Social Cops auf Streife

Gefährliche Orte XIX: Der Wedding. Sozialhilfe-Empfänger sollen Sozialhilfe-Empfänger beaufsichtigen

Auch die grundlegendsten politischen Gebote stoßen zuweilen an die Schranken des Sachzwangs. So zum Beispiel die nicht nur von Friedrich Engels formulierte Grundregel, daß sich die "öffentliche Gewalt in dem Maß verstärken muß, wie die Klassengegensätze innerhalb des Staates sich verschärfen". Bei deren Umsetzung stellt sich nämlich unter Umständen das Problem, daß man dazu das Geld wieder ausgeben muß, das zuvor mühsam an anderer Stelle eingespart wurde.

Diese Schwierigkeit läßt sich am Beispiel Berlin gut illustrieren: Jeder vierzehnte Berliner lebt mittlerweile von Sozialhilfe und könnte angesichts eines Regelsatzes von 539 Mark auf die Idee kommen, Dinge zu tun, die die öffentliche Ordnung untergraben. Für eine hinreichende Betreuung fehlen jedoch die Ressourcen: Nur 26 000 Polizisten stehen 245 000 Sozialhilfe-Empfängern und 275 000 Arbeitslosen gegenüber.

Im Wedding fand man nun einen eleganten Ausweg aus diesem Dilemma. Warum, so fragte man sich im Bezirksamt, soll eigentlich nur die Polizei die Bevölkerung beaufsichtigen, wenn gleichzeitig fast 13 000 Weddinger - acht Prozent der Einwohner - in der sozialen Hängematte liegen? Die Idee des überwachenden Sozialhilfe-Empfängers war geboren, der mit einem Handy in der Tasche auf Streife geht und die Polizei ruft, sobald ihm irgend etwas verdächtig vorkommt.

Derartige Konzepte bringt im Wedding ein Gremium hervor, das sich die Innovation auf seine Fahnen geschrieben hat. Auf Initiative des Bezirksbürgermeisters Hans Nisblé (SPD) wurde im vergangenen August der "Sicherheitsbeirat" ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel ist die Vernetzung aller, die mit den sozialen und sicherheitspolitischen Problemen des Bezirks befaßt sind, auf daß deren Anstrengungen wirksamer werden. Entsprechend bunt ist die Zusammensetzung: Geschäftsinhaber, Vertreter von Polizei, Bezirks- und Schulamt, Wohnungsbaugesellschaften, Kirchen und andere Gruppen. Allzuviel hat sich noch nicht getan, denn die Sicherheitshüter haben sich bisher nur viermal getroffen. Immerhin gibt es schon Arbeitsgruppen zu den Schwerpunkten "Jugend und Gewalt", "Gewalt an Schulen" und "Hilfe für Senioren".

Was der Sicherheitsbeirat - oder, wie ihn die Beteiligten inzwischen lieber nennen, "Präventionsrat" - bisher an Ergebnissen vorzuweisen hat, "klingt alles sehr profan", wie Bezirksamtsdirektor Manfred Nowak einräumt. Aber er vermittelt einen deutlichen Eindruck davon, wohin die Reise gehen könnte. So habe man Kontakt zu einer Mieterinitiative im Soldiner Kiez aufgenommen und sich in einer Sitzung vor Ort "deren Probleme vermitteln lassen". Die Probleme? "Die hatten die Sorge gehabt, daß in dem Bereich ein sehr hoher Ausländeranteil und eine gewisse Entfremdung besteht. Und die hatten die Sorge, daß dort die Polizei zu wenig präsent ist."

Daß ein Teil der deutschen Anwohner mehr Polizisten will, weil zu viele Ausländer in der Nachbarschaft wohnen, ist Nowak zufolge allerdings "sehr verkürzt gesagt". Die "Ausländerballung" sei "nicht das einzige Problem": "Aber es ist natürlich dort vorhanden, wo sich die deutschen Bürger inzwischen in der Minderheit fühlen. Und es stammen insbesondere in diesem Gebiet viele aus dem arabischen Teil der Welt, und haben eben besondere Einstellungen, so daß im Umgang miteinander Probleme entstehen." Erst in diesem Kontext wird verständlich, was mit der Aussage, daß "viele Angestammte aus dem Kiez ins Umland ziehen", gemeint ist. Weil die Ängste der "Angestammten" vor Ent- und Überfremdung ernst genommen werden, soll es nicht bei der verstärkten Polizeipräsenz bleiben. Der Beirat wolle außerdem darauf hinwirken, "daß in diesem Bereich die Anzahl der Asylbewerber in privaten Unterkünften nicht in einem Maße steigt, daß sich die Menschen dort in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt fühlen".

Vom Ausbau der Jugendfreizeitstätte an der Koloniestraße dürften dagegen neben den Menschen auch die Asylbewerber profitieren. Es sei, so Nowak, dem Sicherheitsrat zu verdanken, daß sie mit "sehr viel finanziellem Aufwand" erneuert wurde. In den neunziger Jahren scheint Jugendarbeit nur noch unter dem Vorzeichen der inneren Sicherheit legitimierbar. Motto: Sonst rotten die sich auf der Straße zusammen.

Auch die Beteiligung der Wohnungsbaugesellschaften hat bereits Früchte getragen. So hätten sich Anwohner der Brunnenstraße durch eine Disko gestört gefühlt, deren Gäste teilweise die Hinterhöfe aufgesucht hätten. Die Wohnungsbaugesellschaft sorgte "durch einfache bauliche Maßnahmen dafür, daß diese Besucher kanalisiert werden" - es wurden Tore eingebaut. Ein Problem ist dieses Lokal ohnehin, denn es handelt sich nicht um eine normale Diskothek: "Im Weddinger Jargon wurde der Laden als 'Russendisko' bezeichnet. Dort haben sich viele dieser Landsleute aufgehalten und es kam dann auch zu Auseinandersetzungen", weiß Direktor Nowak.

Mag sein, daß es diese Sicherheitsdefizite waren, die den sozialdemokratischen Bürgermeister Hans Nisblé dazu veranlaßten, jene Kreatur zu ersinnen, die auf den Namen "Social Cop" hören soll. Was in diesem Zusammenhang in alle Welt posaunt wurde, scheint indessen alles andere als ausgegoren zu sein, denn die vermeintlichen Akteure wissen noch nichts von dem Projekt. So erfuhr man bei der richtigen Polizei nur aus der Berliner Morgenpost, daß ab Februar 25 neue Semi-Kollegen in einheitlicher Kleidung im Bezirk "Handtaschenklau, Drogenhandel, Raubüberfälle" (Morgenpost) verhindern sollen. Direktionsleiter Jürgen Klug: "Von offizieller Seite ist dazu noch nichts gekommen." So bleibt ihm nur die Vermutung, daß das Thema beim nächsten Treffen des Beirates besprochen werde. Auch bei der Finanzierung ist noch völlig ungeklärt. So trifft die Meldung, das Arbeitsamt werde diese Maßnahme ein Jahr lang finanzieren, nicht zu - bisher ist nicht einmal ein Antrag gestellt worden.

Am krassesten wurden durch die Ankündigung vermutlich jene aufgeschreckt, um die es geht: Die Social Cops, die es tatsächlich schon seit 1995 im Wedding gibt. "Von diesen Plänen habe ich auch nichts gewußt. Ich habe nur durch Zufall aus den Medien erfahren, daß jemand mit unserem Namen hausieren geht", ärgert sich Petra Dworatzek, Geschäftsführerin der Social-Cop-GmbH. "Wir machen so etwas nicht, daß wir Patrouille schieben, wir sind keine Polizei." Die Social Cops sind ABM-Kräfte, die auf Anfrage alte Menschen in Alltagsdingen unterstützen oder auch einfach nur besuchen. Eine Überschneidung mit den geplanten Hilfssheriffs gibt es insofern, als die Cops auch Leute begleiten, die, so Dworatzek, "sich sonst nicht aus dem Haus trauen würden". Das können ängstliche Senioren ebenso sein wie auch Leute, die nach einer Gewalttat die Opferhilfe aufsuchen und dort von dem Service erfahren.

Im Bezirksamt legt man auf diese Trennung weniger Wert. "Es ist der Eindruck erweckt worden, daß wir mit diesem Projekt Neuland betreten", sagt Manfred Nowak. "Wir vom Sicherheitsbeirat wollen darauf nur aufbauen und unsere Zielsetzung mit diesem Träger gemeinsam durchführen" - allerdings ohne den Träger davon in Kenntnis zu setzen. Daß mit "Erweiterung" - neben der geplanten Rekrutierung von Sozialhilfe-Empfängern - Wachdienst gemeint ist, ist nur durch penetrantes Nachfragen zu erfahren. Altenbetreuung und "Sicherheitsgefühl der Bürger" werden im Rathaus in einem Atemzug genannt, Begriffe wie "Hilfssheriff" hört man dagegen nicht so gern. Petra Patzdrüke, Referentin des Bürgermeisters, spricht lieber von "Stadtbildpflege". Die Undeutlichkeit scheint Methode zu haben: Der Bezirksverordnete Winfried Villwock beklagt, daß "die sich gar nicht richtig festlegen, ob sich das im Rahmen nachbarschaftlicher Hilfe bewegen soll oder eine Art Hilfspolizei ist".

Angesichts der bekannten Schwierigkeiten sozialer Projekte, in denen permanent um die weitere Bewilligung von ABM-Stellen gebangt wird - allein im letzten Jahr wurden 300 000 Plätze bei ABM und Weiterbildung abgebaut -, scheint es kaum wahrscheinlich, daß die Social-Cop-GmbH die neuen Aufgaben ablehnen wird. Petra Dworatzek, die Wachdienstaufgaben "nicht so schön" findet und sich wundert, wer die Handys bezahlen soll, will erst einmal sehen, in welcher Form die Pläne umgesetzt werden sollen und wartet auf weitere Informationen aus dem Bezirksamt.