Roter Teppich für Jünger

Gegner und Fans sind sich einig. Die Planstelle "Nationaldichter" kann endlich besetzt werden

Hätte sich Ernst Jünger kurz vor seinem 100. Geburtstag erschossen, ihm wäre ewiger Nachruhm unter seinen rechten Anhängern sicher gewesen. Jetzt ist es vielleicht zu spät. Ernst Jünger galt im In- und Ausland als Inkarnation des guten deutschen Konservativen. 1933 hatte er seine radikalfaschistische Phase schon hinter sich und konnte sich in die "innere Emigration" begeben, die seine deutschnationalen Schriftstellerkollegen erst nach dem Krieg entdeckten, als es darum ging, die zurückgekehrten Emigranten des nationalen Verrats anzuklagen.

Zum Jahrhundertjubiläum wurde mit großem Lärm noch einmal das Spektakel des "zwischen Links und Rechts umstrittenen Dichters" aufgeführt. Gratulanten, die wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten dazu verdammt waren, dem Unverwüstlichen in regelmäßigen Abständen Lobeshymnen zu schreiben, strapazierten noch einmal ihre ganze Phantasie, um Ernst Jünger eine würdige Laudatio zu widmen. Ein sprachgewaltiger Chronist sollte er gewesen sein, für manche sogar Vertreter einer deutschen Moderne. Hinzu kamen die Schülerzeitungsaufsätze aus der Jungen Freiheit und anderen Blättern des neurechten Nachwuchses.

Nach Jüngers verspätetem Tod überwiegt bei den alten Kameraden im Feuilleton (sofern sie nicht zur fanatischen Fangemeinde gehören) eine gewisse Erschöpfung, zuweilen sogar Gereiztheit. "Man kann nicht gerade sagen, daß Ernst Jünger einen nennenswerten Beitrag zur deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte geleistet hätte", schreibt Wolf Jobst Siedler in der Berliner Zeitung. Frank Schirrmacher will sich in der FAZ zu Stilfragen lieber gar nicht erst äußern: "Denn es bedurfte längst keiner literarischen Anstrengung mehr, um dieses Leben symbolisch zu machen." Mit Bertolt Brecht und Thomas Mann als Repräsentanten großer deutscher Kultur habe Jünger nur die "Verachtung demokratischer Verkehrsformen" gemein gehabt. Nicht mehr die angebliche antitotalitäre Geradlinigkeit des Autors steht im Vordergrund, sondern eine weltanschauliche Ambivalenz, zu deren Beweis schon die Auflistung von Jüngers linken Freunden und rechten Feinden ausreicht. Ein etwas lauer Abschied.

Doch wo die Gefahr am größten ist, da wächst das Rettende auch. Jünger wird nicht in Vergessenheit geraten, weil sich jüngere und unverbrauchtere Anhänger gefunden haben. Wer, wie Alexander Kluge, "bis 1987 nichts" von Jünger gelesen hatte, dann aber, wie er in der Süddeutschen Zeitung bekennt, "auf einen Hinweis von (Heiner) Müller alles: Erzählungen, Romane, Tagebücher. Wirklich alles", der bringt gute Voraussetzungen für einen produktiven Umgang mit Jüngers Werk mit: "Bei Jünger hatte ich eine Geschichte zum roten Teppich gefunden, wo er analysiert, daß ein solcher Teppich ausgebreitet wurde bei der Ankunft des Agamemnon und wie das dann blutig endete mit dem Tod im Badezimmer. Ich habe das zum Ausgangspunkt für ein Geschichte gemacht von einem Mann, der 1945 aus dem Krieg kommt zu seiner Frau und seine Kameraden essen das Liebespaket seiner Frau und sterben an GiftÖ"

Stefan Breuer - vormals kritischer Theoretiker, jetzt Weberianer und Chronist der Konservativen Revolution - verblüfft in der Berliner Zeitung durch einen Nachruf, der keines der Klischees ausläßt, die selbst Altkonservative nicht mehr auszusprechen wagen. Da wird zunächst der "Meister des Überlebens" gefeiert, der Krieg, Revolution, die schweren Jahre zwischen 1933 und 1945 und: "Nicht zu vergessen: die ersten Experimente mit LSD" unbeschadet überstanden hat. Seine 1944 verfaßte Schrift "Der Friede", in der Jünger die Schuld am "Weltbürgerkrieg" gleichmäßig auf Alliierte und Nazis verteilt, sei eine Art UNO-Manifest, in dem die "internationale Sicherung von Freiheit und Menschenwürde" gefordert werde. Den "Nachgeborenen" steht es nicht zu, auf einen, der so viel erlebt hat, mit dem Finger zu zeigen. Das Schlußurteil steht von vorneherein fest: "Ein Beobachter dieser Statur ist nicht zu ersetzen."

Für Jüngers Spätwerk erklärt sich in der taz der nachgeborene Schriftsteller Klaus Modick zuständig. "Nach 1945 zog sich Jünger in eine Art zweiter, innerer Emigration zurück (...) Während der 70er Jahre erschloß er sich durch die kultur- und technologiekritisch grundierten Tagebücher 'Siebzig verweht' eine neue Leserschaft, auch und vor allem aus der sogenannten Linken. Allerdings war dies eine Leserschaft, die sich nicht mehr ideologiekritisch orientierte, sondern eher ökologisch und hedonistisch."

Tatsächlich kann es passieren, daß einem auf Jünger-Symposien grauhaarige Vollbärte begegnen, die von Jüngers tiefen Einsichten in den verderblichen Einfluß des naturzerstörerischen jüdisch-christlichen Logozentrismus berichten.

Zugänge zu Jünger gibt es viele, aber Modick benennt mit Jüngers "einzigartige(r) Kunst, (Ö) naturwissenschaftliche Erkenntnis mit literarischer Darstellung zu verschränken" ihren gemeinsamen Nenner: Hätte Jünger sein ganzes Leben lang den unpolitischen Beobachter gemimt, dann wäre sein Werk längst als das eines langweiligen Mitläufers ad acta gelegt worden. Gerade Jüngers auf "Marmorklippen" und im "Waldgang" vermeintlich überwundene faschistisch-militaristische Vergangenheit ist die Trumpfkarte seiner literarischen Vita. Glaubwürdiger als andere konnte er den eben noch fanatisch herbeigesehnten völkischen Staat nach dem verlorenen Krieg als unvermeidbaren, quasi naturgesetzlichen Schicksalsschlag darstellen, weil er sich etwas früher zurückgezogen hatte als seine Kollegen. Meisterhaft stilisierte er nach dem verlorenen Krieg das revanchistische Ressentiment gegen "grobschlächtige Amerikaner und Pariser Verbrechercliquen, die den Argot in die Literatur einführten" (Jünger 1948), zum Widerstand gegen diffuse totalitäre Bedrohungen. Der mild gestimmte Naturfreund der späten Jahre rundet das Bild ab.

Der Mann hat also für jung und alt etwas zu bieten und eignet sich nach wie vor gut für die Planstelle Nationaldichter, allerdings nicht wegen irgendwelcher rechter Seilschaften, sondern weil er das ganze Spektrum des deutschen Elends repräsentiert: Den Krieger für die spätpubertierenden Jungkonservativen, den unschuldigen Deutschen für die NS-Generation und den biodynamischen Drogenfreak für die postkritischen 68er.