Die PKK teilt die Gewalten

Für die Justiz ist die Kurdenpartei nicht mehr terroristisch. Kanther will am Feindbild festhalten

Während an der süditalienischen Küste Hunderte von Kurdinnen und Kurden in provisorisch eingerichteten Lagern von Carabinieri streng bewacht werden, gibt es in Deutschland erste konkrete Anzeichen für eine Aufweichung des Verbots der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Mehr als vier Jahre nach der von Innenminister Manfred Kanther (CDU) ausgesprochenen Verbotsverfügung schätzt Generalbundesanwalt Kay Nehm die PKK nicht mehr als terroristische Organisation ein. Die PKK habe Abstand genommen von "Tötung und Brandstiftung", begründete Nehm diesen Schritt. Sie bleibe jedoch weiterhin eine "kriminelle Vereinigung".

Für den Bremer Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz, der mehrfach kurdische Vereine vertreten hat, die von der Verbotsverfügung betroffen waren, war dieser Schritt längst überfällig. Doch der Jurist warnt vor allzu großer Euphorie, denn die PKK werde auch künftig als kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches behandelt, obwohl es sich bei ihr um "eine legitime nationale Befreiungsbewegung" handle. Schultz weist auf ein Gutachten des renommierten Hamburger Völkerrechtlers Prof. Norman Paech hin, der 1996 zu dem Schluß kam, die PKK sei nach internationalem Völkerrecht eine legitime Befreiungsorganisation, die sich gegen staatlichen Terror zur Wehr setze.

Die Bundesanwaltschaft hält dagegen auch nach ihrer jüngsten Erklärung daran fest, daß FunktionärInnen der PKK mitverantwortlich seien "für Fälle von Kindesentziehung, Spendenerpressung, Körperverletzung und Waffendelikte." Für Schultz ist unstrittig, daß solche Gesetzesverstöße auch geahndet werden müssen. Dafür, so der Jurist, reiche aber das Strafgesetz aus.

Doch Schultz, der auch Verteidiger im derzeitigen Prozeß gegen den ehemaligen Europasprecher der PKK-Unterorganisation ERNK (Volksbefreiungsfront Kurdistans), Kani Yilmaz, vor dem Oberverwaltungsgericht Celle ist, beobachtet auch, daß deutsche Anklagebehörden in letzter Zeit in PKK-Verfahren moderater auftreten. Im Prozeß gegen Yilmaz zeichne sich ab, daß die Bundesanwaltschaft eher die Deeskalation suche als die Konfrontation.

Schon im September vergangenen Jahres waren vor dem Landgericht Düsseldorf zwei wegen einer Reihe von Anschlägen auf türkische Einrichtungen angeklagte ERNK-Funktionäre mit vergleichsweise milden Strafen davongekommen, nachdem die Bundesanwaltschaft auf eine Anklageerhebung nach Paragraph 129a verzichtet hatte. Die Angeklagten hatten im Gegenzug zugegeben, innerhalb der ERNK "Verantwortung getragen" zu haben, und Gewaltakten in Deutschland abschworen. Sie konnten sich dabei direkt auf eine Äußerung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan beziehen, der angekündigt hatte: "Trotz der großen Meinungsunterschiede zwischen uns und der Bundesrepublik Deutschland werden wir keine Gewalt mehr anwenden und die Gesetze beachten." Seitdem, so Nehm jetzt, sei es in der BRD nur noch zu vier Anschlägen "mit nachgewiesenem PKK-Hintergrund" gekommen, die zudem eher gegen den Willen der Führung als auf Befehl von oben erfolgt seien. Im Jahr zuvor hatte die Bundesanwaltschaft die kurdische Organisation noch für 261 Brandstiftungen verantwortlich gemacht.

Schultz fordert nun, daß auf die geänderte Einschätzung der Bundesanwaltschaft auch politische Schritte folgen müßten. Die logische Konsequenz der Entscheidung aus Karlsruhe müsse es sein, die Verfahren und Verbote gegen kurdische Vereine einzustellen. "Wenn jetzt der Generalbundesanwalt sagt, es gibt keine Anschläge mehr, die der PKK zuzurechnen sind", sagt Schultz, "dann entfällt auch jede Berechtigung dafür, daß diese Vereine verboten bleiben." Kanther freilich will am harten Kurs gegen die PKK festhalten. Erst Anfang Januar hatte Kanther angesichts der kurdischen Flüchtlinge in Italien von "illegal und verbrecherisch organisierten Wanderungsbewegungen" schwadroniert. Unmittelbar nach der Erklärung aus Karlsruhe teilte das Innenministerium nun mit, warum die Kurdische Arbeiterpartei trotz Gewaltverzicht weiterhin verfolgt werden soll: "Entscheidend für das PKK-Verbot ist allein die Einstellung der PKK zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung." Bislang hatte das Kanther-Ministerium ausschließlich "die Gewalttaten der PKK" als Begründung für das Verbot genannt.

Auch die türkische Regierung läuft Sturm gegen die Kurskorrektur des obersten deutschen Anklägers. Staatspräsident Süleyman Demirel warnte Bonn davor, das seit November 1993 geltende PKK-Verbot aufzuheben und witterte Verrat an den Zusagen, "die Deutschland gegenüber der Türkei gegeben hat". Die Legalisierung der PKK, drohte Demirel, werde "zum Schaden Deutschlands" sein. Außenminister Ismail Cem bezeichnete die Erklärung der Bundesanwaltschaft als "ernsthaften Fehler" und unterstellt einen "Deal mit der PKK", der nicht ohne Konsequenzen bleiben werde.

Der seit 1984 andauernde Bürgerkrieg im Südosten der Türkei hat bislang über 30 000 Menschen das Leben gekostet, Hunderte gelten als vermißt. Etwa 4 000 Dörfer hat das türkische Militär dem Erdboden gleichgemacht, rund 3,5 Millionen Menschen sind aus dem Südosten geflohen. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg werden zur Zeit über 1 000 Klagen gegen die Türkische Republik wegen Mord, Folter, Vergewaltigung und Mißhandlungen behandelt.