Foxy Browns Jetlag

Mit Quentin Tarantinos "Jackie Brown" ist Pam Grier in den Neunzigern gelandet

Wer heute Foxy Brown sagt, meint die Sister-in-Soul von Lil Kim, Foxy Brown die soulende Rapperin mit der Negligé-Sammlung. Wer vor zwanzig Jahren Foxy Brown sagte, meinte Miss Blaxploitation herself: Pam Grier, die toughe, slicke Lady, die Erfülllung jedes Rick James-Songs, die Frau, mit der die Ohio Players love between the sheets machen wollen.

Da läuft sie die Mosaikwand am L.A.X. entlang. Lange Haare, unmögliche mittelblaue Achtziger-Stewardessen-Uniform und eine weiße Bluse, die über ihren Brüsten spannt. Sie geht ganz langsam, dann rennt sie, immer mit diesem Lächeln, das von street wise zynisch gewendeter Altersenttäuschung und langjähriger Prozak-Einnahme zeugt. Daß sich in dieser Situation ein Schußwechsel - Jackie Brown aka Foxy Brown in Aktion - oder die ultimative Quick-Sex-Orgie ereignet, ist ziemlich undenkbar, und es paßt ganz gut, daß sie einfach ins Flugzeug einsteigt und ihr Tagwerk bei einer drittklassigen mexikanischen Airline beginnt: von Los Angeles zur Südspitze der Baja California und zurück.

Tarantino goes Blaxploitation, hätte man ja auch früher drauf kommen können. Vor allem, nachdem klar war, daß seine Hong Kong-Film-Affirmationen ihre Halbwertzeit überschritten hatten. Was er selbstironisch in "Jackie Brown" anklingen läßt, wenn der Waffenschieber Ordell (Samuel L. Jackson) von den Marktgesetzen des Waffenkleinhandels spricht: "When the Hong Kong flics came out, all the the Niggas wannet to be da Kolla", also hatte er alle mit Pistolen auszustatten. Für Regisseur Tarantino hieß das, Hong Kong-Filme studieren, deren Geschwindigkeit und Gewalt auf US-amerikanische Popkultur übertragen und "Pulp Fiction" drehen.

Bei "Jackie Brown" hat er anders gearbeitet. Er hält sich immer noch ziemlich genau an die Vorgaben, orientiert sich an "Foxy Brown", "Super Fly", "Shaft" und "Coffy". Aber die Siebziger sind vorbei, Hustler-Charme, Schlaghosen und Black Panther-Fashion längst Retro. Für die Übriggebliebenen sind Acid-Nächte und promiske Sex-Quickies Vergangenheit. Hier leben die Protagonisten in einer Welt aus Konservierungssehnsucht, peinlichen Achtziger-Fashionverirrungen und den fragmentierten Sozialbeziehungen der Neunziger.

Tarantino verzichtet nicht auf die juicy fruits, er gibt uns Demi Moore als Lederbikini tragende Waffenfetischistin in einem Video, das bei Waffenhändler Ordell und seiner Beach-Chick Melanie (Bridget Fonda) in der Glotze läuft: "Chicks Who Like Guns" ist eine White Trash-Produktion, ein Video, auf dem verschiedene knapp bekleidete Frauen mit ihren Lieblingswaffen in der Wüste stehen und Sätze sagen wie: "Zwischen mich und meine AK 47 laß ich nichts kommen" - rattatttaaattta. Das Video soll den gerade aus der Haft entlassenen Louis mit dem Job vertraut machen, in den Ordell ihn einarbeiten möchte. Gleich nach "Chicks Who Like Guns" sieht sich Bridget Fonda als die voll-breite Melanie "Crazy Mary, Dirty Larry" an, in dem ihr Papa Henry Fonda mitspielt. Ordell fragt, ob das Rutger Hauer in der Glotze sei, und sie, völlig genervt von der Ahistorizität seiner Frage (Rutger Hauer hat nicht in Siebziger-Jahre-Filmen mitgespielt), kontert: "Nein, das ist Helmut Berger." Ordell gibt den ganz großen Mack und versucht, den ohnehin beeindruckten Louis mit Angebereien für seine Geschäfte zu ködern: "Mein Anwalt ist besser als Johnnie Cochran, und er haßt die Bullen genauso." Cochran ist der schwarze Star-Anwalt par excellence, er hat O.J. Simpson vertreten, Michael Jackson, Snoop Dog und Tupac Shakur und zwischendurch auch den weißen Trucker, der bei den Riots in Los Angeles 1992 in Compton zusammengeprügelt wurde.

Tarantino macht mit seinen Zwischentiteln nicht nur die zeitlichen Dimensionen deutlich (etwa nach dem Quickie zwischen Melanie und Louis, wenn "3 minutes later" eingeblendet wird). Wenn "The City of Compton" als Ortsangabe auf der Leinwand erscheint, ist das nicht nur Hinweis auf die vorwiegend schwarze Nachbarschaft, die hier zu erwarten ist, sondern auch eine Reminiszenz an Gangster Rap, wo Compton, als Treffpunkt von Bloods and Crips, als high crime-Ghetto wieder und wieder besungen wird.

Die Zeit hat nicht nur Pam Grier und Robert Forster eingeholt; wo Foxy Brown den Angela Davis-Afro mit Kinky Cat-Klamotten mixte und ein Kleinwaffenhändler wie Ordell wahrscheinlich Schlapphüte und gesäßbetonte, gestreifte Anzüge mit bunten oder getigerten Riesenkragenhemden getragen hätte, muß man sich in "Jackie Brown" daran gewöhnen, daß Pam Grier die Lippenstiftfarbe der Neunziger - Braun - mit den Nagellackfarben der Achtziger - leuchtendes Rot - kombiniert, daß Ordell zwar seine Extravaganz durch Henna-Pferdeschwanz betont und eine black-fashion-korrekte Kangol-Mützen trägt, aber auch in so unglamourösem Zeug wie einer gelben Windjacke zu sehen ist.

Nur das kalifornische Beach-Chick Bridget Fonda, die sich Ordell als Statussymbol hält, ist ungebrochen authentisch: ewig kiffend liegt sie in Bikini oder Hot Pants auf dem Sofa und spielt das Wer-ist-der-Herr-im-Haus-Spiel ganz hervorragend.

Anders als in den siebziger Blaxploitations, wo Ordell als Waffenhändler sicherlich nicht nur seinen eigenen Harem hätte, sondern neben Waffen auch Frauen verticken würde, geht es in den Neunzigern zwar um die gleichen Fragen, die Machtverhältnisse werden allerdings anders ausgehandelt. Tarantino läßt Ordell (Jackson ist bereits aus "Pulp Fiction" bestens bekannt) mit der alten Hustler-Attitüde ankommen und abfahren: "Bring mir einen Drink, Baby, geh mal ans Telefon", und Melanie hält sich auch meistens daran, weil sie weiterhin ganz gerne im Beach-Haus vor der Glotze liegen möchte und jemanden braucht, der ihr täglich die Haschisch-Häufchen zuschiebt. Wenn sie aber nein sagt, oder zickt, kriegt sie eben nicht, wie das noch in den Siebzigern der Fall gewesen wäre, eins aufs Maul, sondern hinterläßt einen verärgerten Ordell, der genau weiß, daß sich die Zeiten geändert haben.

Nur am haftentlassenen Louis (Robert de Niro) ist die Zeit zu schnell vorbeigegangen, was sich nicht nur in seiner Unfähigkeit zeigt, mit automatischen Autoschlüsseln umzugehen, sondern auch in seiner Unfähigkeit zum hedonistischen Sex. Als Simone, eine von Ordells gealterten Mitarbeiterinnen, für ihn die Supremes als Entlassungsshow vorführt, ist er genauso überfordert wie in der dreiminütigen Von-hinten-in-der-Küche-mit-Klamotten-Fickszene, die er mit Melanie hat, nachdem die ihn dazu aufgefordert hat. Hier gibt es nichts mehr zu erobern, weniger noch zu dominieren - kein Mythos und keine Romantik. Deshalb ist er, nachdem er Ordell von der Nummer schuldbewußt erzählt, noch mehr verunsichert ist, als der ihm erklärt, Melanie gehe, mit allem, was sie kriegen kann, ins Bett. Louis ist anzumerken, daß ihm die Hustler-Variante lieber gewesen gewesen wäre, wonach Ordell, der Boss, ihm als Vertrauensbeweis einen Fick mit der eigenen Freundin spendieren würde.

Daß Melanie Louis nach dem Geldübergabe-Coup auch noch auf dem Mall-Parkplatz als vertrottelten alten Loser beschimpft, weil er das Auto nicht mehr finden kann - "Klar, daß sie dich nach deinem Banküberfall geschnappt haben, wenn du dein Fluchtauto nicht finden kannst" -, erschießt er Melanie kurzerhand, was anderes fällt ihm in seiner Sprachlosigkeit nicht ein. Kurz darauf wird Louis von Ordell erschossen, nicht weil der sprachlos wäre, sondern weil er im Versagen von Louis eine ganz persönliche Bedrohung sieht.

Der gesamte Plot von "Jackie Brown" unterscheidet sich von den Siebziger-Streifen dadurch, daß es weder die Guten noch die Bösen gibt, daß es nur Gewinner und Verlierer gibt. Da sind die mächtigen weißen Cops, der semi-erfolgreiche Kleinwaffenhändler, der seine Mitarbeiter nach dem Familien-Gesetz zwar aus jeder Zwangssituation herausholt, aber auch gnadenlos abknallt, wenn sie ihm gefährlich werden könnten. Und - es gibt Jackie Brown, die sie alle austrickst. Gar nicht so sehr aus kriminellem Gewitzt-Sein, mehr aus der Notwendigkeit zur Altersversorgung. Nachdem die Bullen sie beim letzten Deal, als sie Geld über die Grenze schmuggelte, erwischt hatten, stehen ihr Knast oder Arbeitslosigkeit bevor, und das macht die 44jährige zur Spielerin. Sie verspricht den Cops, Ordell auffliegen zu lassen, und Ordell, der sie zunächst als Risikofaktor ausschalten wollte, versichert sie, seine halbe Million aus Mexiko zurückzubringen. Dazwischen schaltet Tarantino den gealterten Kautionsagenten Max Cherry (Robert Foster), der sich, als er Jackie mit Ordells Geld aus dem Knast holt, in sie verliebt und sich - zumindest musikalisch - von ihr in die Siebziger der Delfonics-Schnulzen zurückholen läßt.

Jackie ist die Playerin, aber anders als in "Foxy Brown" setzt sie sich und ihren Körper dabei nicht als Tauschware ein, sondern hält sich permanent auf Distanz. Sie geht weder mit LAPD- und AFT-Agent Nicolet (Michael Keaton) noch mit Max Cherry ins Bett, nutzt auch dessen romantisches Verliebtsein nicht aus, sondern verhandelt korrekt geschäftlich mit ihm als Agenten. Ihr Abgang ist dem der einzigen Überlebenden von "Set it Off" nicht unähnlich - kein absolutes Glück, kein berauschendes Leben, dafür eine bescheidene Fahrt nach Spanien und vielleicht die Anschaffung eines CD-Players.