Der Feminat-Staat

Nicht auf der Höhe der Tiefenhermeneutik: Sönke Wortmanns "Der Campus"

Political Correctness war in Deutschland noch nicht bekannt, da gab es schon die PC-Abwehr. Mit dem Verlust eines äußeren Feindbildes ging auch die balance of power im alten Sinne verloren, unter der sich die Hardliner der beiden deutschen Staaten hassen konnten: Der Untergang der DDR führte zur Diversifizierung der Feinde.

Nicht, daß nicht auch früher der Hauptfeind an der eigenen Universität gehaust hätte - furchtbare FrauenLesben-Gruppen oder Schwulen-AGs unermeßliche Mittel besessen hätten, um alles zum Faschismus zu erklären und zudem das politische Mandat forderten.

Ein brisantes Thema, läßt die Presseagentur von Sönke Wortmanns Film "Der Campus" verlauten, in der "aktuell aufgeheizten Stimmung der 'political correctness'". Und so blafft die langhaarige Studentenkarikatur, Alibi-Parität des Disziplinarausschusses, "Das ist Faschismus", als ihr was nicht paßt: Die Gagmaschine läuft sich warm, das Publikum hat was zu lachen über den armen Trottel. Gleich wird er vom Ordinarius zurechtgewiesen. Wir hätten das auch so gemacht. Obacht: Das ist Satire.

Auf dieser Welle zu reiten, ist minderbemittelt. Gegen einen Moralkodex vorgehen, der nicht so richtig da ist, um einen neuen einzurichten - dem haftet etwas von Zuspätkommen an. Man fragt sich oft, warum es im deutschen Kino so wenig Reelles gibt, und wenn, warum, so seltsam verdreht (Ausnahmen bestätigen die Ausnahme). Da ist cineastischer Mainstream immer auch gleich sein eigenes Extrem - man mag's gern radikal. Sönke Wortmann, Erfolgsregisseur von "Kleine Haie" über "Der bewegte Mann" bis zu "Das Superweib", widmet sich in "Der Campus" der Frage, welche Spuren Feminismus und politische Korrektheit an der Hamburger Universität hinterlassen hat. In Hamburg, darauf wird verwiesen, herrscht ein rot-grüner Senat; und damit sei dort die feministische Restriktion an der Macht.

Lauterbach spielt den Soziologie-Professor Hanno Hackmann, einen akademischen Überflieger, verheiratet, ein Kind. Er ist rasch aufgestiegen und nun sogar als Universitätspräsident im Gespräch. Die Affäre mit der Studentin Barbara (Sandra Speichert) gilt es im neuen Leben zu beenden. Babsi ist wütend, freut sich aber viel zu sehr darüber, daß sie die Hauptrolle in einem Stück der Theater AG bekommen soll: als Vergewaltigungsopfer. Hanno und Babsi legen sich ein letztes Mal auf den Schreibtisch.

Babsi begründet ihre überzeugende Darstellung auf der Bühne gegenüber der Leiterin Brigitte Schell (Maren Kroymann) lachend mit eigenen Erfahrungen. Aber das Feminat kennnt keinen Spaß: Schell nimmt den Fall ernst und glaubt, einer echten Straftat auf der Spur zu sein. Sie verweigert Barbara die Rolle. Die hatte im Soziologie-Studium einige Probleme und glaubte, im Schauspielen ihre Zukunftsperspektive gefunden zu haben. Sie bricht zusammen und landet in der Klinik.

Schell informiert den Leiter des Disziplinarausschusses, Weskamp (Axel Milberg). Das Gerücht einer Vergewaltigung macht die Runde. Weskamp spürt seine Chance, etwas für seine politische Karriere zu tun - schließlich ist sogar der Wissenschaftssenator schon auf ihn aufmerksam geworden; neben der frischen "feministischen" Frauenbeauftragten Wagner (Barbara Rudnik) und dem Leiter des Institus für Deutsch als Fremdsprache, Heribert Kurtz (Stefan Jürgens). Auch der amtierende Präsident Schacht (Rudolf Kowalski) sieht eine Chance, den konservativen Kontrahenten, der mit Elitestudiengängen dem linksliberalen Schlendrian entgegensteuern will, auszuschalten.

Das Komplott reicht also von ganz unten bis nach ganz oben, geschickt einerseits, zufällig andererseits, weil gewisse gesellschaftliche Strukturen bestehen - das sei das "Sozialkritische" oder "Satirische" an diesem Film, wie Wortmann das gern in Talkshows hervorhebt.

Besonders schlimm ist der deutsche Komödienfilm dann, wenn er keine Komödie mehr sein will und sich seine Regisseure als Erneuerer des politisch-sozialen Kinos verstehen. Hackmann bekommt ein öffentliches Hearing, das er mit einer flammenden, an konservativen Werten orientierte Rede als moralischer Sieger beendet. Zuletzt ist er als befreiter Naturbursche zu sehen. Der Abspann berichtet von den weiteren Karrieren der Intriganten in Partei und Privatfernsehen und explizit, welch böse Sache ein rot-grüner Senat ist. Katalysatorfigur für die Handlung ist die Frauenbeauftragte. Sexuelle Belästigung muß da sein, so erzählt der Film über ihre Berufsauffassungen, wir haben nur noch nicht richtig hingeschaut. Ihre äußere Erscheinung entspricht dem Querschnitt aller Klischees: Ihre Haare bindet sie streng nach oben, ihr Ton ist ruppig, ihre Brille spießig. In einer Rezension zum Film heißt es: "Das Klischee der hysterischen Frauenbeauftragten dürfte Harald Schmidt weit komischer finden als Zeit und Co." Wer Einwände erhebt - das Realismusproblem, der Alltag einer Frauenbeauftragten sehe anders aus, wäre noch der kleinste Nenner -, wäre also gegen Schmidt (den man nicht gefragt hat) und das Diktum, daß das lustig sei. Generalzeugen, um Grenzen dort einzureißen, wo sowieso Konsens herrscht - Himmel, wozu braucht man eine Frauenbeauftragte.

Und eine "hysterische" noch dazu: Die Karikatur der Suffragette unter gegenwärtigen Machtverhältnissen. Dagegen Hackmann: visionär, intelligent. Während sich Wagner als Catwoman im Dschungel des Komplotts bewegt, hat er, der Ehrlich-ist-dumm-Konservative, der sich im Gegensatz zu Wagner eine sexgeladene Affäre leistet, das Nachsehen: überall Intrige.

Man muß nicht Elaine Showalters "Hystorien" über den Doppelcharakter des Krankheitsbildes Hysterie gelesen haben, um die Anlage von Wortmanns Spielplan zu verstehen. Doch konnte man bei Showalter zweierlei Dinge lernen: Das Bild des Krankheitstypus Hysterie sei an historische Bedingungen gebunden. Viele Rezensenten in Deutschland begrüßten dies, weil damit Hysterie als mediengemacht erschien. Warum aber die unterschiedlichsten Verhaltensweisen, von denen einige als pathologisch erschienen, im Sammelbegriff Hysterie geordnet wurden, das führte Showalter auf eine bestimmte Verfaßtheit der Wissenschaft zurück. "Hystorien" nannte sie einerseits kollektive Formen von Wahnsinn, um andererseits auf die historischen Möglichkeiten der Rezeption von individuellen Krankheitsbildern zu verweisen.

Die "hysterische" Wagner im "Campus" geht nur mit der einen Ausrichtung satirisch konform. Wie dem gesamten Film fehlt auch hier eine reflektorische Ebene, die Bedingungen erahnen läßt. "Der Campus" läßt keine Interpretation und Sprünge zu, er ist eindeutig in der Projektion landläufiger Meinungen.

Nicht Schmidt, sondern die Protagonisten des eindeutigen Meinens - ewig falsch verstanden - schauen hier bisweilen über die Schulter; die Protagonisten, die von links und rechts gleichermaßen goutiert werden können, weil sie für sich ein umgekehrtes Muster von Hysterie beanspruchen können, indem sich die Angst vor dem Verlust von Macht in zum Teil gekonnt aggressiver Jargonkritik äußert.

Verkehrte Welt: Als in Teilen der Linken vor zwei, drei Jahren diskutiert wurde, was denn Satire dürfe, lautete die Antwort auch: "Alles, alles, alles!" Da waren manche dabei, die von diesem Segment des Unterhaltungssektors lebten, und denen auch die FAZ gutes Werk attestieren konnte. Es ging um nicht weniger als die hehre Freiheit der Kunst, die gegen sich als fortschrittlich definierende politische Gruppen etwa an dem Text "Der Schokoladenonkel" von Wiglaf Droste verteidigt werden mußte.

Nun denn, mit Wortmanns Film kommt jetzt die offizielle Lesart von Satire. Stehen woanders hinter jedem Strauch feministische Kinderschützerinnen, warten auf dem "Campus" übermächtige feministische Frauenbeauftragte. Die Rigidität der Beschreibungen des (linken) Alltags als Anti-PC-Kampf ist gleich. Sie äußert sich im "Campus" als reaktionäre Massenkultur.

Gemeinsam, wenn auch aus verschiedenen Gründen, ist die Projektion von Verfolgtsein, und sich anzurechnen, zu sagen, was immer schon mal gesagt werden mußte. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß es Typen gibt, auf die die Charakterisierungen zutreffen. Ihre Häufung als Bedrohungsszenario für den guten Konservativen bietet jedoch eine Spektralanalyse deutschen Humorschaffens und dessen intern angelegtem Mangel an Selbstironie. Man steht Spalier bei der Verarschung von Dingen, deren Verarschung längst Konsens ist. So, als werde die Satire auf die Linke positiv in der Jungen Freiheit rezensiert. Undenkbar? Linksalternative Polemik und rechte Hetze passen auf einmal zusammen: Im "Campus" redet der ewig Zukurzgekommene, der sich gern weltläufig gibt.

Der Campus. D 1997. R: Sönke Wortmann D: Heiner Lauterbach, Axel Milberg, Maren Kroymann, Sybille Canonica, Barbara Rudnik, Sandra Speichert, Armin Rohde. Start: 5. Februar