Antizionismus ohne Junktim

Pro-Saddam-Demonstrationen auf palästinensischem, Verteilung von Gasmasken auf israelischem Gebiet

Der Gedanke, daß Iraks Diktator Saddam Hussein in einem erneuten Golfkrieg versuchen könnte, wie schon 1991 durch Bombardements mit Scud-Raketen Israel in eventuelle Kriegshandlungen einzubeziehen und sich so eine Solidarität im arabischen Raum zusammenzubomben, schreckt zur Zeit viele Israelis und läßt Konflikte, die sonst die Innenpolitik des Landes beherrschen, in den Hintergrund treten.

So titelte die linke Wochenzeitung BibiWATCH am 9. Februar: "Dieses Mal hat Bibi recht." Die Zeitung, ein Produkt der israelischen Friedensbewegung, die sich ihren Namen in Anlehnung an den Spitznamen des Premiers Benjamin Netanjahu gab, schrieb: "Netanjahu verdient in diesem Punkt die volle Unterstützung der Opposition. Ich spreche über Netanjahus Beharren auf dem Recht Israels, sich im Falle eines erneuten Angriffs von Saddam Hussein selbst zu verteidigen." Ähnlich wie BibiWATCH-Herausgeber Eric Lee argumentieren zur Zeit viele friedensbewegte Israelis. Die linksliberale Tageszeitung Ha'aretz schreibt beispielsweise mit Blick auf die vielen derzeit stattfindenden Pro-Saddam-Kundgebungen auf dem Territorium der palästinensischen Autonomiebehörde: "Nur wenn die palästinensische Führung diese Demonstrationen aufs Schärfste verdammt, kann es weiter ein bißchen Hoffnung in den Herzen sowohl der Israelis als auch der Palästinenser geben."

Ein Unterschied zur Situation 1991 besteht jedoch schon. Chem Shalev, Kommentator der liberalen israelischen Tageszeitung Ma'ariv schrieb, daß der Irak "demonstrativ Israel ignoriert, und die einzigen Drohungen, die öffentlich zu vernehmen sind, sind gewöhnlich die, die von Jerusalem nach Bagdad geschickt werden". Das liege daran, daß es 1991 Saddams "zentrale Strategie (war), das legendäre Junktim zwischen dem Kuwait-Problem und dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu erfinden". Da der Anlaß für die Gefahr eines erneuten Krieges aber keine offensichtliche irakische Aggression sei, bedürfe es dieses Junktims, zumindest aktuell, nicht.

Auch die israelische Öffentlichkeit reagiert auf die wachsende Kriegsgefahr gelassener als 1991. Bemerkenswert unaufgeregt wird erörtert, wie und wo noch fehlende Gasmasken organisiert werden können, das Leben in den Straßen von Tel Aviv und Jerusalem geht einen relativ geregelten Gang und, wie Israels auflagenstärkste Zeitung Yediot Ahronot berichtete, gehen auch die Gespräche zwischen Regierung und Arafats Autonomiebehörde weiter. Der als Rechtsaußen bekannte Infrastrukturminister Ariel Sharon traf sich beispielsweise mit zwei palästinensischen Funktionären, darunter Mahmud Abbas, Arafats Stellvertreter, um über den in den Osloer Verträgen vorgesehenen Truppenabzug zu sprechen. Auch ein Geheimtreffen von Abbas mit Netanjahu soll stattgefunden haben.

Trotz Kriegsgefahr gibt es seitens der Palästinensischen Autonomiebehörde weiterhin den Willen, den Friedensprozeß nicht ganz zu beenden. Sie bemüht sich, ihr Image nicht ramponieren zu lassen, ohne daß ganze Teile ihrer Klientel zur militanten Hamas überlaufen. So erließ sie ein Demonstrationsverbot, allerdings ohne sich um seine Einhaltung zu kümmern, und ließ elf lokale TV-

Stationen mit Hinweis auf deren Irak-Berichterstattung schließen. Auf israelische Kritik an der praktizierten Pro-Saddam-Haltung wird in den palästinensischen Medien unterschiedlich reagiert. Etliche Autoren, zum Beispiel Salman Natur in der unabhängigen Al Quds, argumentieren, ihre Solidarität gelte dem irakischen Volk, nicht dessen Führung; das könne man in Israel nicht verstehen.

Die offizielle Tageszeitung der Autonomiebehörde, Al Hayat al Jadida, druckt allerdings beinahe täglich Unterstützungsadressen an Saddam. Ein Mitglied der gesetzgebenden Versammlung Palästinas, Youad Altibi, sagte: "Die USA versuchen, alle arabischen Nationen unter zionistische Kontrolle zu bringen", und Yassir Arafat, so berichtet eine israelische Nachrichtenagentur, soll Anfang Februar einen Brief an den irakischen Präsidenten übermittelt haben, in dem es heißt: "Wir informieren Präsident Saddam Hussein über die starke Unterstützung der palästinensischen Nation und der PLO für den Irak und über unseren festen Einspruch gegen die amerikanischen Drohungen, militärische Mittel anzuwenden."