Europa spielt Golf

Westeuropa verfolgt am Persischen Golf ganz andere Interessen als die USA. Das gilt besonders für Frankreich und Deutschland

Die anhaltende Irak-Krise läßt in aller Deutlichkeit politische Widersprüche zwischen den führenden EU-Staaten hervortreten. Einige unterstützen die US-Politik am Persischen Golf, während andere gegensätzliche Interessen formulieren. "Auf der einen Seite Großbritannien und Deutschland, die, vor allem aus Treue gegenüber den USA, die amerikanische Strategie unterstützen", teilt die französische Tageszeitung Libération ein. "Und auf der anderen Seite Frankreich, die Länder Südeuropas, aber auch Belgien, die sich einer militärischen Lösung widersetzen und der diplomatischen Option sowie dem 'Dialog' mit Saddam Hussein den Vorzug geben." Auch Rom hege die Absicht - im Gegensatz zum Zweiten Golfkrieg von 1991 -, den Vereinigten Staaten die Benutzung ihrer Militärbasen zu verweigern.

Die Differenzen zwischen verschiedenen "westlichen" Führungsmächten wurden bei der Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik am 7. und 8. Februar sichtbar. US-Verteidigungsminister William Cohen warf Frankreich vor, mit seinen zusammen mit Rußland unternommenen Vermittlungsversuchen gegenüber dem irakischen Präsidenten "die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen zu untergraben". Der französische Außenminister Hubert Védrine wurde von US-Senatoren beschuldigt, "die Unwahrheit" zu sagen - da er behauptet habe, die Ablehnung Frankreichs drücke die Position "der Europäer" aus. Manche Teilnehmer aus den USA beschworen gar die "Gefahr eines Zerfalls der Nato", falls die europäischen Allianzpartner nicht bereit seien, außerhalb des Nato-Territoriums und speziell im Mittleren Osten die US-Positionen zu unterstützen. Daneben beklagte der frühere US-Botschafter in Bonn, Richard Burt, die Bestrebungen westeuropäischer Staaten, ihre Rüstungsindustrien zu einem leistungsfähigen Konglomerat zusammenzuschließen.

Andererseits trifft die Konfrontation der USA mit dem Irak die materiellen Interessen einiger Partner empfindlich. Dies gilt in besonderem Maße für Frankreich, war das Land doch in den siebziger und achtziger Jahren auf ökonomischer und politischer Ebene mit dem Irak verbunden. Begünstigt wurde das Verhältnis zu Bagdad durch den in der französischen Staatsdoktrin eine zentrale Rolle spielenden Laizismus. Die irakische Baath-Partei, deren Ideologie ihrerseits auf einen säkulären arabischen Nationalismus gründet und zumindest bis zum Wechsel von den achtziger zu den neunziger Jahren eine klare Abgrenzung von traditionalistischen Strukturen und religiösen Ideologien betrieb, schien dieser Ausrichtung entgegenzukommen. Obwohl die Gründer der Baath-Partei, Sadi al-Hussri und Michel Aflaq, ihre Bewunderung für Hitler als Herausforderer der traditionellen Kolonialmächte England und Frankreich nicht verschwiegen, schien der von den steigenden Öleinnahmen der siebziger und achtziger Jahre profitierende Irak zunächst durchaus progressiv-moderne Züge zu tragen. Die Alphabetisierungsrate und die soziale Stellung der irakischen Frauen entwickelten sich unter dem seit 1968 herrschenden Baath-Regimes, aus der Ölrente finanziert, durchaus positiv. Es galt daher auch nicht als ehrenrührig, daß der heutige Staatspräsident Jacques Chirac - er amtierte zwischen 1974 und 1976 als Premierminister - Mitte der siebziger Jahre eine persönliche Männerfreundschaft zum damaligen irakischen Vizepräsidenten Saddam Hussein knüpfte, der bereits der eigentliche starke Mann des Regimes war und 1979 die Macht an sich reißen sollte.

Die enge Verbindung zum Irak hatte es Frankreich 1973/74 erspart, tiefer in die Ölkrise hineinzurutschen, welche die konservativen Golfmonarchien durch ihre Ölpreiserhöhungen - mit Unterstützung der USA, die ihre westeuropäischen Konkurrenten treffen wollten - auslösten. Frankreich lieferte dem Irak auch jenen Osirak-Atomreaktor, den die israelische Luftwaffe 1981 kurz vor seiner Inbetriebnahme zerbombten - damals bereits aus Furcht vor einem irakischen Zugriff auf Massenvernichtungswaffen. Zwischen 1975 und 1990 lieferte Frankreich technische Güter für umgerechnet knapp 50 Milliarden Mark an das arabische Land. Die pro-irakische Lobby in der französischen Politik ist nach wie vor stark. Zu ihr gehören etwa Innenminister Jean-Pierre Chevènement, 1985 Mitbegründer der französisch-irakischen Freundschaftsgesellschaft - oder die neogaullistische Politikerin Roselyne Bachelot.

Anfang 1991 nahm Frankreich dennoch militärisch am US-geführten Golfkrieg teil, nachdem es sich bis zur letzten Minute noch um eine diplomatische Lösung bemüht hatte: Paris fürchtete eine Isolation, da sich die meisten politisch bedeutenden Länder der arabischen Welt hinter die US-Position stellten. Nach dem Ende der Blockkonfrontation schienen die USA die einzig übriggebliebene globale Führungsmacht darzustellen - selbst früher mit der Sowjetunion verbundene Staaten wie Syrien versuchten, sich durch ihre Beteiligung am "Wüstensturm" in Washington beliebt zu machen.

Während sich damals knapp 30 Staaten an der Allianz unter Führung der USA beteiligten, kann Washington heute - neben London und Bonn - höchstens auf ein paar kleinere Golf-Staaten zählen. Zu den Gründen der Zurückhaltung zählen einerseits die Enttäuschung über das Agieren der USA im israelisch-palästinensischen Konflikt, andererseits die Erkenntnis, daß die Welt nach dem Ende der Blockkonfrontation doch nicht unipolar geworden ist: Die USA sind zwar die dominante, aber nicht die einzige Weltmacht - aufstrebende Regionalmächte können sich ersatzweise auch mit Frankreich und Rußland liieren.

Die Bundesregierung setzt offensichtlich darauf, aus den Spannungen zwischen Paris und Washington maximalen Nutzen zu ziehen. So erklärte Kanzler Kohl auf der Münchner Tagung symbolisch seine Unterstützung für das US-Vorgehen: "Wenn unsere amerikanischen Freunde diese Verantwortung wahrnehmen, haben sie volle politische Unterstützung verdient." US-Amerikanern und Briten stünden die Militärbasen auf deutschem Boden für Operationen am Golf zur Verfügung - wobei Kohl zunächst offenließ, ob damit neben deren eigenen Anlagen auch die deutschen gemeint sind. Zugleich wies der Bundeskanzler die Vorwürfe der USA über Konzentrationsbestrebungen der westeuropäischen Rüstungsindustrie zurück und unterstützte die französische Forderung, das strategisch wichtige Nato-Kommando Europa-Süd müsse künftig bei einem europäischen statt einem US-Militär liegen.

Kritisch äußerte sich auch der Koalitionspartner: "Wie Kolonialherren", wetterte der Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen bei einer Aussprache der FDP-Bundestagsfraktion, hätten sich die USA in München benommen. Auch Parteichef Wolfgang Gerhardt und NRW-Landeschef Jürgen Möllemann zeigten Verärgerung über Washington. So meinte Möllemann, die USA sprächen ihre Absichten nicht offen aus und wollten "womöglich gleich noch den Iran einbeziehen". Washington, so der Tenor, mag seine Interessen am Persischen Golf haben und die Franzosen im Irak - die deutsche Großmacht hat die ihren im Iran, und daran hat niemand zu rühren. Auf der Münchner Tagung selbst hatte es sich Kohl nicht verkniffen, nach beiden Seiten zu sticheln: Er gab, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, "in vorsichtiger Form Kritik daran zu erkennen, daß andere Staaten wie Amerika früher zu Zeiten des Krieges gegen den Iran begrenzt mit Saddam Hussein kooperierten". Der einzige westliche Außenminister, der damals übrigens nicht für Bagdad, sondern für Teheran eintrat, war der Deutsche Hans-Dietrich Genscher.