Wer hat den besseren Kapitalismus?

Zypern: Der südliche Teil der Insel wartet auf seine Aufnahme in die EU, der nördliche Teil vertraut weiter auf die Türkei

Nur wenige Wochen nach dem Luxemburger EU-Gipfel im Dezember 1997, der für die Türkei in einem Desaster endete, und einige Monate vor der Stationierung russischer Raketen im Süden der Insel, steigt die Nervosität auf der Mittelmeerinsel Zypern. Die Spannung zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil der Insel, in dem am vergangenen Wochenende Präsidentschaftswahlen stattfanden, sowie zwischen der Türkei und Griechenland hat einen neuen Höhepunkt erreicht.

Denn der griechische Teil von Zypern ist einer von sechs Kandidaten, die in die Europäische Union aufgenommen werden sollen, Ankara reagierte darauf mit wütenden Rundumschlägen.

Insbesondere der im Süden gelegene Flughafen Paphos sorgt für eine Zuspitzung des Streits. Im türkischen Norden wird die Übergabe an die griechische Nationalgarde als Schritt zur Aufrüstung im Süden interpretiert.

Der zypriotische Soldat an der Demarkationslinie, die den türkisch besetzten Norden vom griechisch orientierten Südteil der Insel trennt, ist ungehalten: "Hier dürfen Sie nicht fotografieren!" Ein Offizier führt uns zum Checkpoint. Eine Mauer versperrt den Weg in den Nordteil. Über eine Treppe klettern wir nach oben, werfen einen Blick in die menschenleere Pufferzone. Links und rechts säumen halbverfallene Häuser die ehemals belebte Straße. Neben uns ein junger Soldat mit einem umgehängten deutschen G3-Gewehr, wohl eher als martialische Dekoration denn zur Abschreckung gedacht. Der Touristenrummel ist unübersehbar: Inselbesucher aus Deutschland, England und Japan, die noch Minuten vorher in der Innenstadt von Nikosia zum Shopping unterwegs waren, geben ihre Kommentare zum Besten. "Das ist ja wie früher an der Berliner Mauer", ereifert sich ein Mann aus dem Ruhrpott mit hochrotem Kopf.

Recht hat er freilich nicht. Denn hier, an der Nahtstelle zwischen Nord- und Südzypern, stehen sich zwei NATO-Partner gegenüber, die ihre Konflikte seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Waffengewalt austragen. Auch die Soldaten im türkisch besetzten Nordteil benutzen deutsche G3-Gewehre und rühmen sich der Freundschaft zu Deutschland. Die Bonner Republik verdient am Waffenverkauf an beide Seiten.

Seit dem Juli 1974 ist Zypern geteilt. Die türkische Regierung in Ankara hatte den Befehl zur Besetzung des Nordens, der vom türkischen Festland aus in nur wenigen Flugminuten erreicht werden kann, nach tagelangen blutigen Auseinandersetzungen erteilt. Die Folge: 37 Prozent der Insel gerieten in die Hand der türkischen Besatzer, etwa 200 000 griechische Zyprioten flohen in den Süden oder wurden vertrieben. Noch heute gelten mehr als 1 600 Menschen als vermißt. Ankara rechtfertigte den Einmarsch mit Gebietsansprüchen. Seither wird der Norden Zyperns von der Europäischen Union geächtet, während der Süden diplomatische Beziehungen und Botschaften in aller Welt unterhält.

Die Invasion hatte fatale Folgen: An den Brennpunkten der willkürlich gezogenen Grenze wachen bis heute UN-Soldaten über die Einhaltung des brüchigen Friedens. Der ehemals reiche Norden, in dem 70 Prozent des Wirtschaftspotentials angesiedelt waren und der bis heute zu den touristischen Perlen der Mittelmeerregion zählt, verarmte zusehends. Ankara betrachtet den besetzten Teil lediglich als Kolonie; 95 Prozent Inflation und eine marode türkische Lira im Mutterland verhindern jegliche wirtschaftliche Konsolidierung. Inzwischen werden neben dem stabilen südzypriotischen Pfund vor allem der Dollar und die D-Mark als harte Währung gehandelt.

Die griechischen Zyprioten werfen Denktash vor, den Friedensprozeß dadurch zu blockieren, daß er sich allen Verhandlungen über eine Föderation verweigert, in der Norden und Süden gleichberechtigt nebeneinander sitzen und souverän entscheiden. Hinzu kommt, daß sich die griechischen Zyprioten europapolitisch im Vorteil sehen, weil sie glauben, sich in puncto Menschenrechte und Währungsstabilität nichts vorwerfen zu müssen.

"Wir haben", so brachte es der 28 Jahre alte Taxifahrer Andreas in Nikosia-Süd den Punkt, "zwar ein kapitalistisches System, aber das haben die in der Türkei und im Norden von Zypern ja auch. Mit dem wesentlichen Unterschied, daß es uns uns hier im Süden doch erheblich besser geht. Und wir verfolgen auch keine ethnischen Minderheiten, wie das die Türkei gegenüber den Kurden praktiziert."