Zu schön, um wahr zu sein

Der Heilige Stuhl sei gepriesen. Jetzt steht er wieder auf dem "festen Boden der Glaubwürdigkeit". Wer vom "Massaker an Unschuldigen", von "Mord" und "Embryocaust" spricht, wenn Frauen sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließen, der sollte besser die Finger von der Beratung eben dieser "gewissenlosen Verbrecherinnen" lassen und ihnen nicht gar noch eine "Lizenz zum Töten" ausstellen. Doch statt Erleichterung erhebt sich ein Jammern und Wehklagen: Die katholische Kirche dürfe sich nicht von dieser "wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe" verabschieden.

Was bitte schön, sollte am Verlust der katholischen Paragraph-218-Beratung eigentlich nicht leicht zu verschmerzen sein? Die Arbeitsplätze? Natürlich gingen bei Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen wieder einige Sozialpädagoginnenstellen flöten, und persönlich mögen die Beraterinnen ja auch echt integer sein. Da die gesetzlich erzwungene Nachfrage nach Beratung aber bleibt, müßten anderswo neue Stellen eingerichtet werden. Das flächendeckende plurale Beratungsangebot? Wer christliches Ambiente braucht, hat ja noch die evangelischen Stellen. Bliebe da noch das Bangen der katholischen Kirche wegen weiterer Mitglieder- und Einnahmeverluste. Auch gut, wenn die eine oder andere schneller entscheidet, sich von dieser Glaubenslehre abzuwenden.

Die Bilanz des Ausstiegs aus der Paragraph-218-Beratung könnte also recht positiv aussehen. Ein erster Schritt zur Trennung von Kirche und Staat, dem noch mehr folgen sollten. Doch sieht es nicht so aus, als würden irgendwelche PolitikerInnen ernsthaft die Chance nutzen, die Kirche in die Schranken zu weisen und die staatlichen Zuschüsse für die Beratung zu streichen. In weit vorauseilendem Gehorsam hat man bereits 1995 im Schwangerschaftskonfliktgesetz festgelegt, daß auch solche Beratungsstellen in den Genuß staatlicher Finanzierung kommen können, die keinen Beratungsschein ausstellen, sondern nur allgemein "in Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung sowie in allen eine Schwangerschaft unmittelbar oder mittelbar berührenden Fragen" beraten - alles seit Jahrhunderten Lieblingsthemen der katholischen Kirche. Da könnte sie dann endlich wieder da anfangen, wo sie in den siebziger Jahren beim Kampf gegen die Pille verloren hat.

Wenn die katholischen Bischöfe tatsächlich aus der Paragraph-218-Schein-Beratung aussteigen, werden sich die alten Männer nicht befriedigt zurücklehnen und fürderhin Ruhe geben. Nein, dann haben sie und die militanten LebensschützerInnen endlich ihre in Unschuld gewaschenen Hände frei für noch unverschämtere Angriffe auf alle anderen Beratungsstellen. "Solange man noch die kirchlichen Beratungsstellen als Alibi im pluralen Angebot hat," lamentierte bereits 1995 der Vorsitzende der Juristenvereinigung Lebensrecht "wird die nicht zuletzt dadurch ermöglichte, im Grunde verfassungswidrige Praxis um so bedenkenloser geübt und hingenommen werden".

Der Druck durch Bespitzelung und Denunziation auf die übrigen Beratungsstellen wegen angeblich verfassungswidriger Beratung würde unausbleiblich wachsen und die sowieso miese Situation der Zwangsberatung für die betroffenen Frauen verschärfen. Es wäre doch zu schön gewesen, wenn Frauen beim Streit der Bischöfe einmal nur belustigt zuschauen könnten.

Barbara Ritter ist Mitautorin des Buches "Vorsicht 'Lebensschützer'! - Die Macht der organisierten Abtreibungsgegner", Hamburg 1991