Bajuwarische Füchse im Rudel

In Österreich werden weiter Briefbomben verschickt

Am 5. Januar dieses Jahres öffnet der Polizeibeamte Harald Lecker einen an die steirischen Sicherheitsbehörden adressierten Brief. Als er im Inneren des Kuverts Drähte entdeckt, alarmiert er sofort seinen Vorgesetzten. Nach einer kurzen Untersuchung durch einen Sprengstoffexperten ist wenige Minuten später klar: Der Beamte hält eine Briefbombe in der Hand. Der Briefumschlag ist mit 15 Gramm des Militärsprengstoffs Nitropenta gefüllt. Der Zündmechanismus besteht aus drei professionell gefertigten Mikroelektronik-Teilchen. Der Polizist hatte Glück. Ob es ein Materialfehler oder die Absicht des Bombenbauers war, daß die Bombe nicht zündete, wird derzeit noch untersucht. Die Sprengstoffexperten sind sich sicher: Die neue Briefbombe ist noch gefährlicher als jene, die die "Bajuwarische Befreiungsarmee" (BBA) in den letzten fünf Jahren versandt hatte.

Die Grazer Behörden ermitteln in alle Richtungen. Man vermutet einen Racheakt aus dem Rotlichtmilieu oder die Fortsetzung der Anschlagserie eines mysteriösen Justizhassers. Verbindungen zu den Anschlägen, die die BBA gegen Ausländer und "ausländerfreundliche Personen des öffentlichen Lebens" durchgeführt hatte, werden ebenfalls untersucht.

Es gibt gewisse Verbindungen zu diesen Attentaten. Der oder die neuen Bombenbauer legten der jüngsten Briefbombe drei Zeitungsausschnitte bei. Sie stammen aus dem Wiener Boulevardblatt Kronen Zeitung und befassen sich mit dem derzeit inhaftierten Franz Fuchs, der seit 100 Tagen in einem Gefängnis der steirischen Landeshauptstadt Graz sitzt und von der Justiz verdächtigt wird, an Anschlägen der BBA zumindest beteiligt gewesen zu sein.

War der neuerliche Anschlagsversuch also ein Racheakt eines Mittäters von Franz Fuchs? Bei den Ermittlern herrschen derzeit zwei Denkmuster vor. Österreichs oberster Polizist, Sicherheitsdirektor Michael Sika, forciert die Theorie des "unpolitischen Einzeltäters", den man in Franz Fuchs gefunden haben will. Unterstützt wird Sika dabei vom Leiter des Kriminalpsychologischen Dienstes, Thomas Müller. Der Psychologe ist Spezialist für Serien-Einzeltäter. Ein anderer Teil der Fahnder glaubt nicht an diese Theorie. Für sie sind noch zu viele Fragen offen.

Zum Beispiel lagert seit 1994 bei der Kriminalabteilung Niederösterreich ein Fingerabdruck. Der einzige, der jemals auf einer Sprengfalle der BBA sichergestellt wurde. Er hatte sich im Kuvert einer Briefbombe der Serie II gefunden, die im September 1994 in West- und Südösterreich aufgetaucht war. Da der Abdruck von keinem der Empfänger stammte, gingen die Behörden bis dato davon aus, daß er vom Bombenbastler selbst hinterlassen wurde. Nur: Vergleiche mit Fingerabdrücken, die der mutmaßliche Täter Franz Fuchs in seiner Wohnung hinterlassen hatte, blieben erfolglos.

Nicht ins Bild paßt auch die Beobachtung, die ein pensionierter Gendarmeriebeamter vor dem BBA-Rohrbombenanschlag von Klagenfurt machte. In der Nacht zum 25. August 1994 beobachtete er von seinem Balkon aus einen Mann, der einen Gegenstand im Eingangsbereich einer Schule deponierte. Das Innenministerium hält im offiziellen Untersuchungsbericht dazu fest: "Hinterlegung einer Rohrbombe am 24.8.1994 bei der Karl-Renner-Schule (...) durch einen ca. 20-40jährigen Mann, der bei seiner Flucht einen hellen Pkw (ähnlich einem Mazda 626 älteren Baujahres) mit neuem Kennzeichen, beginnend mit K... oder KL verwendete." Seltsam: Fuchs besitzt zwar einen weißen Pkw aus japanischer Produktion. Der Wagen hat aber ein altes schwarzes Kennzeichen mit der steirischen Nummer ST 524.919.

Die einzelnen Bekennerschreiben der BBA enthalten teilweise rechtsextremes Vokabular. Einige (gefälschte) Absender der Serien IV und V - Walter Ochsenberger, Reinhold Elstner und Herwig Nachtmann - gelten als Kultfiguren in der rechtsextremen Szene. Elstner, ein bayrischer Rentner, der sich im April 1995 aus "Protest gegen Geschichtsfälschung" vor der Münchner Feldherrenhalle selbst verbrannt hatte, wird nur in einschlägigen Publikationen erwähnt. Den Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, wiederum tituliert die BBA in einem Bekennerschreiben als "Szymon Wizenthal" und "angeblichen Ingenieur". Also in einer Diktion, die dem - nicht gerade allgemein bekannten und zugänglichen - Standardrepertoire rechtsextremer Pamphlete entspricht. Nur: Einschlägige Interessen und Kontakte hat man Fuchs bisher nicht nachweisen können.

Seit letztem Jahr liegt bei Gericht ein forensisches Sprachgutachten zu den Bekennerbriefen vor. Der renommierte Wiener Sprachwissenschaftler Günter Lipold untersuchte auf 1 000 Seiten die Sprachstruktur und den Satzbau der 70 Seiten Bekennerschreiben. Das Ergebnis des aufwendigen Gutachtens: In den Schreiben gebe es "fünf bis sechs verschiedene Textsorten" und mehrere Individualstile. Da die Schreiben sehr einheitlich und fast fehlerlos formuliert seien, geht Lipold zusätzlich von einer "übergeordneten Redaktionsinstanz" aus. Dieses sogenannte "Sekretariat" habe eine große Ausdrucksvarianz und verfüge über einen "geübten Schreiber", der eher aus dem "Osten Österreichs" stamme. Nicht aber aus dem tiefen Süden, wo Franz Fuchs wohnte.

In bestimmten Passagen in den Bekennerschreiben werden gute Kenntnisse des Behördenapparates angedeutet. Unklar ist, woher der Einsiedler Franz Fuchs diese Kenntnisse haben könnte. Zudem wurden bei Fuchs keine für den Bombenbau nötigen Instrumente gefunden. Der bei ihm beschlagnahmte Computerdrucker ist nicht mit dem Drucker der BBA-Bekennerschreiben identisch. Das gleiche gilt für die Software.

Viele Unklarheiten, viele Rätsel, viele Fragen, die zur Zeit nur von Franz Fuchs selbst beantwortet werden können. Doch der schweigt.