Wieviele Schüsse hat Clinton noch frei?

Verfügt Saddam über B-Waffen? Oder braucht der US-Präsident einen Showdown am Golf?

Es scheint, als stehe der nächste Golfkrieg kurz bevor. In Israel hält die Bevölkerung bereits ihre Gasmasken bereit und entrümpelt die Luftschutzkeller, um im Kriegsfalle Zuflucht zu finden. Denn sollten die USA und Großbritannien zum Angriff gegen den Irak blasen, so hat dieser einen "Gegenschlag" angekündigt - wie 1991 meint er damit einen Angriff auf Israel. Aber noch sind die diplomatischen Bemühungen nicht völlig gescheitert.

Dennoch hat Richard Butler, der australische Chef der Waffeninspektoren der Vereinten Nationen (UN) im Irak, rund ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt im Juli vergangenen Jahres schon keine Lust mehr. Sein Job als Nummer eins der UN Special Commission (UNSCOM) gestaltet sich extrem schwierig. Zudem sieht sich Butler erheblicher Kritik seitens des UN-Sicherheitsrates ausgesetzt. Alain Dejammet wurde als Ratsvorsitzender in der vergangenen Woche beauftragt, sich beim Generalsekretär Kofi Annan über Butler zu beschweren - vor allem auf Drängen Rußlands und Chinas.

Butler, so die vorgebrachte Kritik, trete zu häufig in den Medien auf und würde dort einseitig Position zugunsten der USA beziehen. Der Irak bezichtigt Butler indes, Teil einer "Verschwörung" unter Führung von USA und Israel zu sein. Noch Mitte Januar hatte Bagdad mit dem UNSCOM-Mann mehrere Tage lang über die Waffensuche verhandelt, insbesondere über den Zugang zu sogenannten sensiblen Orten. Als "besonders zäh" bezeichnete der Australier danach die Gespräche. Die Regierung unter Präsident Saddam Hussein will nämlich langsam nichts mehr von den Inspektionen durch die internationalen UNSCOM-Mitarbeiter wissen: "Genug ist genug", meinte Außenminister Tarik Aziz, für den die Inspektionen eher "Spionage als Entwaffnung" sind. Bis zum 20. Mai sollten die Untersuchungen abgeschlossen sein, so sein Ultimatum, sonst würde es keine irakische Kooperation mit der UNSCOM mehr geben. Bis April, so eine weitere Forderung Bagdads, wolle man außerdem keine Fragen nach angeblichen bakteriologischen oder chemischen Waffen mehr hören. Und generell, ergänzte Aziz mit Seitenhieb auf Butler, "besprechen wir solche Angelegenheiten lieber mit Experten als mit Schnüfflern".

Völlig frustriert plauderte der australische Diplomat, der früher als Botschafter in Thailand tätig war, dann am Abend des 26. Januar mit zwei Journalisten der New York Times über die seiner Ansicht nach sinnlose Arbeit der UNSCOM. Er habe keine Lust mehr auf das ständige "Tauziehen", offenbarte der Chefinspektor. Bagdad führe die machtlosen Teams an der Nase herum. So seien beispielsweise vor den Augen der Waffenkontrolleure ganze Aktenberge verbrannt und die Asche im Fluß Tigris entsorgt worden. Ein anderes Mal habe man die UN-Mitarbeiter so lange vor einem öffentlichen Gebäude warten lassen, bis etliche Kisten über eine Gartenmauer fortgeschafft worden seien. Und im Dezember hätten irakische Sicherheitskräfte gar in einer zwanzigminütigen Aktion die Festplatten mit den gespeicherten Erkenntnissen gegen andere ausgetauscht. Auf diesen lief dann außer Computerspielen gar nichts mehr.

Neben Anekdoten aus dem Inspektoren-Dasein gab Butler auch Erkenntnisse an die Tageszeitung weiter: Nach Ende des Golfkrieges von 1991 habe der Irak 75 bakteriologische Sprengköpfe für Raketen besessen. 30 davon wurden von der UNSCOM vernichtet, die anderen angeblich durch den Irak selber. Doch dafür, erzählte Butler der New York Times, "haben wir nie Beweise erhalten". Anhaltspunkte gebe es außerdem dafür, daß die irakische Armee über mindestens 25 weitere Bakterien-Sprengköpfe verfüge, denn insgesamt gelten sechs Tonnen mit Bakterienkulturen als verschwunden. Bagdad will sie "weggeschmissen" haben.

Mit der Aussage, Irak sei so auf jeden Fall in der Lage, "Tel Aviv auszulöschen", erzürnte Butler nicht nur Irak, sondern mobilisierte auch die USA. Was Bagdad als Versuch, "die Zionisten" in den Konflikt mit einzubeziehen, geißelt, ist für die Regierung William Clintons Anlaß zum "Handeln". In Washington ist man wenig erfreut über den Fortgang der Inspektionen, seit im Januar mehrere US-amerikanische und britische Waffenspezialisten nach einem irakischen Boykott ihrer Arbeit das Land verließen.

Daß Butler nun konkrete Verdachtsmomente für einen irakischen Verstoß gegen die UN-Sanktionen anführt und die UNSCOM als "nicht arbeitsfähig" bezeichnet, müßte eigentlich die Vereinten Nationen aufbringen. Statt dessen drohte der wegen einer angeblich dreistelligen Anzahl von Sexpartnerinnen in die Schlagzeilen geratene Clinton dem Irak mit einem US-amerikanischen Militärschlag. Nichts Neues eigentlich, wählt der Präsident doch gerne markige Worte im Konflikt mit dem Irak, ohne daß er sie in den letzten Monaten umsetzte. Aber mit diesem Image einer "lahmen Ente" in Sachen Außenpolitik wollte er sich im Moment des Medienrummels um sein reges Sexualleben offenbar nicht mehr abfinden.

Eine beschlossene Sache war der Angriff bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe allerdings nicht. Trotzdem veröffentlichte das Weiße Haus schon mal einen konkreten Bombardierungsplan, der hauptsächlich die Kasernen der Republikanischen Präsidentengarde Saddam Husseins sowie Stützpunkte von Armee, Lufwaffe und Geheimdienst, aber auch Produktionsstätten ins Visier nimmt. US-Regierungssprecher Kenneth Bacon wollte dabei auch den Einsatz von Atomsprengköpfen nicht ausschließen. Beschlossen sei bisher aber nur, daß die Alliierten des Krieges vor sieben Jahren konsultiert werden sollen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Noch in der gleichen Woche startete die US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright eine Promotion-Tour durch Europa und den Mittleren Osten. Für kommendes Wochenende wird auch Außenminister William Cohen in der Krisenregion erwartet. Erst nach dieser "Last-minute-Runde der Diplomatie" sei eine Bombardierung überhaupt möglich, äußerte ein hoher US-Militär.

Gerade Rußland will nämlich eine militärische Auseinandersetzung auf jeden Fall vermeiden. Deshalb unternahm Präsident Boris Jelzin seinerseits in der vergangenen Woche einen diplomatischen Alleingang und sandte einen Sonderbeauftragten, den stellvertretenden Außenminister Viktor Possuwaljuk, für einen zweitägigen Besuch nach Bagdad, was die offizielle irakische Nachrichtenagentur Ina in ihrer Berichterstattung zwar entsprechend würdigte, sonst außer US-amerikanischen Unmut nichts einbrachte. Die Vereinigten Staaten, so Albrights russischer Amtskollege Jewgenij Primakow, seien eben einfach zu ungeduldig. Schließlich werden unter den Diplomaten auch noch andere Maßnahmen gegen Irak diskutiert, etwa den Hafen von Basra unter UN-Kontrolle zu stellen. Denn über die Stadt im Süden des Landes sollen unter Umgehung der Sanktionen angebliche Öllieferungen - über iranische Hoheitsgewässer, an der US-amerikansischen Kriegsflotte vorbei - in die Vereinten Arabischen Emirate (VAE) erfolgen, von wo aus das schwarze Gold gegen Devisen verkauft werde.

Insgeheim werden in den USA die Verhandlungsbemühungen Moskaus bereits als Eingeständnis aufgefaßt, daß aus der Krise prinzipiell eine Militäraktion folgen könnte. Ähnlich stellt sich die Position Frankreichs dar, das sich noch im November und Dezember des vergangenen Jahres vehement gegen ein Bombardement des Irak wehrte.

Nun formuliert Außenminister Hubert Védrine seine Bedenken schon vorsichtiger und Präsident Jacques Chirac bekundete nach einem Telefonat mit Clinton, er sei sich mit diesem über das weitere Vorgehen völlig einig. Die Strategie Husseins, Teile der Golfkriegsallianz von 1991 auf seine Seite zu ziehen, ist damit nur teilweise aufgegangen: Die Volksrepublik China ließ über ihren UN-Botschafter mitteilen, Angriffe gegen die "nationale Souveränität", wie sie durch die UNSCOM erfolgen, seien nicht akzeptabel.

Dagegen hat sich Großbritannien eindeutig auf der US-Seite positioniert. Premierminister Tony Blair ließ es sich nicht nehmen, nach der Warnung Clintons dem Irak selbst noch einmal mit einer Militäraktion zu drohen. Die deutsche Bundesregierung wittert die Möglichkeit, größeres internationales Gewicht zu erlangen und will sich vielleicht an dem Militäreinsatz beteiligt. Das äußerte zumindestens Außenminister Klaus Kinkel nach einem Treffen mit Richard Butler.

Angriffsankündigungen sind auch aus Tel Aviv zu hören. Sollte der Irak auch diesmal einen "Gegenschlag" gegen Israel als unbeteiligten Staat unternehmen, würde man sich das auf keinen Fall gefallen lassen, heißt es aus dem Kabinett Benjamin Netanyahus. Für diesen Fall rechnet man fest mit dem Einsatz bakteriologischer oder chemischer Sprengköpfe seitens Bagdad. Entsprechende Vorsichtsmaßnahmen seien aber bereits getroffen: Die US-Regierung soll Israel zugesagt haben, es mindestens 24 Stunden vor einem Militärschlag zu informieren und auch ihr Frühwarnsystem zur Verfügung zu stellen. Die israelische Bevölkerung sei so "besser geschützt als im Golfkrieg von 1991", versicherte der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Shaul Mofaz.

Außerdem waren die israelischen Diplomaten nicht untätig. Die Jerusalem Post berichtet von einem Abkommen mit dem Nachbarland Jordanien, das König Hussein und der israelische Außenminister Yitzhak Mordechai letzte Woche unterzeichnet haben. Jordanien werde sich demzufolge nicht auf die Seite Saddam Husseins schlagen. Überhaupt ist die bisherige Zurückhaltung der arabischen Staaten zum neu aufgeflammten Konflikt auffällig. Selbst die Palästinenser haben bisher auf eine Solidaritätsbekundung zugunsten des Irak verzichtet. Sie erhoffen sich von dieser Zurückhaltung offenbar eine bessere Ausgangsposition gegenüber Israel. Würden sie sich dagegen zu Hussein bekennen, bräuchten sie auf eine Unterstützung der USA im Nahostfriedensprozeß nicht mehr zu hoffen.

Klar ist jedenfalls, daß arabische Länder sich zunächst nicht offen gegen Saddam Hussein stellen werden. Im Golfemirat Katar wurde für Anfang dieser Woche zeitgleich zum Albright-Besuch zu antiamerikanischen Demonstrationen aufgerufen. Und Al-Ittihad, eine Tageszeitung in den VAE, meint: "Wenn Saddam einmal das internationale Recht verletzt hat, hat Israel das hundertmal getan." Saudi-Arabien untersagte den Vereinigten Staaten bereits, Luftangriffe gegen den Irak von dortigen Basen aus zu starten, ähnlich äußerte sich auch die Türkei. Für die USA nicht unbedingt von Bedeutung, da etwa die Hälfte ihrer Kampfflieger von Flugzeugträgern im Persischen Golf aus völlig unabhängig handeln kann.

Andererseits hätten nicht wenige Staatsführungen der Region sicher ein politisches Interesse daran, den expansionslüsternen Hussein abzusägen. Die Tageszeitung International Herald Tribune berichtet unter Berufung auf arabische Diplomaten, deren größte Sorge sei nicht ein eventueller Angriff auf den Irak, "sondern die Frage nach dem Programm für danach". Denn sollte Hussein auch diesen Konflikt mit dem "Teufel aus Washington" bestehen, ist ein weiterer Popularitätsschub des irakischen Staatschefs in der gesamten arabischen Welt zu erwarten.

Gerade in dieser Hinsicht aber wird der Sinn eines Bombardements selbst aus den eigenen Reihen stark in Zweifel gezogen. Während General Patrick Hughes als Leiter des militärischen US-Geheimdienstes von der Durchschlagskraft der insgesamt fast 25 000 Soldaten samt ihrer modernen Waffensysteme am Golf schwärmt, meint Richard Murphy, daß die USA mit einem Einsatz von Bodentruppen in der Region überfordert wären. Ohne Landoffensive aber, so der ehemalige Experte der US-Regierung für Politik im Mittleren Osten in der Washington Post, lasse sich die Kontrolle über die verbotenen Waffensysteme auf keinen Fall durchsetzen. Auch andere Militärexperten bezweifeln den Nutzen von Luftangriffen, da irakische Raketenabschußbasen wie die Labors zur Herstellung chemischer und bakteriologischer Waffen außerordentlich mobil und entsprechend schlecht zu treffen seien. Außenminister Cohen schloß einen Sturz Husseins durch US-Truppen aus, da dies nicht durch die bestehenden UN-Resolutionen abgesegnet sei.

Der nächste Schlag gegen den arabischen Kontrahenten werde laut Albright trotzdem "entscheidend und vernichtend" sein. Während sie sich am vergangenen Wochenende in London aufhielt, machte das Gerücht von einer geplanten Landung britischer und US-amerikanischer Soldaten im Irak die Runde. Sollte sich das bewahrheiten, dürfte der seit 1979 regierende Saddams Hussein längste Zeit Präsident gewesen sein, und Clintons Frauengeschichten könnten endlich wieder die US-Schlagzeilen dominieren.