Ein Gipfel ohne Treffen

Clinton blieb nicht nur mit seinem Plan allein, sondern auch mit Israels Premier Netanjahu und mit Palästinenserpräsident Arafat

In den Pausen zwischen seinen diversen seitensprungdementierenden Statements empfing US-Präsident Bill Clinton in der vergangenen Woche in Washington nacheinander den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Yassir Arafat.

Was der Friedensprozeß im Nahen Osten mit Clintons Privatleben zu tun hat, wissen bloß Gerüchte: Die 24jährige Monica Lewinsky, die als Praktikantin im Weißen Haus mit Clinton eine Affäre gehabt haben soll, sei Jüdin, so kolportierte die Neue Zürcher Zeitung eine von palästinensischen Journalisten in die Welt gesetzte Geschichte, also, so wird gefolgert, Mossad-Agentin, und "ihre Aufgabe sei es gewesen, den amerikanischen Präsidenten zu verführen", damit dieser "im Friedensprozeß nun noch weniger Druck ausüben werde".

Das abenteuerliche Gerücht paßt zum gescheiterten Nahost-Gipfel letzte Woche in Washington, der schon deswegen keine Erfolge zeitigen konnte, weil er kein Gipfel war. Arafat und Netanjahu trafen sich nämlich nicht, sondern hinterließen nur die Absicht, vielleicht 14 Tage später zusammenzukommen.

Dies ist ein Ergebnis, das von Netanjahu nicht unbedingt als Mißerfolg gewertet wird. Er ließ sich, kaum wieder zurück in Israel, von rechten Kräften feiern, weil aus seiner und ihrer Sicht alles erfolgreich verlaufen ist: Der Friedensprozeß ist weder von der US-Administration noch von der Palästinensischen Autonomiebehörde für gescheitert erklärt worden, gleichwohl mußte die israelische Regierung keinen Rückzieher in ihrer Politik machen, die von der Gegenseite verlangt sicherzustellen, daß es keinerlei terroristische Aktionen gibt. Stolz verkündete Netanjahu, daß der Bau weiterer jüdischer Siedlungen in besetzten Gebieten nicht unterbrochen werde.

So ganz zufrieden war man in Israels rechtem Lager mit dem Premier allerdings nicht. Denn in Washington hatte Netanjahu noch zugestanden, ungefähr ein weiteres Zehntel der Westbank zu räumen - bislang wurden im Gefolge der Osloer Verträge erst rund 27 Prozent an Arafats Behörde übergeben. Das ist der israelischen Rechten zu viel, den Palästinensern zu wenig, und die US-Kompromißformulierung, es sollten binnen kurzer Zeit weitere 15 Prozent sein, fand bei keiner der Parteien Zustimmung.

Das Gerücht, wonach Clinton selbst einen detaillierten Plan vorgelegt habe, wie der in den Osloer Verträgen vorgeschriebene Truppenabzug endlich in Gang kommen könne, wurde von keiner Seite bestätigt. Dieser US-Plan, den es offiziell nicht gibt, sieht nach Aussagen von Mitarbeitern des Weißen Hauses vor, daß die Palästinenser verstärkte Sicherheitsanstrengungen unternehmen, was vor allem entschlossenere Polizeieinsätze gegen militante Demonstrationen bedeuten würde, und im Gegenzug Israel schrittweise aus den besetzten Gebieten abzieht: 15 Prozent als israelische Vorleistung, weitere Schritte nach jeweiliger Analyse der Aktionen der Gegenseite. Dieser Plan wurde von den Arbeitsgruppen beider Parteien genau geprüft, aber von Ergebnissen war nichts zu hören. Und von einer Realisierung ist man entsprechend weit entfernt.

Wie weit, das zeigen einige Aspekte, die am Rande des Treffens in Washington zu bemerken waren. So forderte Netanjahu unter anderem vom Palästinensischen Nationalrat, seine Forderung nach der Zerstörung Israels offiziell für ungültig zu erklären. Arafat reagierte sofort, schrieb einen Brief an Clinton - interessanterweise nicht an Netanjahu -, in dem es hieß, die Forderung, Israel zu eliminieren, sei im April 1996 gestrichen worden. "Der Mann hat ein schreckliches Gedächtnis", kommentierte A.M. Rosenthal in der New York Times: "Mr. Arafat unterstrich in einem Interview mit einer palästinensischen Zeitung noch einmal eine Erklärung aus dem Jahr 1974, in der die volle Übernahme des von Israel kontrollierten Territoriums gefordert wird. Dieses Interview erschien 22 Tage vor seinem Brief."

Unabhängig von machtpolitischen Interessen, die die Netanjahu-Regierung leiten, den Friedensprozeß zu bremsen oder gar zu blockieren, ist die Angst vor palästinensischem Antisemitismus für große Teile der israelischen Öffentlichkeit ein wichtiges Motiv, den Friedensprozeß mißtrauisch zu begleiten.

"Israel, den Zionismus und seine Führung des Nazismus zu bezichtigen, wie auch den Holocaust zu leugnen, ist zur täglichen Routine geworden", schrieb im September der israelische Journalist Nadav Ha'etzni in der liberalen Zeitung Ma'ariv. Und gerade im Gefolge des - zumindest aus Arafats Sicht gescheiterten - Washington-Gipfels wurden von seiten seiner PLO-Strömung, der Fatah, wieder Überlegungen und Pläne bekannt, mit militärischen Aktionen politischen Druck zu erhöhen. Welche Rolle Yassir Arafat in diesem Zusammenhang spielt - Motor antisemitischer Propaganda, damit die eigene Klientel nicht auseinanderläuft, oder Opfer von Auseinandersetzungen innerhalb des Palästinensischen Nationalrats -, bleibt unklar.

Offenbar wurde dies bei den Auseinandersetzungen darüber, ob Arafat vor seinem Treffen mit Clinton das Holocaust Museum in Washington besuchen durfte. Die Idee zu dieser als Versöhnung gedachten Geste kam von zwei Mitarbeitern von Clintons Arbeitsgruppe, die das Treffen organisierte. Aber das Museum sagte ab. Die Verantwortlichen des Museums betonten zwar, ihre Absage beruhe lediglich darauf, daß sie nicht in politische Dinge involviert werden wollten, was man im Falle eines Arafat-Besuchs nicht verhindern könne, aber die Behauptung einer unpolitischen Absage überzeugte niemand.

Kurz vorher war in der Washington Post ein Kommentar erschienen, in dem Arafat als "Inkarnation Hitlers" bezeichnet wurde, und Dan Naveh, Kabinettssekretär, Netanjahu-Vertrauter und Mitglied eines in Israel sehr wichtigen Forums zur Beobachtung des Antisemitismus, zeigte sich über die Absage des Besuchs "sehr erfreut", die Einladung sei eine "zynische Idee" gewesen. Israelische Holocaust-Museen erklärten, sie seien bereit, Arafat zu empfangen.

Die Frage, ob ein Arafat-Besuch im Holocaust-Museum eine "historische Chance für einen psychologischen Durchbruch" bedeutet hätte, wie ein nicht genanntes israelisches Delegationsmitglied von der linksliberalen Zeitung Ha'aretz zitiert wurde, oder ob er eher ein Affront gegenüber den israelischen Ängsten vor palästinensischem Antisemitismus gewesen wäre, bleibt unbeantwortet. Als die Netanjahu-Delegation am vergangenen Donnerstag wieder in Tel Aviv ankam, verkündete Kabinettssekretär Dan Naveh zufrieden: "Es gab keinerlei amerikanischen Druck - bei keinem der Treffen."