Brigitte Sorg, Mitarbeiterin des Feministischen Frauen Gesundheitszentrums in Berlin

Wir brauchen keine Diskussion über Fristen

Wenn sich die katholische Kirche aus der Zwangsberatung des Paragraphen 218 zurückzieht, ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Eher eine gute Nachricht - vorausgesetzt, unabhängige Stellen übernehmen die Beratung. Eigentlich gehört die Zwangsberatung ganz abgeschafft, aber solange der Paragraph gilt, müssen die Frauen auch Zugang zu Beratungsmöglichkeiten haben. Aber es müssen nicht ausgerechnet Beratungsstellen der katholischen Kirche sein, die ja nicht gerade als Verfechterin des Selbstbestimmungsrechts der Frauen bekannt ist.

Eine neuerliche Diskussion um die geltende Abtreibungsregelung wird jetzt auch von Ärzteverbänden gefordert. Sie wollen ein generelles Verbot des Abbruchs nach der 20. oder 22. Woche durchsetzen.

Das finde ich auch schwierig. Der ethische Konflikt wird hier nur an dem Zeitpunkt des Abbruchs festgemacht. Dabei fängt der ja viel früher an: bei der Entwicklung und dem Einsatz der Pränataldiagnostik.

Auch Behindertenverbände oder Krüppelfrauen kritisieren die Sonderfristen, die gelten, wenn eine Behinderung des Kindes diagnostiziert wird.

Genau diese eugenische Indikation, die praktiziert wird, obwohl es sie offiziell nicht mehr gibt, wird in der aktuellen Diskussion nicht in Frage gestellt. Es geht nur um das Risiko, daß der Fötus lebensfähig geboren wird. Nicht diskutiert wird die Tatsache, daß bei dieser Indikation Leben bewertet wird und eine Abwertung von Menschen mit Behinderung stattfindet.

Also komplette Abschaffung des Paragraphen 218? Dann wären wir auch die Diskussion um Fristen los.

Die Abschaffung des Paragraphen 218 bleibt eine Forderung. Sie ist aber illusorisch.

Sollte statt einem Abbruch nach einer bestimmten Frist die Pränataldiagnostik verboten werden?

Nein, ein Verbot finde ich nicht richtig. Es kann nicht sein, daß Frauen gezwungen werden, ein Kind zu bekommen, das sie nicht wollen, genauso wenig, wie es sein kann, daß Frauen zum Abbruch gezwungen werden. Die Pränataldiagnostik abschaffen zu wollen, wäre auch illusorisch. Es gibt sie nun einmal, jetzt müssen wir damit umgehen.

Wie gehen denn Beratungsstellen, wie das Feministische Frauengesundheitszentrum, in der Praxis mit Pränataldiagnosen um?

Es gibt von uns ganz konkrete Forderungen. Zum Beispiel, daß die Pränataldiagnostik von der Schwangerenvorsorge getrennt wird. Das heißt, daß bei einer normalen Blutuntersuchung nicht automatisch ein entsprechender Bluttest mitgemacht wird. Eine Forderung ist auch, daß die Beratung zu Pränataldiagnostik, um die ja mittlerweile kaum eine schwangere Frau herumkommt, von unabhängigen Stellen gemacht wird und nicht von den Ärztinnen oder Ärzten, die auch die Diagnose durchführen. Die befinden sich ja im Moment in dem Dilemma, daß sie eventuell mit Schadensersatzforderungen konfrontiert werden, wenn sie die Diagnostik nicht anbieten. Andererseits darf auch das ökonomische Interesse der Ärztinnen und Ärzte nicht unterschätzt werden. Und die Beratung sollte freiwillig sein, nicht daß es zu einer Zwangsberatung wie im Zusammenhang mit dem Paragraphen 218 kommt.

Aber auch Beratung zu Pränataldiagnostik, wie sie zum Beispiel die Beratungsstelle Cara in Bremen durchführt, ist umstritten.

Da gibt es auch keine einheitliche Meinung unter Feministinnen. Ich denke, daß die Diskussion auf zwei Ebenen geführt werden muß: Individuell und gesellschaftlich-politisch. Die Pränataldiagnostik gibt es nun einmal, und wenn eine Frau individuell mit der Frage konfrontiert ist, dann muß auch eine Beratung stattfinden, die auch das Selbstbestimmungsrecht der Frau berücksichtigt. Aber das kann zu einer schwierigen Gratwanderung werden, weil hier teilweise das Selbstbestimmungsrecht auf die Lebensinteressen von Menschen mit Behinderungen trifft.

Politisch müßten andere Fragen gestellt werden. Wie behindertenfeindlich ist unsere Gesellschaft? Beispiel dafür ist das unglaubliche Urteil des Kölner Oberlandgericht, wonach Behinderte die Nachbarschaftsruhe stören. Wie geht unsere Gesellschaft mit Unterschiedlichkeit, Andersartigkeit um? Eine Auseinandersetzung mit dem Menschenbild müßte geführt werden, statt einer Fristendiskussion. Der Machbarkeitwahn, den die Pränataldignostik produziert, müßte angegriffen werden: Die Vorstellung, daß es machbar sei, lauter perfekte, gesunde Kinder zu haben. Wir müssen uns klar sein, daß Behinderung einfach zum Leben gehört.