Wo bleibt der König?

Rumäniens Regierung wackelte, kippte aber nicht

Die jüngste Regierungskrise in Rumänien ist beigelegt. Nach dem Rückzug der Minister der Demokratischen Partei (PD) aus dem Regierungskabinett wurde Ende vergangener Woche jedoch deutlich, daß Beilegung und Bewältigung ganz verschiedene Krisenergebnisse sind. Denn die sozial-liberale PD bleibt in der Regierungskoalition, der auch das Bündnis Demokratische Konvention (CDR), die kleine (links-)sozialdemokratische PSDR und der Verband der ungarischen Minderheit (UDMR) angehören. Die Sozialliberalen, immerhin zweitstärkste Fraktion der Koalition, ziehen lediglich mit dem Rücktritt ihrer fünf Minister die Konsequenzen aus ihrer schon seit geraumer Zeit geübten Kritik am regierenden Ministerpräsidenten Viktor Ciorbea (CDR).

Im Mittelpunkt der PD-Kritik steht der Vorwurf der "Verschleppung" des rumänischen Reformprogramms. Seitdem Ciorbea im vergangenen Februar ein Strukturanpassungsprogramm nach Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) vorgelegt hatte, prägten unterschiedliche Vorstellungen über Ausmaß und Geschwindigkeit der Privatisierungsmaßnahmen die Regierungspolitik.

Daß Rumänien Reformen bitter nötig habe, war sowohl kleinster gemeinsamer Nenner der demokratischen Opposition unter der postrevolutionären Regierung Iliescu als auch Voraussetzung ihrer populistischen Machtambitionen. Offen blieb und sollte bleiben, ob und wie sich Reformen umsetzen ließe. Die aus den Wahlen im November 1996 siegreich hervorgegangenen jetzigen Machthaber wurden dennoch - national wie international - als Hoffnungsträger für den wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung des Landes angesehen. Sie stellen, nach sechs Jahrzehnten, die erste rumänische Regierung nach dem Muster westlicher Demokratien.

Laut Koalitionsvertrag und Regierungserklärungen sollte Rumänien durch Privatisierungen von Staatsbetrieben in fast allen Bereichen - Energie, Stahl, Bergbau, aber auch Banken und Versicherungen - vom peripheren Rohstofflieferanten der EU zum aussichtsreichen Anwärter einer EU-Mitgliedschaft aufsteigen.

Doch die Chancen dafür haben sich verschlechtert: Seit Beginn der Regierungskrise im vergangenen Herbst reagieren ausländische Investoren wieder zögerlich oder ziehen bereits getätigte Investitionen zurück. Offizielle Begründung: Die bislang ausgebliebenen Privatisierungen des Bankenwesens und vieler Großbetriebe. Die PD teilt diese Kritik weitgehend und setzt auf den vom IWF vorgeschlagenen Kurs. Soziale Reformen würden sich mit den wirtschaftlichen Reformen quasi von selbst ergeben. Das CDR-Bündnis hingegen gibt sich eher nationalistisch und protektionistisch. Insbesondere die Bauernpartei, stärkste Fraktion der 17 Parteien im christdemokratischen CDR-Bündnis, preist häufig das Rumänien der Zwischenkriegszeit als Vorbild für die Zukunft des Landes. Rumänien war seinerzeit ein hierarchisch strikt gegliederter und halbfeudaler Agrarstaat.

Geändert hat sich auch der politische Umgang mit den sogenannten Minderheiten in Rumänien. Lange Zeit galt die Regierungsbeteiligung der ungarischen Minderheit als Zeichen des Integrationswillens der Regierung. Im vergangenen Dezember jedoch drohte der UDMR mit dem Austritt aus der Regierung. Anlaß war ein Bildungsgesetz, das nationalistische Teile der Koalition mit den Stimmen der oppositionellen Rechtsextremisten verabschiedet hatten: Den "Minderheiten" wird darin das Recht verweigert, universitäre Lehrstühle muttersprachlich zu besetzen. Mit diesem Gesetz fiel die demokratische Regierung noch hinter Ceaucescu-Standards zurück. Auch Ion Iliescu, Nachfolger des Diktators und "neokommunistischer" Staatschef bis 1996, hatte die über 1,6 Millionen Menschen umfassende "ungarische Minderheit" lediglich als "Gastarbeiter" angesehen.

In dem als "Nationalstaat der Rumänen" definierten Land fordert die UDMR gleichberechtigte Partnerschaft und ein "Recht auf nationale Identität": Muttersprachlicher Unterricht in Schulen, Ungarisch als Amtssprache, Vertretung in den Staatsverwaltungen. Das 600 000 Mitglieder starke Sammelbecken mehrerer ungarischer Parteien - das als langer Arm der großungarischen Kräfte im Budapester Außenministerium fungiert - hat aber nicht nur gegen institutionelle Benachteiligung zu kämpfen. In einer Umfrage von Ende 1993 beurteilten immerhin 39 Prozent der Rumänen die im Lande lebenden Ungarn als "ungünstig" bis "sehr ungünstig".

Auch die zweite Hoffnung ist mit der Aufarbeitung der Ceausescu-Diktatur verknüpft, und konnte von der Regierung bislang nicht erfüllt werden: Die Gewährung der Einsicht in die Akten des berüchtigten Geheimdienstes "Securitate", die bisher selbst Wissenschaftlern verwehrt war. Im vergangenen Oktober scheiterte der Gesetzesentwurf von Constantin Ticu Dumitrescu, einem Abgeordneten der Bauernpartei. Dieser hatte neben der überfälligen Aktenöffnung die öffentliche Namensnennung sämtlicher Securitate-Informanten und ein Verbot für alle Mitarbeiter, Informanten und Funktionäre der Geheimpolizei, in öffentlichen Funktionen tätig zu sein, gefordert. Doch das ging einigen Funktionären der Koalition zu weit: Sie befürchteten hexenjagdähnliche Szenen und Erpressungswellen. Als Dumitrescu sich auch innerhalb der Bauernpartei gegen die Verwässerung seines Entwurfs zur Wehr setzte, wurde er kurzerhand für ein Jahr ausgeschlossen.

Doch die Wende zeitigt nicht nur für die staatlichen Eliten zwiespältige Folgen. Anfang November gab es knapp 9 000 Inhaber von staatlich anerkannten Revolutionsdiplomen, ausgewiesen als "Teilnehmer", "Hinterbliebene" oder "Kämpfer mit besonderen Verdiensten". Auf ihre Anerkennung als Revolutionshelden warten zur Zeit etwa weitere 30 000 Anwärter, der Handel mit den begehrten Bescheinigungen blüht. Denn bei einem Durchschnittslohn von umgerechnet 80 bis 150 Mark monatlich können Vergünstigungen wie Freifahrten im Nah- und Fernverkehr, die den "Revolutionären" zustehen, existentiell sein, zumal die Inflationsrate im vergangenen Jahr bei rund 100 Prozent lag. Ob es weiterhin Vorzugswohnungen und Steuerbefreiungen für die Diplomierten gibt, wird nach der erneuten Prüfung der Akten entschieden. Die Abschaffung der nach dem Revolutionärsgesetz Nr. 42 geregelten Privilegien scheiterte bislang am Protest der einstigen Straßenkämpfer und derer, die es gern gewesen wären.

Der Umgang mit der rumänischen Geschichte bleibt aber nicht auf die Ära Ceaucescu beschränkt. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg sollen, wenn es nach dem Willen von Generalstaatsanwalt Sorin Moisescu geht, hohe Funktionäre einer faschistischen Regierung in Rumänien rehabilitiert werden. Eine entsprechende Entscheidung wird am 9. März vom Obersten Gerichtshof erwartet. Sieben Minister und ein Staatssekretär der Regierung des Diktators Ion Antonescus, der bis zum August 1944 herrschte und 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet worden war, trügen als "Spezialisten" keine Verantwortung für die Verbrechen des Regimes, hatte Moisescu bereits im Oktober auf Rehabilitation orientiert. Auch scheinen Teile des Staatsapparats diesem Vorhaben nicht gerade ablehnend gegenüberzustehen. So hatte sich Staatspräsident Emil Constantinescu Anfang Dezember bei den "Bewaffneten antikommunistischen Widerstandskämpfern" mit einer Rede für deren Einsatz beim Sturz Ceausescus bedankt. Ebenfalls im Saal waren auch die Nachfolger der "Legion des Erzengel Michael" - jene auch als "Eiserne Garde" bekannte Legion, mit deren Hilfe Antonescu 1940 Rumänien zum "nationallegionären Staat" erklärt hatte, und die für die Ermordung von mindestens 120 000 Juden und 20 000 Roma Anfang der vierziger Jahre mitverantwortlich gemacht werden. Bei seiner Dankesrede habe der Präsident nicht gewußt, mit wem er es bei den "Antikommunisten" wirklich zu tun habe, entschuldigte damals die Bukarester Zeitung Rom‰na libera.

Während die Regierung sich mit den unterschiedlichen Erbschaften der rumänischen Vergangenheit herumschlägt, traten einige aus ihren Reihen die Flucht in die Vergangenheit an: Mitte Dezember hatten drei Kabinettsmitglieder eine Erklärung zur Wiedereinführung der Monarchie unterschrieben. Auf Druck des Präsidialamtes bereuten sie später öffentlich.