Streik ja. Streit nein

"Eine neue Ethik des Fragens": 1500 Studierende erwarteten von einem Berliner Kongreß vor allem "ganz konkrete Handlungsanweisungen"

Während die Streiks an den bundesdeutschen Hochschulen zu Ende gehen, riefen Studierende aus Berlin zu einem bundesweiten "Basiskongreß Bildung und Gesellschaft". Vom 8. bis zum 11. Januar trafen sich rund 1 500 StudentInnen, um sich - so die VeranstalterInnen - "auszutauschen" und "ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren".

Nach Ende der Weihnachtsferien war an den meisten noch streikenden Hochschulen der Vorlesungsboykott beendet worden. In Münster kehrten die StudentInnen ebenso zum normalen Vorlesungsbetrieb zurück wie in Duisburg oder an der Humboldt-Universität Berlin. Dort sprachen sich zwei Drittel in einer Urabstimmung für ein Ende des Streiks aus. In Duisburg wollte gar nur ein Viertel der im vollbesetzten Audimax zur Vollversammlung Gekommenen den Streik weiterführen - an jeweils einem Tag in der Woche. Die übergroße Mehrheit befand dagegen: "Schluß mit lustig" und beschimpfte die Streikposten gar als "Asoziale". Dabei hatten die Duisburger StudentInnen noch am 17. Dezember den "harten" Streik beschlossen und die Hochschulverwaltung lahmgelegt. Der Asta sperrte ihnen daraufhin wegen "Gefahr im Verzug" die Telefone und jagte die StreikaktivistInnen aus seinen Räumlichkeiten. Es sei nicht möglich gewesen, die StreikbefürworterInnen zur Vollversammlung zu mobilisieren, resümierte ein Student, die StreikgegnerInnen - vor allem aus den Reihen der WirtschaftswissenschaftlerInnen - hätten dagegen mit dem Slogan "Streik Nein! Deshalb zur Vollversammlung" ihr Potential voll ausgeschöpft.

Auch an den Hochschulen, an denen offiziell noch gestreikt wird, findet weitgehend normaler Vorlesungsbetrieb statt. So beispielsweise an der Technischen Universität in Berlin, die auch den "Basiskongreß" für zwei Tage beherbergte. "Streik bis zum 14. Januar" verkünden Transparente am Haupteingang, dahinter huschen strebsame JungbürgerInnen eilig in ihre Hörsäle. Das Sprengen von Veranstaltungen habe eingestellt werden müssen, berichtet ein Organisator des Basiskongresses: "Irgendwann bist du die ständigen Anpöbeleien einfach leid."

Die Proteste seien aber noch nicht am Ende, wird überall versichert, sondern würden in anderer Form fortgeführt. So wurden für Mittwoch dieser Woche bundesweite dezentrale Besetzungen von Parteibüros geplant. "Solidarität muß praktisch werden", forderten etwa Kölner Studierende von der lokalen CDU und bereiteten einen "Besuch" vor.

In der Tat sind die eineinhalb Tausend BesucherInnen des Basiskongresses "Bildung und Gesellschaft" ein Anzeichen dafür, daß die studentischen AktivistInnen so schnell nicht aufgeben werden. Sie versprachen sich von dem Kongreß einen erneuten Schub und höhere Schlagkraft. Eine gewisse Ratlosigkeit mag allerdings auch der Antrieb gewesen sein. So hoffte der ReferentInnenrat der HU Berlin in einer Pressemitteilung auf "ganz konkrete Handlungsanweisungen".

Die waren auf dem Kongreß nicht zu bekommen - die studentische Basis pflegt ihre Disparitäten. Schon zu Beginn des Abschlußplenums, in dem ein "Forderungs- und Maßnahmenkatalog" verabschiedet werden sollte, wurde die Frage aufgeworfen, ob inhaltliche Positionen überhaupt zur Abstimmung gestellt werden sollten. Schließlich wolle man keinen und keine ausgrenzen. Der Antrag wurde zwar abgelehnt, von nun an hatten die TeilnehmerInnen aber vier Abstimmungsvarianten zur Auswahl: Ja, Nein, Enthaltung und "Verweigerung der Abstimmung". Demokratie kann manchmal weh tun.

Der zu verabschiedende Katalog sollte sich aus den von den über fünfzig Arbeitsgruppen erarbeiteten Forderungen zusammensetzen. Er dokumentiert aufs beste die Heterogenität der Bewegung. Eine "neue Ethik des Fragens" wurde ebenso gefordert wie "das Instrument der destruktiven Kritik" oder "Politisiert Euch!" Herausgekommen ist ein keineswegs widerspruchsfreier Gemischtwarenkatalog. Den man so ernst dann auch gar nicht nehmen wollte: Als der Kongreß darüber abstimmen sollte, ob er lieber sein gerade in Entstehung befindliches Forderungsbündel den Kultus- und Wissenschaftsministern als Alternative zur geplanten Novelle des Hochschulrahmengesetzes präsentieren soll oder doch lieber einen alternativen HRG-Gesetzentwurf, der von einer AG erarbeitet worden war und der stärker "realpolitisch" geprägt war, entschied er sich für den Gesetzesentwurf. Nur ein "konkreter" Gesetzestext könne die HRG-Novellierung verhindern, hieß es zur Begründung.

"Streik ja. Streit nein", kommentierte der Kölner Asta-Vorsitzende Rüdiger Hausmann vor Weihnachten den Stand der Bewegung. Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Diskussionen sind mit vielen AktivistInnen kaum zu führen und werden verdächtigt, die Bewegung zu spalten. Da vertritt man doch lieber beides - folgenlos, versteht sich - und besinnt sich auf den Minimalkonsens. Auf das Hochschulrahmengesetz kann sich stets zurückziehen, wer von der Gesellschaft zwar reden, sie aber nicht verändern will.