Das Privileg, ein Hool zu sein

Lech Poznan steht am Tabellenende, seine Hools aber haben sich an die Spitze geprügelt

Der polnische Fußball steckt in der Krise. Die Profiligen gelten als korrupt, Spiele und Spieler werden, manchmal sogar am Spieltisch, verschoben, manche Vereine betreuen die Schiedsrichter in "Gesellschaftsagenturen", der Bordellbesuch soll mindestens ein Unentschieden sichern. Aber nicht nur deswegen bleiben die Fans den Stadien fern: Sie haben Angst vor Krawallen.

Bei oder nach ca. 1 000 Sportveranstaltungen mußte im letzten Jahr die Polizei anrücken, auf über 20 000 wird die Zahl der polnischen "Chuligani", der gewaltbereiten Hooligans, geschätzt. Die jungen Männer sind gut trainiert. Unterstützt durch Anabolika und Steroide bauen sie in Bodybuilding-Studios und Ringerklubs ihre Muskeln auf und profitieren auch finanziell von ihrer Körperkraft. Die Halb- und Unterwelt verpflichtet sie als Sicherheitskräfte und Schutzgeld-Eintreiber. "Seit die Mafia uns unterstützt, sind wir richtig stark", erklärt so Michael, einer der berüchtigten Hools der Lech Ultras, der gewalttätigen Fans von Lech Poznan. Den harten Kern der Ultras bilden 50 bis 60 Mann, zu angesagten Spielen, etwa gegen die verhaßte Warschauer Legia, den ehemaligen Armeeklub, lassen sich 500 und mehr Hools mobilisieren. Die meisten sind Berufsschüler, im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, Frauen werden nicht geduldet - Hooliganismus ist auch in Polen Männersache.

Uszol ist der Anführer der streng hierarchisch organisierten und mit militärischer Präzision agierenden Ultras. Der Zwei-Meter-Mann ist zur Zeit auf Bewährung. Eigentlich wollte er Kunst studieren, aber seine Noten waren zu schlecht. Er sagt: "Eigentlich ist das, was wir tun, schlecht. Aber ich brauche es, jemandem weh zu tun, Gewalt ist wie eine Droge für mich."

In polnischen Straßenbahnen werben Kampfhunde mit Handys im Maul für Mobiltelefone. Die Ultras benutzen sie, wie ihre europäischen Kollegen, für die Verabredung von Fights, und danach wird der Gegner angerufen: "Heute wart ihr besser, aber wir sehen uns bald wieder!" Seit die Polizei versucht, die Hool-Gruppen im Stadion voneinander fernzuhalten, werden neue Taktiken angewandt. Einer fährt z.B. mit dem Gegner im Zug und zieht an einer vorher verabredeten Stelle die Notbremse, auf offener Strecke erfolgt dann der Überfall.

Vor Auswärtsspielen von Lech findet am Bahnhof von Poznan die immerselbe Machtprobe statt: Die Polizei verweigert die Zugabfahrt, denn keiner der Hooligans hat ein Ticket. "Lech Koljeroz", brüllen die Ultras, "wir sind der Eisenbahnerklub." Bis 1989 war Lech das Werksteam der staatlichen Eisenbahn, vor zwei Jahren wurde der Verein neu gegründet, um die Schulden loszuwerden. Im neuen Vereinsemblem fehlt jeder Hinweis auf den Ursprung des Klubs, doch die Hools interessiert das nicht - ein Eisenbahner braucht keine Fahrkarte. Und deshalb setzt sich der Zug auch schließlich in Bewegung, mit allen Ultras. Drinnen wird für den Schaffner gesammelt, der eine Baseballkappe voller Münzen mit nach Hause nehmen kann.

"Es ist ein Privileg, Hooligan zu sein. Wer einmal zu uns gehört, will auch nicht mehr weg", sagt Michal, für den Fußball Zugang zur Macht bedeutet, "ohne Gewalt geht man in Polen leer aus." Daß die polnische Polizei gegen die Ultras aus Poznan besonders hart vorgeht, freut die sehr: "Die Polizei hat uns mit ihrem Verhalten zusammengeschweißt. Das sind frustrierte Schlägertypen, die keine Perspektive haben. Die hauen nur rein, das macht uns aber noch aggressiver!" In den Medien wird jedoch kaum über die Gewalt beim Fußball berichtet, weder über die von der Polizei ausgeübte noch die der Hools. Radoslaw Patroiniak von der Gazeta Poznanska begründet dies: "Wir wollen den Hooligans kein Forum mehr bieten." Die Öffentlichkeit sei ausreichend über die Problematik informiert, "jetzt müssen Politik, Justiz und die Soziologen daran arbeiten".

Beim Verein sieht man die Ultras mit eher gemischten Gefühlen: "Wir Spieler sind nicht glücklich, daß unsere Fans Hooligans sind. Aber ohne sie würde hier Friedhofsruhe herrschen", sagt Stürmer Pjotr Reiss. "Nach schlechten Spielen haben wir Schuldgefühle, denn dann werden sie verspottet und zerstören noch mehr." Im Oktober 1996 war es nach einem Heimspiel gegen Legia zu schweren Krawallen mit über 100 Verletzten gekommen, das Stadion an der Ulana Bulgarska wurde für ein halbes Jahr gesperrt. Lech mußte alle Spiele auswärts absolvieren und konnte zwölf Mal hintereinander nicht gewinnen. In dieser Saison spielte Lech Poznan überraschend vorn mit, bis im Herbst das Stadion erneut gesperrt wurde, nun kickt man am Tabellenende. Sicherheitsmaßnahmen wie Zuschauerausweise, Videoüberwachung und insgesamt sechs Kilometer Zaun hatten nichts genutzt. Präsident Ryszard Dolata klagt: "Die juristischen Grundlagen, um die Täter zu bestrafen, fehlen noch" - die Videoaufzeichnungen werden vor Gericht nicht als Beweismittel anerkannt.