Grünen-Politiker Martin Budich, Kritiker der rot-grünen Koalition in NRW

»Wir wollen die Koalition beenden«

Zwei Wochen nach ihrer klaren Entscheidung für eine Fortführung der Koalition mit der SPD wollen die nordrhein-westfälischen Grünen am kommenden Wochenende in Gelsenkirchen ihre Kandidaten für die Bundestagswahl bestimmen. Welche Auswirkungen wird der Jüchener Parteitag auf die Listenaufstellung haben?

Die Auseinandersetzung von Jüchen ging quer durch die Partei, jenseits der alten Fraktionen. Doch die existieren weiterhin, und sie werden in Gelsenkirchen wieder eine Rolle spielen. Daher glaube ich, daß diese Debatte um einen Koalitionsausstieg in NRW auf die Listenentscheidung am nächsten Wochenende keinen großen Einfluß haben wird.

Trotzdem hat der Jüchener Beschluß Spuren hinterlassen. Der Kreisvorstand der Dortmunder Grünen ist geschlossen zurückgetreten. Er verkündete, daß er das Umfallen der Parteimehrheit in der Garzweiler-Frage nicht mittragen könne. Zerfallen die NRW-Grünen?

Auch ich bin der Ansicht, daß insbesondere Bärbel Höhn umgefallen ist. Aber das war absehbar. Rücktritte oder gar Parteiaustritte sind die falsche Antwort. In Dortmund haben auch örtliche Konflikte zwischen Partei und Fraktion eine große Rolle gespielt. Da kam Jüchen wohl ganz gelegen. Sie werden jedoch mit ihrem Schritt alleine bleiben. Es gibt ansonsten noch genau einen Austritt, von einer Ratsfrau in Soest.

Was haben Sie denn überhaupt gegen die Koalition mit der SPD? 1982 sind Sie als Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Mitglied des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes aus der FDP ausgetreten, weil sie die Koalition mit der SPD hat platzen lassen. Was macht die NRW-SPD 1998 für Sie so viel unerträglicher als die damalige SPD Helmut Schmidts?

Für mich ist nicht die SPD das entscheidende Kriterium. Es geht hier aus-schließlich um die Glaubwürdigkeit und die Geradlinigkeit der Grünen. Ich komme zu dem Ergebnis, daß wir letztes Jahr in Borken einen richtigen Beschluß gefaßt haben, und daß Bärbel Höhn als Umweltministerin diesen Beschluß heimlich revidiert hat. Jetzt ist innerparteilich eine Basis mobilisiert worden, die das absegnet.

Besitzen die NRW-Grünen überhaupt noch eine erhaltenswerte Glaubwürdigkeit? In allen anderen Fragen, wie z.B. der eines Abschiebestopps für Flüchtlinge, haben die NRW-Grünen längst klein beigegeben.

Die innerparteiliche Opposition hat schon vor mehr als einem Jahr in Hamm versucht, an Fragen jenseits von Garzweiler II die Koalition zu beenden. Damals ist gesagt worden, daß man das an den vorgebrachten Punkten - es ging um Verkehrsprojekte - nicht deutlich machen kann. Wir wollten nicht nur deshalb aussteigen, weil wir gegen bestimmte Verkehrsprojekte sind, es ging um mehr. Damals wie heute haben wir gesagt: Wir wollen die Koalition beenden, weil die SPD den Koalitionsvertrag bricht.

Hat die SPD in der Garzweiler-Frage tatsächlich die Koalitionsvereinbarung gebrochen? Bereits beim Abschluß des Koalitionsvertrages hat sie eindeutig erklärt, daß Garzweiler II auf jeden Fall komme, egal, was die Grünen dazu meinen.

Man hat sich damals verständigt, ein bestimmtes Zeitfenster zu öffnen, in dem Grüne und SPD zusammenarbeiten können. Dazu gehörte, daß man den Rahmenbetriebsplan so formulierte, daß er ergebnisoffen auch noch die wasserrechtliche Prüfung beinhaltet. Daran hat sich die SPD nicht gehalten.

War die grüne Basis zu dumm, um das zu erkennen?

Im Vergleich zum Parteitag letztes Jahr in Hamm ist inzwischen schon ein ernstzunehmendes Argument hinzugekommen, warum die Koalition nicht beendet werden sollte. Auch viele Linke sagen nun: Kohl ist so schlimm, dafür können wir auch noch diese Kröte schlucken. Ich halte das für falsch. Aber ich halte es für ein respektables Argument, daß sich ein hoher Einsatz lohnt, um Kohl abzulösen.

Gibt es nach Jüchen überhaupt noch einen Punkt, an dem die Grünen in Nordrhein-Westfalen die Koalition platzen lassen könnten?

Ich glaube, mit dieser Entscheidung haben die Grünen kein Drohpotential mehr. Ich weiß auch nicht, wie sie wieder ein ernstzunehmender Faktor werden wollen. Aber das eigentlich Dramatische an diesem Parteitag ist, daß die Grünen bewußtseinsmäßig in einem entsetzlichen Umfang zu einer gesellschaftlichen Entpolitisierung beitragen. Weil sie so tun, als wenn gesellschaftliche Veränderungen nur in der Regierung machbar wären. Ob nun Kalkar, Wackersdorf, Hamm-Uentrop oder jetzt Mülheim-Kärlich - diese Großprojekte sind alle durch außerparlamentarische Opposition, durch außerparlamentarische Maßnahmen erfolgreich destruiert worden. Wenn die Grünen jetzt als Kronzeugen dafür auftreten, daß man nur etwas über Regierungsbeteiligungen verändern könne, dann sind sie beim Gegenteil dessen angekommen, wofür sie einmal gegründet worden sind.