20. Chauffeur beim Chef

Fortgesetzte Erzählungen

Auf die Frage, warum ich nicht zur RAF bin, gibt es nur eine Antwort: Weil Andreas Baader mir die Stelle als Chauffeur dann doch nicht geben wollte.

Wir kannten uns aus den sechziger Jahren, als ich noch in diesen Westberliner Lokalen verkehrte, wo die Bohème sich spreizte und kleinwüchsige Giftzwerge sich gegenseitig in den Mantel der Geschichte halfen. Ich sage nur S-Bahnquelle, Zum Schotten, Old Eden Salon und so weiter.

Das alles ging mir rasch durch den Kopf, als Andreas im Spätsommer 1977 meine kümmerliche Kanzlei in Köln betrat, sich in den Ledersessel fläzte und einen spindeldürren Joint aus der Hemdtasche zog.

Meine Blattpflanze hüstelte verstohlen.

"He, Andi", sagte ich erfreut, "was machst du denn hier? Ich denke, du sitzt im Knast."

"Bleib cool, Modder", antwortete er. "Das tue ich auch. Offiziell jedenfalls. Sie haben da eine Methode, die Fernsehüberwachung zu manipulieren. Magst du auch so eine?"

Ich nickte, er schnippte. Ich fing.

"Hast du schon was vor heute abend?"

"Nicht viel", sagte er ruhig, aber ich merkte, er war euphorisch wie Trotzki auf dem Kreuzer Aurora. "Morgen früh vorm Wecken muß ich wieder einfahren."

So war er immer, wenn er an einem Projekt arbeitete. Das ganze Ding schien sich bereits vor seinem inneren Auge abzuspielen und er voll dabei.

"Verstehe", sagte ich und erweckte das Stäbchen zum Leben.

"Ja", sagte er mit einer etwas zu groß geratenen Handbewegung. "Hier in Köln soll übermorgen ein kleines Feuerwerk stattfinden, und wir wollen vermeiden, daß die Kids was anbrennen lassen."

"Verstehe", sagte ich nochmal und holte tief Luft.

Nachdem ich mich von dem Hustenanfall erholt hatte, sagte ich, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, mit einem berühmten Polit-Terroristen zu kiffen:

"Nu' komm schon, was hab' ich damit zu tun?"

"Wir suchen einen unverfänglichen Mann für die Austauschverhandlungen. Einen Anwalt, wegen der Verschwiegenheitspflicht."

Ich wackelte ein bißchen kompetent mit dem Kopf und schwieg erst mal gewaltig. So kifften wir eine Weile vor uns hin, kriegten leuchtende Kinderaugen und fingen schon an zu kichern, wenn die Sachen im Raum zu tanzen begannen, weil ein Auto sein Licht hereinwarf.

"Na, was sagst du dazu?" fragte er nach einer halben Ewigkeit.

"Der Stoff ist nicht schlecht", sagte ich genauso zögernd, "aber was hab' ich davon? Kein Mensch glaubt mehr an die Wiedervereinigung und bei mir verstauben die Akten."

Er kicherte wieder, und seine schwarzen Zahnstümpfe tauchten meine Amtsstube in ein freundlicheres Licht.

"Du schickst ihnen eine ganz normale Rechnung. Allgemeine Geschäftsbesorgung. Geschäftswert zwanzig Millionen. Zehn für den fetten Nazi, den Rest für uns. Da kommt was zusammen."

"Eine Rechnung."

"Ja."

"An die Bundesregierung."

"Ja."

"Großer Gott! Die lassen mich lieber abknallen, als eine müde Mark zu bezahlen. AußerdemÖ"

"Außerdem was?"

"Ich weiß gar nicht, ob ich so dafür bin."

"Oh Mann, du hast Sorgen."

"Was mach' ich zum Beispiel nach der Revolution? Meinst du deine Leute lassen mich weitermachen wie bisher, daß ich mich um nix weiter zu kümmern brauche, als daß die Leute, die heute im Westen leben, ihre Grundstücke wiederkriegen, falls das mal zu 'ner Art Wiedervereinigung kommen sollte?"

Er beobachtete mich spöttisch, wie ich da leicht kurzsichtig, behäbig und träge zwischen diversen Aktenstapeln meine grundsätzlichen Bedenken gegen den modernen Terrorismus vortrug. Das Dope waberte gemächlich durch den Raum, und von draußen leuchteten die Neonlichter der Cafés, Eßlokale, Diskotheken und Abfüllstationen herein.

"Du kannst mein Chauffeur werden, wenn du willst", sagte er generös. "Du bist zwar eine komische Figur, aber du erzählst immer so dumme Geschichten und bist wenigstens nicht so langweilig wie die anderen Grufties, die bis heute nicht getickt haben, was Sache ist."

Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt. Es war zwar üblich in der RAF, den Parteigängern und Unterstützern diverse wohlklingende Jobs zu versprechen. Der eine machte sich Hoffnungen, in einer Großstadt Vorsitzender des Wohlfahrtsausschusses zu werden, ein anderer besaß schon Visitenkarten mit dem Aufdruck Der Justizminister der deutschen Volksrepublik, und einen bekannten Kleinverleger hatte Ulrike persönlich zum stellvertretenden Kultusminister, zuständig für das gesamte Verlagswesen, nominiert. Ich will jetzt hier keine Namen nennen.

"O.k.", sagte ich deshalb. "Chauffeur reicht mir."

Chauffeur beim Chef war so ziemlich das größte, was einem verkorksten Angehörigen einer parasitären Klasse nach der Revolution widerfahren konnte. Denken Sie an Stalins langjährigen Fahrer Pauker. Er war Friseur am Budapester Operettentheater, ein schleimiger Intrigant und Kulissenschieber. Als Chauffeur avancierte er zum persönlichen Berater, Saufkumpan, Leibbarbier und Witzeerzähler, der Väterchen Stalin mit den neuesten Gerüchten versorgte.

Andreas erhob seine schlaksige Jungensgestalt aus dem Faulteil und streckte sich. Er schien kein Gramm Fett auf den Rippen zu haben. "Vielleicht sollte ich auch mal eine Weile im Knast Urlaub machen", dachte ich. Er sagte:

"Na, dann zeig mal, ob du noch fahren kannst."

Das war natürlich ein Fehler. Ich fahre zwar prinzipiell nur schrottreife Autos ohne PS, Hubraum und sonstige Schikanen und schleiche rum wie ein Amerikaner. Aber wenn der Chef einer weltweiten Bande mich derart provoziert, werde ich schwach.

Ich zeigte ihm also ein bißchen, daß ich auch im dichten Feierabendverkehr noch immer locker drei Zivilfahrzeuge irgendwelcher Spezialeinheiten abhängen kann, wenn sie nicht gerade von allen vier Seiten kommen, nahm ein paar Einbahnstraßen falsch rum, raste in Einfahrten mit Hinterausgang, die nur Eingeweihte kennen, hielt das Schimpfen und Fluchen meines Beifahrers für Beifall, ließ vor dem Griechen langsam ausrollen, stellte fest, daß ich unsere Verfolger abgehängt hatte und sagte stolz:

"Na, wie haben wir das gemacht?"

Er schüttelte den Kopf und frug leise:

"Sag mal Modder, tickst du nicht mehr richtig? Die einfach abzuhängen. Die hätten uns abknallen können!"

Ich ließ die Schultern hängen. "Tut mir leid, Andi. Gehn wir wenigstens noch ein Bier trinken?"

Wir gingen noch auf ein paar Kölsch zu Ernesti, aber der Abend war irgendwie im Eimer, und von der Stelle als Fahrer war auch nicht mehr die Rede.

Zwei Tage später fand die Schleyerentführung statt, doch niemand nahm meine Vermittlung in Anspruch. Statt dessen hörte man nur von einem gewissen Payot oder so. Erst nach der Nacht von Stammheim tat sich noch mal was in der Sache.

Zwei Agenten machten es sich in meinen Ledersesseln gemütlich, rührten in den Kaffeetassen, redeten eine Weile rum und fragten schließlich, ob ich in letzter Zeit unerwarteten Besuch gehabt habe. Ich verneinte kühl und meinte, es sei momentan viel zu gefährlich, bestimmte Leute gekannt zu haben.

"Ich weiß, was Sie denken", sagte der eine und zauberte einen spindeldürren Glimmstengel hervor. "Aber wir haben ihren Besucher nicht umgebracht."

Er holte einen Kamm, Spiegel und Schminkzeug aus der Tasche, schmierte sich was ins Haar und kämmte sich glatt, betupfte sich auch ein paar Zähne mit schwarzer Farbe, schminkte sich kurz um, so daß seine Gesichtszüge markanter wurden, zog die Lederjacke aus, so daß seine breiten Schultern und sein Astralleib sichtbar wurden, und sagte spöttisch:

"Magst du auch so eine?"

Ich nickte, er schnippte. Ich fing.

So kifften wir eine Weile wortlos vor uns hin, kriegten leuchtende Kinderaugen und fingen schon an zu kichern, wenn die Sachen im Raum zu tanzen begannen, weil ein Auto sein Licht hereinwarf.

Seither sind mehr als zwanzig Jahre vergangen und manchmal frage ich mich, ob Andreas das Massaker vielleicht überstanden hat. Vielleicht haben sie einen anderen an seiner Stelle aus der Anstalt getragen. Vielleicht war er wirklich ein zweites Mal bei mir, um mir zu zeigen, daß er lebt.

Wir hatten uns ein paar Jahre nicht gesehen.

Nächste Woche: "Gestorben wird immer"