An der langen Leine

Die protestantische UFF hat ihre Verantwortung für die jüngsten Anschläge in Nordirland zugegeben und die Aktionen für beendet erklärt: Wenig später wurde erneut ein Katholik in Belfast ermordet

"Nordirland versinkt in barbarischer Erniedrigung, einer Erniedrigung, der die Menschheit sogar im offenen Krieg unwürdig ist. Kein moralischer oder politischer Kodex kann dieses nihilistische Abschlachten unschuldiger Menschen rechtfertigen." So beschrieb die liberale britische Tageszeitung The Guardian am 21. Januar die aktuelle Lage in der Krisenprovinz nach dem jüngsten Mord an einem katholischen Taxifahrer. "Wo ist die moralische Mehrheit? Warum gibt es keine Massendemonstrationen?" fragte der Guardian.

Sowohl der britischen als auch der irischen Öffentlichkeit scheint immer noch nicht bewußt zu sein, daß die Taktik der loyalistischen Extremisten die Interessen der konstitutionellen protestantischen Parteien bestens bedient: Die Morde, die die sechs Grafschaften zur Zeit erschüttern, waren und sind seit der Entstehung des nordirischen Staates im Jahre 1920 stets ein besonders erfolgreiches Instrument gewesen, um die nationalistische Minderheit in der Provinz an der kurzen Leine zu halten.

Die politisch verantwortlichen Personen, die diesen Kreislauf unterbrechen könnten, sitzen derzeit im Hochsicherheitsgefängnis Maze ein. Dort traf sich dann auch zu Beginn dieses Jahres David Trimble, Führer der größten unionistischen Partei Nordirlands, der Ulster Unionist Party (UUP), mit den Anführern der mächtigsten protestantischen Gruppierungen, den Ulster Freedom Fighters (UFF) und der Ulster Defence Association (UDA).

Anlaß des - als äußerst kontrovers aufgefaßten - Besuches war die Erschießung des loyalistischen Top-Killers der Splittergruppe Loyalist Volunteer Force (LVF), Billy Wright, am 27. Dezember 1997 im angeblich sichersten Gefängnis Europas. Ziel der Visite war, die militanten Protestanten dazu zu bewegen, sich auch weiterhin an den Friedensgesprächen zu beteiligen - denn nur mit geschlossenen Reihen ist die sogenannte pan-nationalistische Front zu besiegen.

Die Gespräche fanden in einem Raum statt, der von einem riesigen Wandgemälde mit der Botschaft "Tötet sie alle, das Aussortieren überlassen wir Gott" beherrscht wird. Sam Mc Grory, Kommandeur der UDA im Gefängnis von Maze, bewies mit seinem "White Power"-Tattoo auf dem Handrücken vor laufenden Kameras, welche Methoden er für die Lösung des irischen Problems bevorzugt.

Bereits eine Woche zuvor war die Nordirland-Ministerin Mo Mowlam nach Maze gereist, um die Gefangenen der loyalistischen Gruppen trotz des Attentats der republikanischen Splittergruppe INLA auf Wright, den "Rattenkönig", zu überzeugen, an ihrem Waffenstillstand festzuhalten. Tatsächlich hatte die UFF zusammen mit der LVF von Wright, die dem Friedensprozeß grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, seit dessen Erschießung ihren Waffenstillstand längst aufgekündigt: Innerhalb von drei Wochen fielen sieben Katholiken den Todesschwadronen zum Opfer, der letzte, ein Taxifahrer, in der Nacht zum vergangenen Sonntag.

Am 22. Januar, nachdem der nordirische Polizeipräsident, Ronnie Flanagan, die UFF als Drahtzieher der neuen Gewaltwelle benannte, übernahm die Gruppe schließlich die Verantwortung für die neue Mordserie.

Die UFF habe, heißt es in dem Kommuniqué, auf "republikanische Aggression" reagiert und "eine angemessene militärische Antwort" gegeben. Diese Aktion sei nunmehr abgeschlossen, jetzt sei es Aufgabe der republikanischen Bewegung, die Konfrontation zu beenden. Drei Stunden nach der Veröffentlichung des Kommuniqués wurde ein katholischer Baggerfahrer durch Kopfschüsse ermordet; der Mann hatte von seinem Chef den Auftrag erhalten, eine Straße im protestantischen Nordbelfast aufzureißen. Am nächsten Tag kam es in Belfast im Zusammenhang mit der Attentatsserie zur Verhaftung von zehn Personen, denen mehrheitlich Verbindungen zur UFF nachzuweisen sind.

In Nordirland geht wegen des letzten Attentats die Furcht um, daß die loyalistischen Gruppen ein altbekanntes Verhaltensmuster erneut anwenden werden: Die Strategie des "No claim, no blame" (Kein Geständnis, keine Schuldzuweisung). Diese Strategie birgt für die unionistischen Politiker den nicht zu unterschätzenden Vorteil, daß derartige Morde als die Arbeit einiger weniger durchgeknallter Psychopathen (Splittergruppen), die ohne die Unterstützung der protestantischen Bevölkerung ausgeführt würden, abgetan werden können.

Die Beweisführung dabei ist einfach: Wird der Status quo nicht aufrechterhalten, gerät die Situation außer Kontrolle, Nordirland muß deswegen weiterhin eine extrem hohe Militärpräsenz aufweisen, um die Bevölkerung vor solchen Anschlägen beschützen zu können. Jeder mit der katholischen Bevölkerung geschlossene Kompromiß führt in diesem Sinne zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage: Die Angst vor unmittelbar bevorstehenden, willkürlichen Anschlägen soll die katholische Bevölkerung dazu zwingen, ihre Forderungen nach mehr Rechten und engeren Beziehungen zur irischen Republik abzumildern. Nur eine "interne Lösung" könne den Frieden ermöglichen: Ein nach der erzwungenen Auflösung von 1972 neu zu installierendes Parlament sei der einzige Garant einer zukünftigen friedlichen Koexistenz der Konfessionen.

Die Mehrheitsverhältnisse in Nordirland implizieren jedoch, daß sich die erdachten Selbstverwaltungsmechanismen ausschließlich in einem britisch definierten Rahmen bewegen können. Für irische Nationalisten steht ein nordirisches Parlament allerdings für die Bestätigung der unionistischen Willkürherrschaft.