Zwergenaufstand bei der CDU

Gefährliche Orte XX: Beim Landesparteitag der Berliner Union setzten sich die Rechten durch

Im Eingangsbereich ist deutlich sichtbar ein Baustellen-Schild aufgestellt: "Parteiumbau" steht darunter. Die innovativen Witzbolde der Jungen Union haben den Zustand der Mutterpartei damit exakt getroffen. Denn auf dem Landesparteitag am vergangenen Sonnabend wurde in der Tat jede Menge umgebaut. Allerdings ganz und gar nicht im Sinne des Vorsitzenden Eberhard Diepgen.

Der Regierende Bürgermeister denkt beim Bauen nämlich zuerst an seine Stadt, an die Baukräne über dem Potsdamer Platz, die Kuppel auf dem Reichstag oder die Transrapid-Strecke zwischen Berlin und Hannover: "Berlin ist immer in Bewegung, eine Hauptstadt im Werden und Wachsen, eine Weltstadt im Wandel." Seine Partei wandelt sich ebenso, auch wenn Diepgen das bei seiner Eröffnungsrede noch nicht so richtig wissen konnte. Sein Appell "Nur gemeinsam sind wir stark" wirkt hilflos und bleibt ohne Wirkung. Stark sind im Tagungssaal des Maritim-Hotels vor allem die anderen von der innerparteilichen Konkurrenz.

Sie nennen sich "Union 2000" und wollen alles ganz anders machen als der Parteichef. Mehr Profil muß her, mehr Abgrenzung zum sozialdemokratischen Koalitionspartner. Und mehr Volksnähe soll die Partei dann auch haben. Mit Gespür für die Bedürfnisse des "kleinen Mannes von der Straße" soll die Union auf das Jahr 2000 zugehen, wobei damit nicht die Obdachlosen, sondern "anständige Steuerzahler" gemeint sind. Dafür müssen zunächst die großen Männer von ihren Postensesseln geschubst werden: Neue Gesichter braucht die Partei, wissen die Streiter für ein neues rechtes CDU-Profil - und zwar die Gesichter der Union 2000.

Für den Diepgen-treuen Klaus-Rüdiger Landowsky, den Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ist das Unsinn. Ein unbedeutender "Zwergenaufstand", ließ er im Vorfeld verlauten. Aber für Zwerge sind die Vordenker der Union 2000, der Zehlendorfer CDU-Vorsitzende und Rechtsanwalt Uwe Lehmann-Brauns wie sein Kollege Ingo Schmitt aus Charlottenburg, ziemlich groß - und mächtig dazu. Deshalb wurde die Vorstandsetage vom Parteitag kräftig umgebaut: Von den sechs Stellvertretern Diepgens wurden nur drei wiedergewählt, obwohl sie alle erneut angetreten sind und die Zahl der Stellvertreter auf sieben erweitert wurde. Von den Beisitzern des Landesvorstandes wurden nur zwei wiedergewählt, alle anderen bemühten sich erfolglos, ihren Posten zu behalten. Und auch für Diepgen selbst ist das Delegiertenvotum eher eine Niederlage als ein Sieg. Nicht einmal zwei Drittel unterstützten den Landesvorsitzenden bei seiner konkurrenzlosen Kandidatur: 62,2 Prozent Ja-Stimmen, knapp zwei Jahre zuvor waren es noch 73,7 Prozent gewesen.

Grund zum Feiern gibt es also keinen. Deshalb gibt es auch erstmal keinen Sekt. Nicht einmal, als Herr Faber von der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU, im alten Vorstand ein Stellvertreter Diepgens, dann doch noch einen Beisitzer-Posten ergattert. Statt dessen rennen junge Leute mit den zu Wahlurnen umfunktionierten silbernen Sektkübeln durch den Saal, um darin schon wieder Stimmzettel für den nächsten Wahlgang einzusammeln. Die Junge Union ist nämlich nicht nur witzig, sondern manchmal auch nützlich. Und sie hat noch mehr Verkehrszeichen mitgebracht, ein absolutes Halteverbot "für Besitzstandswahrer" beispielsweise. Sogar für einen Abbau des Haushaltsdefizits haben die Jungunionisten ein Schild mitgebracht. "Geklaut sind die natürlich nicht", wie man gleich versichert.

Weil die Parteijugend so viel Geld für Schildchen ausgibt, gibt es auf dem Parteitag nicht nur keinen Sekt, sondern auch nicht einmal was zu Futtern. Umsonst ist bei der CDU nur die Werbung. Allein in seiner Eröffnungsrede weiß der Regierende Bürgermeister mit Hinweis auf "Ansiedlungserfolge" eine beträchtliche Anzahl von Firmen zu nennen -von BMW, Mercedes und VW über Philip Morris bis hin zu Sat.1 und NDR. Im Vorraum des Tagungssaales sind weitere Standortbewerber erschienen: unter anderem Jaguar, Sony, DeTeWe und die Deutsche Post AG. Könnte sich Diepgen im neuen Landesvorstand wenigstens auf halb so viele Parteikollegen verlassen, wäre er vermutlich froh. Denn "sein" Generalsekretär Volker Liepelt erzielte bei der Wahl zum Bundesausschuß der Partei gerade einmal 50 Delegiertenstimmen, das Rennen machte dagegen Lehmann-Brauns, noch vor Landowsky.

Dennoch gibt sich die Nummer eins der Berliner CDU betont optimistisch: Er sehe der Zusammenarbeit im zukünftigen Vorstand gelassen entgegen und halte die ganze Diskussion um die Union 2000 für übertrieben. Von einem "Zwergenaufstand" spricht jedenfalls keiner mehr. Hinter vorgehaltener Hand lassen einige Delegierte ihrer Enttäuschung freien Lauf: "Die übernehmen hier einfach den ganzen Laden und wir können gar nichts dagegen tun", heißt es gegenüber Jungle World. Die sogenannten 2000er haben das auch schon gemerkt und behalten ihre Genugtuung keineswegs für sich.

Ihre Forderung nach mehr Profil in Abgrenzung zur SPD bedeutet für die neue Mehrheit in der Berliner CDU vor allem mehr Law und mehr Order. Kein Wunder also, daß Innensenator Jörg Schönbohm, seit Sonnabend auch stellvertretender Landesvorsitzender der CDU, eine ihrer Vorzeigefiguren ist. Diepgen vertraut allerdings ebenfalls auf die Loyalität des ehemaligen Militärs. Unterdessen kritisieren einige Vertreter der Union 2000 an Schönbohm, der sich von seinen Parteifreuden gerne als "Herr General" anreden läßt, er habe sich wahrlich nicht deutlich genug positioniert - bzw. "in die Schlacht geworfen", wie Schönbohm selbst sagt. Der Weg jedenfalls scheint zunächst frei für einen Rechtskurs. Gerade die jüngeren 2000er debattieren am Rande schon mal mit einem Mitglied des Bundes Freier Bürger, warum die rechten Unterwanderungsbestrebungen in der Berliner FDP eigentlich gescheitert sind.

In einem solchen Klima kann sich die Frauen-Union mit ihrer Forderung nach einem Quorum für Kandidatinnen nur schwer durchsetzen. Quorum sage frau bewußt, um bloß nicht den unpopulären Anschein von Zwang oder "Quoten-Frau" zu erwecken, erklärt eine Delegierte. Dennoch sähe es die CDU-Frauenorganisation gerne, wenn ein Drittel aller Posten mit Frauen besetzt wäre. Bei den meisten Männern kommt das gar nicht gut an. Nur dort, wo das Quorum bereits mehr als erfüllt ist - unter den mit Sektkübeln ausgestatteten jungen Wahlhelfern - sähe man gerne mehr Frauen, grölt manch Delegierter. Und das Bier könnte ruhig auch etwas billiger sein.