Mardi Mittwoch Donnerstag

Ich weiß nicht, woher sie es haben, vielleicht von ihrem Kollegen Willi Winkler, der schon vor ein paar Jahren halbwegs dahinter gekommen ist und es seither verbreitet, aber sie sind dahinter gekommen, daß "Moby Dick" kein Kinderbuch ist und an Melville auch ansonsten etwas dran. Das ist nicht unbedingt erfreulich, denn seither kann es passieren, daß es zu gegebenem Anlaß, wie jetzt dem, daß es jetzt auch "Mardi" in Deutsch gibt, übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Rainer G. Schmidt, Achilla Presse, Hamburg, 1 084 Seiten, 84 DM, zu Kettenreaktionen wie der kommt, daß im Oktober in der FAZ etwas steht,

Die hingekritzelte Abschrift einer inneren Stimme Der Albatros regt seine Flügel: Herman Melvilles Roman "Mardi", der Vorläufer des "Moby Dick", zum ersten Mal auf deutsch / Von Brigitte Kronauer,

das ein deutlich dümmerer Kopf so gut er kann abschreibt, woraufhin im Dezember in der "Zeit" etwas steht,

Er füllt die Segel mit seinem eigenen Atem - Flaschenpost aus der Tiefe fer Zeit: Nach genau 148 Jahren landet Herman Melvilles großer Roman "Mardi und eine Reise dorthin" an den Küsten der deutschen Sprache Von Ulrich Greiner,

was so anhebt:

Immer wieder weinen die Krokodile über den traurigen Zustand der Gegenwartsliteratur. Wo sind die großen Themen, die großen Autoren, die großen Romane? Als versäumten die Dichter ihre Chronistenpflicht. Die Wiedervereinigung! Der Euro! Die Arbeitslosigkeit!,

und das ein womöglich noch dümmerer so gut er kann abschreibt, woraufhin im Januar auch noch in der "Woche" etwas steht:

Ein Archipel namens Welt Endlich auf Deutsch: Herman Melvilles monströses Werk "Mardi", eine Vorstudie zu seinem Klassiker "Moby Dick" Von Hannes Hintermeier,

was so anhebt:

"Wir sind los. Die Untersegel und Toppsegel sind gesetzt, der korallen behangene Anker baumelt vom Bug; und zusammen werden die drei Oberbramsegel der Brise übergeben, die uns auf die See hinaus folgt wie das Gebell eines Hundes." So hebt es an, das Romanungetüm.

Nicht ganz so. Auch "Jagdhunds", übrigens. Sie aber legen so los.

Greiner:

Vom ersten Satz an ("Wir sind los. Die Untersegel und Toppsegel sind gesetzt, der korallenbehangene Anker baumelt vom Bug.") reißt uns Melville mit der unerhörten Kraft seiner Sprache hinaus ins Offene, ins Grenzenlose des Ozeans.

Hintermeier:

Und sofort ist der Leser mit an Bord, fährt hinaus in die unendlichen Weiten der südlichen Meere - - - vor der Westküste Südamerikas - - - in Richtung der sibirischen Halbinsel Kamtschatka - - - unweit der Galapagos-Inseln - - - Richtung Westen über den Pazifik, nach Polynesien - - -

Kronauer:

Zwei Männer, der junge Ich-Erzähler und der alte Jarl, haben sich etwa sechzig Kilometer westlich der Galapagos Inseln vom Mutterschiff gestohlen, um im offenen Walfangboot ohne Seekarten und Quadranten, ein riskantes Unternehmen, tausend Meilen quer über den Pazifik Richtung Polynesien zu segeln - - -

Greiner:

Wir treiben dahin mit dem Passat, hören das Lied der Fische, das Heulen der Stürme und erleben das Schlimmste - die Windstille - - -

Hintermeier:

Dies ist die Ausgangslage. Sie verheißt weniger romantische Abenteuer denn Kampf um Leben und Tod - gegen das unbarmherzigste Element: die Salzwüste des großen Ozeans.

(Ein Kampf um Biegen und Brechen und einen Platz an der Sonne, in dessen Getümmel man die vertrauten Namen nicht gern fallen hört, ja sogar einen wie Kamtschatka ziemlich ungern.)

Kronauer:

Knapp tausend Seiten weiter, beim Showdown des Romans, geht die Fahrt dann in stürmischer Eile hoch zwischen die Sterne und Erzengel, tief in die Grotten der lasziven Königin Hautia und schießt - offenes Ende - in die Waagrechte eines finsteren Ozeans über alle Grenzen hinaus.

Greiner:

Andererseits und zugleich macht Melville sämtliche Leinen des herkömmlichen Erzählens los und scheint sogar die anfängliche Konstruktion seiner Geschichte völlig zu vergessen. Der Ich-Erzähler verschwindet zugunsten Tajis, und auch der löst sich nach und nach in ein Phantom auf - - - Und die Bedenkenlosigkeit, mit der Melville sich unbrauchbar gewordener Personen entledigt (Annatoo wird über Bord
gespült, Jarl ermordet), grenzt ans Unverschämte.

Hintermeier:

Mit "Mardi" kann nun die unmittelbare Vorstufe zu "Moby Dick" besichtigt werden: Hier versucht Melville alles, wie die starren Erzählschemata seiner Zeit am besten aufzubrechen seien. So verliert er seinen Ich-Erzähler aus den Augen beziehungsweise lässt ihn aus dieser Rolle einfach verschwinden - - -

Kronauer:

Auf der Insel Flozella scheinen die wollüstige Hautia und die engelhafte Yillah miteinander zu verschwimmen.

Greiner:

Melville bindet sich selber an diesen Roman wie an eine Rakete, zündet den Treibsatz und rauscht mit ihr durchs wilde Kurdistan seiner Phantasien und Philosophien.

Hintermeier:

Aber so richtig ins Abheben gerät die Geschichte erst, als der Ich-Erzähler (nach erneutem Schiffbruch) die schöne, unschuldige Yillah aus den Klauen eines Priesters befreit, indem er diesen umbringt. So durchsticht auch der Roman die Wolkendecke.

Kronauer:

Der letzte Satz des monumentalen Buchs zeigt noch einmal sein Wappen, die Ambivalenz: Die drei Rächer hetzen den das Phantom Yillah jagenden Taji aus den Resten der Eindeutigkeit in die sehr zwielichtige Freiheit ozeanischer Leere.

Greiner:

Wer aber könnte, nach grauem Toben des Meeres und kräftezehrenden Stürmen, einen solchen Sonnenaufgang beschreiben - - -

Hintermeier:

- - - so schildert er aber auch Landschaft und Natur, wie es nur einer kann, der auf dem Meer in die Schule des Sehens gegangen ist. Denn zuletzt ist das Buch auch eine Hommage an den Ozean als das totale Ganze: den wahren Bestimmungsort des Menschen, dessen Gesetzen er sich beugen muss.

Kronauer:

Was der Autor auf den ersten Seiten als handfestes Abenteuer anspielte, die Flucht per Diebstahl eines Bootes vom Mutterschiff auf eine vom Hörensagen bekannte Inselbarriere zu, radikalisiert er im Schlußsatz zur ebenso pathetischen wie knappen Bildformel der "condition humaine", wohl eher des zwanzigsten als noch des neunzehnten Jahrhunderts!

Greiner:

In ihrer ebenso glanzvollen wie scharfsinnigen Betrachtung von "Mardi" (FAZ vom 14. Oktober 1997) hat die Schriftstellerin Brigitte Kronauer den jungen Melville als den vorausahnenden Dichter der
Moderne beschrieben, der die kommenden Ambivalenzen nachtscharf in den Blick faßt.

(Nicht glanzvoll, blendend sagt man da, mein Junge!)

Hintermeier:

"Moby Dick" (1851) ist auch deshalb ein zentraler Text der Literatur des 19. Jahrhunderts, weil er in seinem Formenreichtum eine Tür zum 20. Jahrhundert aufmacht, als das noch gar nicht in Sicht ist.

Kronauer:

Nein, es läßt sich nicht leugnen, wir haben es - - - mit einem modernen Roman zu tun, vor 150 Jahren geschrieben.

Greiner:

Kein Wunder, daß die zeitgenössischen Kritiker diesen Spuk nicht mitmachen wollten.

Hintermeier:

Die zeitgenössische Kritik konnte sich nicht wirklich anfreunden mit diesem wüsten Sammelsurium von Stilen und Perspektiven; mit diesem Mischmasch aus Abenteuerroman, Allegorie und satirischer Zeitkritik.

Kronauer:

Die Reaktion der Kritiker und Leser war vernichtend, im besten Fall, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ratlos - - - Melville verstieß mit "Mardi" offenkundig in unverzeihlicher Weise gegen eine von ihm erwartete literarische "correctness", die lautete: Schreib, wie wir es von dir kennen, und bleib gefälligst bei deinem Leisten! - Nur war Melville eben kein Schuster und auch kein ehemaliger Seemann, dessen Kapazität sich mit spannenden autobiographischen Reiseromanen und schönen Naturschilderungen erschöpfte.

Greiner:

Verschweigen wir nicht, bevor uns der Enthusiasmus übermannt, daß "Mardi" unübersehbare Schwächen hat, deren Größe allein uns versöhnlich stimmt. Auf mancher Strecke dieses wundersamen Werks herrscht jene entsetzliche Windstille, die Melville eingangs beschreibt. Das 1 000-Seiten-Ding ist monströs. Das Übermaß der zeithistorischen Anspielungen und Gelehrsamkeiten (die der von Rainer G. Schmidt besorgte Anmerkungsapparat sorgfältig entschlüsselt) nervt nicht selten.

Hintermeier:

- - - plappert er im rhetorischen Überschwang alles aus, was er sich angelesen hat - - - Man muss sich nichts vormachen: Mit der historischen Distanz liest sich das heute strecken-weise aufregend, dann wieder - wie lange Windstille in den Kalmen - ermüdend, enervierend.

Kronauer:

Mußte denn diesem Übergangswerk, in dem Melville die Fesseln des Konventionellen, Nicht-Eigenen sprengt, um zwischen den Trümmern - ein erregendes Schauspiel - seine Schwingen unübersehbar zu entfalten, nicht notwendig, ja als Ausweis für die zu erwartende Spannweite seiner Flügel Homogenität fehlen?

Greiner:

Vollkommener ist Melville nur in "Moby Dick" gescheitert.

Hintermeier:

Es lohnt sich jedoch, einem Großen bei der Skizze zum Weltgebäude zuzusehen.

Kronauer:

"Mardi" ist noch nicht "Moby Dick".

Greiner:

Inzwischen befinden wir uns fast am Ende des Romans, und wir begreifen: Mardi ist die ganze Welt.

Hintermeier:

Sie kreuzen durch den Archipel von Mardi - ein anderes Wort für Welt.

Kronauer:

Mardi ist die Welt.

Greiner:

Die Übersetzung ist glänzend.

(Blendend, Junge, blendend!)

*

Der Übersetzbarkeit Melvilles sind weit engere Grenzen gezogen, als der erste Blick vermuten läßt. Siehe, zum Beispiel, Moby Dick, LXXXI, The Pequod Meets The Virgin, und CXV, The Pequod Meets The Bachelor. Vor die Wahl des deutschen Worts für die Materie gestellt, die sich im Bauch des einen Schiffes nicht, auf dem andern jedoch reichlich, sideways lashed in each of her three basketed tops were two barrels of sperm; above which,

in her top-mast cross-trees, you saw slender breakers of the same precious fluid, ja fast überall findet, nur in ihres Kapitäns pantaloons pockets nicht, those the gay Bachelor's commander, who stood erect on the ship's elevated quarter-deck, reserved to thrust his hands into, in self-complacent testimony of his entire satisfaction, haben die bisher fünf bis sieben Übersetzer, M. Möckli von Seggern, 1942, Fritz Güttinger, 1944, Thesi Mutzenbecher, unter Mitwirkung von Ernst Schnabel, 1946, Richard Mummendey, 1954, und Alice und Hans Seiffert, 1956, mit Recht, da hier die Übersetzerpflicht, des Originals gewahrte Fassade zu

bewahren, die Unterdrückung des ohnehin Unmöglichen gebot, sich

für alles Mögliche, für Walrat, Walöl, Spermaceti, Spermöl, aber auch für

Öl und Tran entschieden.

Aber selbst wo Phantasie und Sorgfalt helfen könnten, geht es gelegentlich schief. Das ist die Ausgangslage. The Piazza Tales, 1856, The Encantadas, Sketch Second, Two Sides To A Tortoise: "As I lay in my hammock that night, overhead I heard the slow weary draggings of the three ponderous strangers along the encumbered deck. Their stupidity or their resolution was so great, that they never went aside for any impediment. One ceased his movements altogether just before the mid-watch. At sunrise I found him butted like a battering-ram against the immovable foot of the foremast, and still striving, tooth and nail, to force the impossible passage." Wolfheinrich von der Mülbe, 1957: "Nachts dann lag ich in meiner Hängematte und hörte

über mir den langsam-müden Schleppschritt der drei gewichtigen Fremdlinge auf dem beladenen Deck. Ihre Dummheit oder ihr Eigensinn

bewirkte, daß sie niemals einem Hindernis auswichen. Eine hörte ich kurz vor Mitternacht ihren Marsch jählings abbrechen. Als die Sonne aufging, fand ich sie wie einen Sturmbock am Fuß des Fockmasts festgerammt, immer noch im Begriff, sich mit Zähnen und Nägeln den unmöglichen Durchgang zu erzwingen." Mummendey, 1967: "Als ich in der Nacht in meiner Hängematte lag,

hörte ich auf dem beladnen Deck

über meinem Kopf das leise träge Schleifen der drei gewichtigen

Fremdlinge. Ihre Sturheit oder ihre Entschlossenheit war so groß, daß

sie keinem Hindernis aus dem Wege gingen. Die eine der Schildkröten machte mit ihrem Marsch gerade

vor Beginn der Mitternachtswache endgültig Schluß. Bei Sonnenaufgang fand ich sie wie einen Sturmbock an dem unbeweglichen Fuß des Fockmastes festgerammt und immer noch damit beschäftigt, sich mit Zähnen und Krallen den unmöglichen Durchgang zu erzwingen." Aber froh schon, daß mir die Passage nicht entgangen war, habe ich es auch nicht viel besser gemacht, 1988: "Als ich in dieser Nacht in meiner Hängematte lag, hörte ich über mir das behäbige, müde Scharren der drei gewichtigen Fremdlinge auf dem beengten Deck. Ihr Stumpfsinn oder ihre Entschlossenheit war so groß, daß sie, gleichgültig auf welches Hindernis sie trafen, niemals zurückwichen. Eine stellte ihre Bewegungen ganz ein, kurz vor der Mitternachtswache. Bei Sonnenaufgang fand ich

sie wie einen Sturmbock gegen den unbeweglichen Fuß des Fockmasts

gerammt, und noch immer bemüht, mit Zähnen und Krallen, sich die unmögliche Passage zu erzwingen." Nicht gemerkt, daß draggings einen Hinweis darauf bietet, was die Gefahr des Schleifens ist, es unbedingt

"überladen" und besser "zur Seite wichen", und "unbewegten", aber niemals "Stumpfsinn" hätte heißen sollen, der Begriff impediment in der Terminologie der Medizin eine Funktions-, und speziell eine organische Sprachstörung bezeichnet, ponderous einen spöttischen Beiklang hat, movements in der Musiksprache Sätze sind, und endlich butted ja auch noch sagen könnte, daß das seltsame Geschöpf

es womöglich gar auch einmal im Rückwärtsgang versucht hat. Neun Schnitzer in zehn Zeilen, und wer weiß.

Das Element ist unbarmherzig.

Gefahren ringsum, und kein

Stecken und kein Stab. Moby-Dick, CXXXIV, The Chase - Second Day: "There she blows - she blows! - she blows! right ahead!" M. Möckli von Seggern: "Dort bläst er - er bläst! Er bläst - rechts vorn!" Mutzenbecher & Schnabel: "Wal! Wal! - da bläst er! rechts voraus!" Mummendey:

"Da bläst er - da bläst er - da bläst

er - rechts voraus!" Alice und Hans Seiffert: "Wal! Wal! ... Da bläst er ... bläst er! ... rechts voraus!" Nur bei Güttinger stimmt immerhin die

Richtung: "Blast voraus - Blast -

Blast - hart voraus!"

We are off. Wir sind los? Trotz ihres Vorzugs, daß frei, und sogar fast noch Raserei mitschwingt, eine Landrattenlösung, und zu weit off the point, auf dem Holzweg, selbst wenn die "Arcturion" vertäut in einem Hafen gelegen hätte, und nicht vor Ravavai vor Anker. Wir sind auf See? Richtig, aber auch bloß das, und ein Wort zuviel. Call me Ishmael. Sind auf See? Die richtige Anzahl Wörter, aber kein Gewinn. Haben Fahrt aufgenommen? Ein richtiger Nebensinn, und darum vielleicht die beste Variante, aber zu langsam und zu breit, und wohl kein Zufall, daß auch sie das Personalpronomen kappen muß.