Hitzfeld, der Duchamp des Fußballs

Warum sich Intellektuelle und Künstler für den Volkssport Fußball interessieren

Trendforscher Matthias Horx hat es schon immer gewußt: "Champagner von Aldi und Currywurst werden wieder akzeptiert." Die Reichen Armen ernähren sich mittlerweile von Recession Food. No Names dominieren das Warenangebot. Die Konfetti-Generation der Twentysomethings kleidet sich mit No-Label-Labels. In den Großstädten entstand eine neue Spezies, "die an Lebenssinn und biographischer Reibung interessiert ist" (Horx), die sogenannten Limer (Less income more experience). Der Bratkartoffel-Trend (Weg vom Lachs, hin zum Eintopf) verwandelte die Yuppies in Grumpies. Der Fun-Switchs überdrüssig, fanden die Zippies (Hippies mit Reißverschluß, besondere Kennzeichen: Anfälle von Optimismus) ein neues Thrill-Potential, die Credibility. Wer etwas gelten will, muß Cred haben. Kurzum: Der Trend der Aldisierung hat die Gesellschaft verändert und endlich auch die Intellektuellen und Künstler erreicht. Ohne Social Sponsoring keine Sozialhilfe. Raus aus den Bibliotheken, Theatern und Museen, und rein ins Fußballstadion, diesem New Edge der Luxese (Akronym aus Luxus und Askese), wo die am Erdnuß-Effekt (Konsumzwang) leidenden Fruppies längst siedeln.

Künstler Olaf Metzel, der mit politisch aufgeladenen Brachialskulpturen wie "13.4.81" auf dem Berliner Kudamm oder "Stammheim" im Stuttgarter Kunstverein berühmt geworden ist, hatte für die 4. Istanbul Biennale (1995) einen Fanartikel-Shop zu Ehren von Christoph Daum - damaliger Erfolgstrainer in Diensten des türkischen Fußballmeisters Besiktas Istanbul - eingerichtet. Motto des Kontextspiels: "Some people go into stadium, some people go into museum".

Ein Eigentor der Kunst-Veranstalter: Kaum waren Trainer und Spieler zur Pressekonferenz erschienen, ließen die fußballverrückten türkischen Aufseher alles stehen und liegen, um Autogramme ihrer Lieblinge zu erhaschen. Das Leverkusener Ulrich-Haberland-Stadion, wo der Freizeitmaler Daum jetzt Dienst tut, war jüngst Schauplatz einer blöden Ausstellung zum Thema, und der Schweizer Künstler Stefan Banz präsentiert gerade in der Berliner Galerie Paula Böttcher (bis 3. März) ein Gesamtkunstwerk aus Fotos, Videos, Leibchen, Hosen und Stulpen als Hommage an Ottmar Hitzfeld ("Für mich ist Hitzfeld auch eine Art Übertragung, Übersetzung, Transformation oder Transfair von Duchamp").

Als sich zur Fußball-WM 1994 der Frankfurter Ausstellungsraum Portikus in eine Eckkneipe verwandelte, in der sich allabendlich die Kunstszene bei

Bier, Erdnußflips und Kartoffelchips traf, um die Spiele der deutschen Nationalmannschaft zu verfolgen, kapierten nur wenige den Recreational Slumming-Background ("Entspannung in einer Umgebung, die von einer angesehenen sozialen Klasse bestimmt wird", Douglas Coupland in "Generation X").

Ist Portikus-Ausstellungsmacher Kasper König in Wirklichkeit ein Kaiser Franz, den es nur deshalb in die Kunst verschlug, weil er im Fußball allenfalls Torwart geworden wäre? König wußte schon damals: Intellektuelle und Künstler holen sich ihre Credibility beim Fußball, diesem New Leading Edge der

Kultur. Früher galt der Sportschau-Consumer als Nutso (geisteskrank, exzentrisch), heute strömen die Modern Primitives in die Box Arena. "Die Primitives sehen ihren Körper als Altar, auf dem man opfern muß" (Horx). Besonders die zu Muskelschwund neigenden Linksintellektuellen haben ein geradezu libidinöses Verhältnis zum Fußball entwickelt. Der Bundesliga-Abstiegskampf als Szenario des Klassenkampfs. Konkret berichtet unplugged über anti-nationalistische und kommunitaristische Tendenzen in der Südkurve, und Die Beute publiziert soziologische Studien über Fußball-Fanzines. Die Fuzzy-Logik, ein Annäherungsverfahren zwischen wahren und falschen Aussagen, hat den dialektischen Materialismus abgelöst. Kult-Autor Nick Hornby, der im mittlerweile verfilmten Bestseller "Fever Pitch" sein Dasein als Fußball-Nomade verherrlichte und deshalb Hoologanismus vorgeworfen bekam, gab zu: "Ich habe sozusagen Hooligans herangezogen, die Kierkegaard zitieren und Klamotten von Gaultier tragen."

Weshalb der Fußball zum Attraktor der Civil Society avancierte? Wer je Live-Übertragungen im Frankfurter Portikus beigewohnt hat und, narkotisiert von der Leichtigkeit des kollektiven Seins, die blanke Emotion über jeden verweigerten Elfmeter in sich hochsteigen spürte, der kennt die Antwort: Fußball ist so glatt wie eine Plastik von Brancusi und so rund wie ein Popo bei Mapplethorpe. Die Eckkneipe als Keimzelle der Spaßguerilla. Otto Rehagels Merksatz ("Die Wahrheit liegt auf dem Fußballplatz") könnte von einem Kunstkritiker formuliert worden sein. Kunst und Fußball, zwei Parallelwelten des Ästhetischen

und Sozialen, wo Künstler ungestraft Slackers (Couch Potatoes) sein dürfen. Olaf Metzel: "Du kommst nach Hause, legst dich auf das Sofa, trinkst ein Bier, nimmst das Zappgerät in die Hand, einmal quer durch, und kriegst den Kopf frei. Hauptsache, es rauscht. Am besten ist Fußball. Aber wenn Berti Vogts mit seiner müden Truppe antritt, mag ich gar nicht mehr hingucken."

Der von Bundestrainer Vogts geprägte Begriff "Wohlstandsjünglinge" für Fußballprofis trifft auch auf Kunst-Stars zu. Beide, Mehmet Scholl und Damien Hurst sind Öko-Hedonisten. Bevor der Regenwald zum Teufel geht, kaufe ich mir noch ein Tropenholz-Wohnzimmer. Bevor ich an BSE krepiere, lege ich die Rinder noch in Formaldehyd ein. Oder wie Bayern München-Star Scholl es ausdrückte: "Hängt die Grünen auf, solange es noch Bäume gibt." Ein Statement aus der Tiefe des Raums. Das "ungelebte Leben" des Künstlers, von dem Wolfgang Max Faust sprach, sucht sich einen neuen Kanal, Sat.1. "ran" - Sat.1-Fußball ist der Sex Care Provider (politisch korrektes Wort für Prostituierte) des deutschen Fußballs.

Als Reporter Werner Hansch ein Tor auf Schalke bejubelt ("Ein geiles Tor"), kommentiert Jörg Wontorra spritzig: "Das war schon mal ein Vorgeschmack auf das Sat.1-Nachtprogramm." Im Gegensatz zur erotikfreien Sportschau präsentiert "ran" Fußball als Opfer auf dem Körperaltar der Modern Primitives. Nach dem Abpfiff werden Trainer und Spieler durch die Katakomben der Stadien gehetzt, bis sie ein paar Worte in die Dildo-Mikros stammeln. Der Ball ist eben rund wie ein Mapplethorpe-Popo. Der Tele-Traveller ist ein Cred Junkie, er will alles über das "Drumherum" wissen, wie es im coolen Neusprech der Moderatoren heißt.

Yo, die WM '98 steht vor der Tür (Insider rein, Schlipsträger raus). Deutschland ist Nano-Favorit. Reality-Fußball wird Big-Trend. Quer durch die Republik treffen sich Spaßguerilleros zum konspirativen TV-Slumming (Kurztrips in die Fernsehwelt). Wenn das Knabbergebäck ausgeht, kommt der Erdnuß-Effekt.