburg."

Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt ist spätestens seit 1992 bekannt als heißes Pflaster für alle, die in das Feindbild der Neonazis passen. Damals überfielen rund 60 rechte Skins eine Geburtstagsparty von Punks in dem Ausflugslokal "Elbterrassen" und erschlugen den 23jährigen Torsten Lamprecht. Zwei Jahre später machten Rechtsextreme am Himmelfahrtstag in der Innenstadt Jagd auf Ausländer. Über diesen Schlagzeilen gehen die alltäglichen Überfälle unter. Ein Blick auf die ungebrochene Serie rassistischer und neonazistischer Angriffe allein im Jahr 1997 und zum Jahreswechsel zeigt, daß auch nach der Einrichtung von 30 weiteren Jugendprojekten und neuen Sozialarbeiterstellen - vor allem in der rechten Hochburg Neu-Olvenstedt - MigrantInnen, Obdachlose und linke Jugendliche ständig vom rechten Straßenterror bedroht sind. So wurde erst am 23. Dezember ein 26jähriger Iraker in einer Straßenbahn von zwei Männern mit einer Gaspistole und einem Messer bedroht und mit neonazistischen Parolen beschimpft. An Silvester versuchte ein Mob von etwa 20 Hooligans und Nazi-Skins das stadtbekannte Punk-Wohnprojekt in Magdeburg-Stadtfeld zu überfallen, scheiterte allerdings an der Gegenwehr der HausbewohnerInnen. Am Neujahrstag, wenige Tage vor dem Angriff auf seine Wohnung, wurde Peter Böttcher schon einmal auf offener Straße von Skinheads gejagt. Gemeinsam mit einem Freund konnte er in einen Schuhladen flüchten und den Angreifern durch den Hinterausgang entkommen.

Während Magdeburgs Oberbürgermeister Willi Polte (SPD) bemüht ist, die rechten Terror-Akte als "Einzelfälle" hinzustellen und vor allem den "schweren Rückschlag für das Ansehen der Stadt" im Auge hat, bezeichnen die örtlichen antifaschistischen Gruppen den Überfall am ersten Samstag des Jahres als Teil einer "Magdeburger Kontinuität". Sie werfen der Stadtverwaltung und insbesondere der mitregierenden CDU vor, in der Stadt ein Klima geschaffen zu haben, das die neofaschistischen Saubermänner geradezu auf den Plan rufe. Den vorläufigen Höhepunkt habe im Oktober vergangenen Jahres ein Antrag der CDU-Fraktion dargestellt, in dem "Sofortmaßnahmen gegen den Straßenterror in Stadtfeld" gefordert wurden. "Straßenterror" in dem als links geltenden Magdeburger Stadtteil heißt für die CDU Graffiti und Spuren von Farbbeuteln an den Wänden. In dem Antrag wurde unter anderem die Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten zur Räumung der zwei von Linken und Punks bewohnten Häuser gefordert. Die Bewohner beider Häuser besitzen Mietverträge. Die Antifas sehen in dieser "Diffamierungskampagne" die "ideologische Grundlage" für die Übergriffe und kommen zu dem Schluß: Wer Punks für "vogelfrei" erkläre, müsse sich nicht wundern, wenn rechte Skinheads das auch so sehen und die Punks entsprechend behandeln.

Längst hat sich das Magdeburger Establishment mit den Nazis arrangiert. Wachschützer eines Einkaufszentrums in der Innenstadt, berichten Augenzeugen, hätten wiederholt rechte Skinheads Jagd auf Punks und andere mißliebige Personen machen lassen, um diese aus dem Umfeld der Einkaufsmeile zu vertreiben: "Da wurde mit dem Finger gezeigt und dann ging es los."

Auch Matthias Gärtner, Landtagsabgeordneter der PDS, fragt sich: "Wenn das in Stadtfeld 'Straßenterror' ist, was sind denn dann die Situation in Olvenstedt und der Überfall auf die Wohnung in Cracau?" Wer in der Plattenbausiedlung Olvenstedt wohnt und anders aussieht und denkt als die Rechten, hat nach Gärtner nur drei Möglichkeiten: "Er zieht sich zumindest an wie die Rechten, verbringt seine Freizeit in einem anderen Stadtteil oder bleibt zu Hause." Gärtner wirft der im Stadtparlament regierenden SPD/CDU-Koalition vor, den Rechtsextremismus zu verharmlosen und die Punks zu "diffamieren und zu kriminalisieren". "Wer den Mord an Frank Böttcher im vergangenen Jahr nicht als rechtsextremes Tötungsdelikt einstuft und nicht konsequent gegen organisierte Neonazis vorgeht, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die Skins denken, sie könnten machen, was sie wollen." Der junge Abgeordnete schätzt die Zahl der militanten Skins in Magdeburg auf 200. Hinzu komme ein weitaus größeres Umfeld aus rechten Jugendlichen. Es handle sich dabei zwar um lose Strukturen aber, wenn nötig, seien die Rechten "sehr gut organisiert". Die Versuche akzeptierender Sozialarbeit mit den Rechten in der Elbstadt hält Gärtner für gescheitert. "Die Tatsache, daß die bekannten Neonazi-Bands Doitsche Patrioten und Elbsturm bis zum Sommer diesen Jahres über mehrere Jahre hinweg ungestört in den Räumen eines Jugendprojekts proben durften, das schwerpunktmäßig mit rechten Jugendlichen arbeitet, zeigt, was in Magdeburg unter 'akzeptierender Sozialarbeit' verstanden wird."

Pläne des Jugendamtes, das Punk-Wohnprojekt in Stadtfeld zu räumen und die HausbewohnerInnen in Wohngemeinschaften in verschiedenen Stadtteilen zu vereinzeln, werden von Antifas und den Betroffenen scharf kritisiert. "Nach dem Mord an Frank Böttcher hatten wir alle Angst. Das gemeinsame Wohnprojekt bietet uns Schutz", begründet einer der Punks den Widerstand gegen die Pläne der Sozialarbeiter. "Der Überfall auf Peters Wohnung ist doch ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man als Punk alleine wohnt." Antifas weisen darauf hin, daß Naziangriffe auf Wohnungen in Magdeburg nichts Neues sind: Im Dezember letzten Jahres beispielsweise überfiel eine Gruppe von Naziskins die Wohnung der Eltern eines jungen Punks. Während die Eltern bedroht wurden, wurde der Jugendliche aus dem Bett gezerrt und geschlagen.