Reine Körper, linke Mythen

Was sich Sportler gefallen lassen müssen, damit die Ideologie ihrer Kritiker stimmt.

Eine lautstark vorgetragene und also glaubwürdige Antidoping-Haltung gehört mittlerweile zur habituellen Berufsvoraussetzung jedes Sportlers. Sie ist vergleichbar mit dem Ethos eines Arztes, der sich nicht nur an Vorschriften zu halten, sondern darüber hinaus ein ehrenwerter Mensch zu sein hat. Sportler und Arzt drohen, auch wenn sie nicht gegen die Vorschriften verstoßen, öffentlich aber bekunden, daß sie von diesem Berufsethos nichts halten, in jedem Fall soziale Ächtung, in einigen Fällen auch das Verbot, weiter ihren Beruf auszuüben. Wenn sie gegen die Vorschriften verstoßen, ist ihnen ein Berufsverbot ohnehin so gut wie sicher.

Im Falle von Ärzten ist dies, staatlich sanktioniert, durch berufsständische Kammern möglich. Im Falle von Sportlern sind es die Fachverbände bzw. das Internationale Olympische Komitee, Einrichtungen also, deren binnendemokratisches Niveau gegenüber dem beispielsweise der deutschen Bundeswehr eher unterentwickelt ist und deren Funktionäre ein Renommee besitzen, das irgendwo zwischen Honorarsachbearbeiter und FDP-Bundestagsabgeordneter angesiedelt ist.

Bei Ärzten bedarf es eines begründeten Anfangsverdachts, um ein kompliziertes Verfahren einzuleiten, das dann zu einer Entscheidung führt. Sportler hingegen müssen sich auch ohne Verdacht unangemeldet einem Kontrollprozedere unterziehen: der Urinprobe. Lassen sie nicht zu, daß ihnen ein Kontrolleur "in Sichtkontakt" beim Urinieren zuschaut - bei Frauen wird diese Kontrolle laut Durchführungsbestimmungen durch eine "Knie an Knie"-Position sichergestellt; es sollte, muß aber nicht, eine Kontrolleurin sein -, tritt die gleiche Strafe ein, als sei ihr Befund positiv, nämlich zeitweiliges oder lebenslanges Berufsverbot.

Einige Verbände entnehmen Blutproben, was zwar einen Verstoß gegen das Verfassungsrecht der körperlichen Unversehrtheit darstellt, aber die Verbände argumentieren, Profisport sei ja eine freiwillige Veranstaltung, und wer seinen Beruf nicht unter ihrem Dach, dem des weltweiten Monopolisten, ausüben möchte, der brauche das ja nicht zu tun.

Während der Mehrheit der mit dem Thema Doping beschäftigten Menschen, interessanterweise in der Mehrheit die linksliberalen Sportkritiker, die Kontrollen nicht weit genug gehen, rechtfertigen andere den in kaum einem gesellschaftlichen Bereich praktizierten Eingriff in die Intimsphäre und in die Berufsfreiheit damit, daß nur so die Reinheit im Sport gesichert werden könne.

Argumente, warum beispielsweise anabole Steroide bei Ausdauersportarten dysfunktional sind, oder warum in vielen Sportarten die komplexen psychischen und physischen Abläufe nach Stimulanzien-Einnahme nicht mehr gemeistert werden können, interessieren selten. Da erfährt man meist, daß der Kritiker ja keine Vorstellung davon hätte, welche monsterproduzierenden Forschungen in geheimen Labors betrieben würden. Einwände, daß ein solches Szenario an Adelheid Streidl erinnere, gelten als unsachlich. Gleiches gilt für Fragen, warum es mittlerweile beinahe zur Selbstverständlichkeit geworden ist, das "Recht auf Rausch" zu fordern, aber gleichzeitig Sperren, die wegen Haschischkonsums gegen Fußballer oder Tennisspieler ausgesprochen werden, beifällig zu kommentieren. Ob Hasch, Ephedrin, anabole Steroide, Koffein, Alkohol, Diuretika oder andere Substanzen auf den Listen verschiedener Verbände wirklich einer Leistungssteigerung dienlich sind, weiß man nicht. Wirkungsforschung findet kaum statt, denn für einen Test braucht man ja adäquate Probanden, was wiederum einen Verstoß gegen die Antidoping-Bestimmungen bedeutete. Und ob ein Sportler, der Hasch raucht oder Hustensaft schluckt, wirklich Leistungssteigerung im Sinn hat, ist für die Strafbemessung völlig irrelevant; es wird ihm unterstellt, denn er ist ja Sportler.

Was Nicht-Sportlern selbstredend erlaubt ist - abends Bier oder morgens Kaffee zu trinken, bei einer Krankheit die indizierte Medikamentation zu erhalten oder meinetwegen auch, sich selbst die falsche Arznei zu verabreichen -, ist Sportlern manchmal total, manchmal ab einer gewissen Dosis (beim Kaffee sind es je nach Körpergewicht des Sportlers zwischen drei und 15 Tassen) verboten.

Und auch der Genuß von Mitteln, die nicht legal sind, setzt Nicht-Sportler keinem vergleichbaren Prozedere aus. Auf die Idee, eine potentielle Haschraucherin zur Knie-an-Knie-Urinprobe zu bitten, ist meines Wissens auch Manfred Kanther bislang nicht gekommen. (Gewiß, dieser Vergleich hinkt: Nicht nur des Dopings verdächtige, sondern prinzipiell alle Sportlerinnen müssen sich zum Nachweis ihres sauberen Körpers dieser Prozedur unterziehen.)

Die letztliche Begründung, die für die Antidoping-Bestimmungen vorgetragen wird, ist die Reinheit des Sportlerkörpers, ein Zweck, der höher bewertet wird als die Wahrung der menschlichen Intimsphäre. Es ist die Vorstellung, der menschliche Körper sei von Natur aus schön, kräftig und leistungsstark und dürfe nicht durch üble gesellschaftliche Einflüsse beeinflußt, gar verändert werden. Daran schlösse sich die Frage an, ob solche Vorstellungen vom menschlichen Körper nicht schon längst von Arno Breker und Leni Riefenstahl in die Geschichte eingeführt wurden.

Aber das wäre wieder unsachlich.