Lauter Geheimnisse

Die Berlinale ehrt Catherine Deneuve mit einer Filmreihe

Wenn der Erfolg einer Schauspielerin von ihrer Präsenz abhängt, gilt für Catherine Deneuve genau das Gegenteil; obgleich im Mittelpunkt der Verwicklungen, Ziel oder Auslöser von Obsessionen, wirkt sie eher wie eine Unbeteiligte, die das, was um sie herum passiert, zwar registriert, aber nicht davon berührt wird. Deneuve ist zumeist die Frau, die versucht, so wenig Raum wie möglich einzunehmen und gerade deshalb das Interesse ihrer Umwelt provoziert.

Die auffällige Ökonomie ihres Spiels mag auch damit zu tun haben, daß die 1943 in Paris geborene Deneuve, als eine der wenigen Schauspielerinnen ihrer Generation, niemals auf der Bühne gespielt hat. 1960 steht die Tochter des Schauspielerehepaars Maurice Dorléac und Renée Simonot gemeinsam mit ihrer Schwester Fran ç oise Dorléac in Jacques Poitrenauds "Le Portes claquent" ("Die kleinen Sünderinnen") vor der Kamera. Deneuve spielt in verschiedenen Unterhaltungsfilmen mit, bis sie als Verkörperung der Tugend in "Le vice et als vertu" von Roger Vadim, mit dem sie Anfang der sechziger Jahre zusammenlebte, auf sich aufmerksam machte. Imagebildend allerdings wird erst die Rolle der schizophrenen Mörderin in Roman Polanskis "Repulsion" (1965).

Nicht in jedem Fall hat das Publikum die ambivalenten Charaktere ertragen, nicht z.B. die mordende Heiratsschwindlerin in dem zu Hochzeiten des Truffaut-Films gedrehten "Geheimnis der falschen Braut", schon deshalb nicht, weil der Part des gedemütigten, liebenden Ehemanns gegen die Erwartungen des Zuschauers mit Jean-Paul Belmondo besetzt war. Daß ausgerechnet dieser charmante Macho-Typ Opfer weiblicher Überlegenheit wurde, schien ebenso wenig verzeihlich wie das Geständnis der scheinbar so skrupellosen Julie am Ende des Films, daß sie ihren Mann trotz allem liebe. Auch weil Truffaut glaubte, diese in immer neuen kühneren Volten erzählte Geschichte einer Frau, die als Hure arbeitet, zur Mörderin wird und die Identität ihres Opfers annimmt, habe der Karriere Deneuves geschadet, ließ er sie Jahre später die resolute Theaterchefin Marion Steiner in "Die letzte Métro" spielen. Truffaut hatte sich nicht getäuscht, der 1980 produzierte Film wird für ihn ebenso wie für seine Hauptdarstellerin zum Erfolg. Deneuve verkörpert darin eine Frau, die ihr kleines Theater am Montmartre und seine jüdischen Mitarbeiter gegen die Übergriffe der Nazis verteidigt.1981 erhält sie für diese Rolle den César. Es ist eine der wenigen Charakterdarstellungen von Deneuve, die keine Ambivalenz zuließ, wohl deshalb war es nicht ihr beste.

Besonders irritiert hat Catherine Deneuve - die der Eigenlogik eines nationalen Rituals folgend seit 1991 als das offizielle Modell der Marianne dient - in jenen Filmen, die auf die Erforschung der rätselhaften Frau an sich zielen wollten. Die Filmgeschichte konnte nie auf diesen Topos verzichten. "Du Freud? Ich Jane?" kommentiert z.B. Marnie in Hitchcocks gleichnamigen Thriller die teils detektivischen, teils therapeutischen Bemühungen Mark Rutlands, ihren Lügen, Maskeraden und wiederkehrenden Handlungsmustern auf die Spur zu kommen. Sie verwies mit diesem schönen Satz ironisch auf die Parallelität zweier Apparate: der Kinematographie und der Psychoanalyse, die, darin einander ergänzend, die weibliche Sexualität, die Natur der Jane, zu beleuchten versuchten.

Auch Deneuves Darstellung der von masochistischen Phantasien getriebenen Bürgersfrau und Gelegenheitsprostituierten Severine in Louis Bu-uels "Belle de jour" (1966/67) - eine mit Marnie vergleichbare Figur - bleibt einer ärztlichen Kontrollinstanz konfrontiert: Ihr Ehemann Pierre ist Arzt und besitzt damit qua Beruf die Macht zu entscheiden, was als gesund und normal oder als krank und pathologisch zu gelten hat. Allerdings führen Deneuves Frauenfiguren gerade auch den Autoritätsverlust von Ehe, Familie, Kirche und Medizin vor. In dem zurückhaltenden wie gutmütigen Ehemann von Severine erkennt man nur noch den Schattenriß des Patriarchen. Pierre reagiert, auch wenn es ihn merklich anstrengt, zumindest geduldig auf seine Frau Severine, die ihn zurückweist.

"Belle de jour" beschreibt eine weibliche Selbstheilung: Severine lebt - nachmittags, von zwei bis fünf - in einem Bordell das Verlangen aus, sich demütigen zu lassen. Sie überläßt sich den Wünschen ihrer Freier und erfüllt sich zugleich die Sehnsucht nach Gewalt und Selbstaufgabe.

"Aber wessen Wünsche und wessen Phantasien? Die Bu-uels? Oder die seiner Heldin?" fragte der Filmkritiker Andrew Sarries. Bu-uels Film hatte damit eine ähnliche Diskussion ausgelöst wie Pauline Réages Versuch, eine "weibliche" Pornographie zu schaffen. (Im Unterschied zur "Geschichte der O" stand im Fall von "Belle de jour" die männliche Autorenschaft jedoch zweifelsfrei fest.)

Wenn auch, etwa im Unterschied zu Hitchcocks "Marnie", in "Belle de jour" die männliche Erzählhaltung aufgegeben wird und die Kamera konsequent der Perspektive Severines folgt, verweist Deneuves kontrolliertes Spiel immer auch darauf, daß kein äußerer Zwang mehr nötig ist, die Person zu beherrschen, weil sie die Zwänge verinnerlicht hat und sich selbst diszipliniert.

Ein Detail in Bu-uels "Belle de jour" hat die Phantasie des Publikums besonders beflügelt: die Schatulle eines Bordellbesuchers, deren Inhalt dem Zuschauer allerdings verborgen bleibt. Könnte man das Rätsel der Schatulle lösen, wäre für das Verständnis des Films zwar nicht das geringste gewonnen, dennoch wüßte man gern, was den Schrecken auf das Gesicht der mit allen bekannten Perversionen vertrauten Prostituierten malt, als der Freier die Kassette vor ihren Augen öffnet.

Vielleicht aber war auch gar nichts darin. Denn natürlich konnte Bu-uel das Kästchen genausogut leer lassen oder darin ein völlig beliebiges Requisit plazieren, weil er wußte, daß die Zuschauer ihm die Arbeit abnehmen und selbst die allermerkwürdigsten und schrecklichsten Dinge hineinlegen würden; Bu-uel durfte, das Schauderhafte zu zeigen, es gerade nicht zeigen und mußte dem Blick des Zuschauers eine Grenze setzen, die zugleich dazu aufforderte, sie zu überwinden.

Auf ganz ähnliche Weise gewinnt seine Hauptdarstellerin die Kontrolle über den Voyeurismus des Zuschauers. Nicht nur in der Rolle der Halbtagsprostituierten Belle de jour beherrscht Catherine Deneuve, mit der gemeinhin das "Geheimnisvolle" und "Unnahbare" assoziiert wird, die Kunst der kalkulierten Andeutung. Immer vermeidet sie die eindeutige Geste, nie wird eine Figur restlos erklärt oder der Widerspruch zwischen der extremen Introvertiertheit und dem zum äußersten getriebenen Exibitionismus (wie in der Rolle der Julie in Fran ç ois Truffauts "Das Geheimnis der falschen Braut") aufgelöst - es sei denn, Regie und Drehbuch ließen ihr keine andere Wahl.

Filme auf der Berlinale:
"Le Vice et la vertu" (1962); "Les Parapluies de Cherbourg" (1963); "Belle de jour" (1966/67), "Les Demoiselles de Rochefort" (1966/67); "La Sirène du Mississippi" (1969); "Ca n'arrive qu'aux autres" (1971); "Le Dernier Métro" (1980); "Le Choix des armes" (1981); "The Hunger" (1983), "Indochine" (1991); "Dr(tm)le d'endroit pour une rencontre" (1988); "Les Voleurs" (1996)