Anklage zum Altpapier

Trotz Videoangriff und Zusammenarbeit mit der Stadtreinigung: Die Staatsanwaltschaft fand kein juristisch verwertbares Material gegen die autonome Wochenzeitschrift interim

Von dem "vollen Erfolg", den die Staatsanwaltschaft nach der Razzia in den mutmaßlichen Redaktionsräumen der interim verkündete, blieb nicht viel: ein eingestelltes Verfahren und einige Erkenntnisse über die Arbeitsweise des Berliner Staatsschutzes.

Wie die 13 Beschuldigten aus den Akten erfuhren, trieben die Behörden einen erheblichen Aufwand, um der Redaktion der wöchentlich in 1 500 Exemplaren erscheinenden Sammlung von Diskussionsbeiträgen und Ankündigungen aus der autonomen Szene am Zeug zu flicken. Nach erfolglosen Überwachungsaktionen des Staatsschutzes 1989, 1991 und 1994, schalteten sich 1995 die "Kollegen" vom Verfassungsschutz ein. Bei ihren sechsmonatigen Observationen an bis zu zehn Punkten gleichzeitig entdeckten sie schließlich im Mai 1996 einen mutmaßlichen Druckort der interim in der Neuköllner Pannierstraße. Diese Erkenntnis leiteten sie sofort an den Staatsschutz weiter, und beide Behörden bemühten sich um die Anmietung einer konspirativen Wohnung in der Nähe. Aus dieser heraus verknipsten sie nun etliche Filme und führten im August 1996 mindestens vierzehn Tage lang eine Videoüberwachung durch. Sogar die Berliner Stadtreinigung durfte im November 1996 bei der Beschlagnahmung eines Altpapiercontainers mitspielen, in dem Druckabfälle der interim vermutet wurden.

Überhaupt arbeitete der Berliner Staatsschutz intensiv mit anderen Behörden zusammen. Jeden Freitag wurde die neueste Ausgabe der interim mit der Bitte um die Einleitung eines Verfahrens nach Paragraph 129a zur Bundesanwaltschaft (BAW) nach Karlsruhe geschickt. Jeden Montag antwortete die BAW mit einer Auflistung der Paragraphen, gegen die einzelne Textstellen verstoßen könnten. Aber auch die BAW mußte in diesen Kurzgutachten feststellen, daß allgemeine Diskussionen, auch von militanten Gruppen über den bewaffneten Kampf, grundsätzlich erlaubt sind. Erst ein Aufruf zum Mitmachen sei strafbar.

Die Durchsuchung im letzten Jahres wurde dann mit einem nachgedruckten Flugblatt begründet, das aufrief, die Grundsteinlegung des Fusionsforschungsreaktors in Greifswald "zu be- bzw. verhindern". Die Diagnose der Staatsanwaltschaft: "Billigung und Belohnung von Straftaten" (Paragraph 140 StGB). 500 Berliner Polizisten wurden zu einer der größten Razzien seit Jahren losgeschickt. Sie durchsuchten am 12. Juni 1997 fünf Wohnprojekte mit etwa 120 BewohnerInnen, vier Wohnungen und zwei Druckereien. 16 Computer sowie 2 178 Disketten wurden beschlagnahmt.

Ungeachtet aller grundgesetzlichen Trennungsgebote wollte der Berliner Staatsschutz aus "technischen Gründen" einen Teil der beschlagnahmten Computer dem Verfassungsschutz zum Auswerten überlassen. Dies konnte von den Betroffenen, die dies nur durch Zufall erfuhren, in letzter Minute per Gerichtsbeschluß verhindert werden. Nach Angaben eines der Beschuldigten geht aus den Akten eindeutig hervor, daß das Ziel der Razzia war, Menschen "in flagranti" bei Tätigkeiten in Zusammenhang mit der interim zu erwischen. Weil die Ermittlungsbehörden wiederholt verunsichert waren, ob sie zur Stunde X auch am "richtigen" Ort zuschlagen, wurde die Aktion in einer großen Einsatzbesprechungsrunde von Staatsschutz, Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz und den Einsatzkräften immer wieder verschoben. Schließlich sei von Oberstaatsanwalt Heinke der 12. Juni 1997 als Datum festgelegt worden. Daß diese Sorge der Verfolgungsbehörden nicht unbegründet war, zeigte sich allein daran, daß die betreffende Ausgabe Nummer 424 an vielen Verkaufsstellen in Berlin trotz der Polizeiaktion erhältlich war. Lediglich eine Teilauflage von 750 Exemplaren konnte die Polizei beschlagnahmen.

Diese werden nun mit achtmonatiger Verspätung in den Handel kommen. Die Staatsanwaltschaft hat im Laufe der letzten zwei Wochen alle Ermittlungsverfahren eingestellt: Es bestehe kein dringender Tatverdacht, den Verdächtigen sei nicht nachzuweisen, für welchen Artikel sie verantwortlich seien.

Trotz der juristischen Schlappe kann sich der Staatsschutz trösten: Die bei der Durchleuchtung der autonomen Szene Berlins gewonnenen Erkenntnisse werden sich bei nächster Gelegenheit schon einsetzen lassen.