Imageschaden für die Heimat

Düsseldorfs wohlhabender Vorort Ratingen steckt Roma-Flüchtlinge in Baracken und sorgt sich um das Stadtbild

Einkommensmillionäre aus dem nahen Düsseldorf ziehen gern ins nahe Ratingen, Familien aus dem Ruhrgebiet schätzen den 90 000-Einwohner-Ort mit seiner schmucken kleinen Altstadt, den gepflegten Wäldern vor den Toren und der stabilen CDU-Mehrheit im Rat als Ausflugsziel. Das Bild wird einzig gestört durch ein paar Obdachlose, die beim besten Willen nicht aus der Fußgängerzone zu vertreiben sind, und das Gelände Am Sondert. Sieben Kilometer vor der Stadtgrenze hausen dort auf einer Brache zwischen Kläranlage und Landstraße in Betonbaracken und Bretterbuden rund 120 Roma. Stimmen aus der CDU sprechen von einem "Imageschaden" für die saubere Heimat: Nicht deswegen, weil es sich bei dem unbefestigten Platz, den von Schimmelpilz und Kakerlaken befallenen Hütten um eine städtische Flüchtlingsunterkunft handelt, sondern weil die "unmenschlichen Zustände" im Lager von vorbeifahrenden Autofahrern bemerkt werden könnten.

Die Mehrheit der Am Sondert lebenden Roma wurde aus Serbien vertrieben und hält sich bereits seit acht, zehn und mehr Jahren in der Bundesrepublik auf. Trotzdem wurde bislang nicht einer der Familien eine Aufenthaltsbefugnis erteilt. Froh sein darf schon, wer nicht alle zwei Wochen zum Ausländeramt rennen muß, um die Duldung zu verlängern. Als das Amt jedoch mit konkreten Vorbereitungen für ihre Abschiebung begann, platzte den Flüchtlingen der Kragen. Ende Januar zogen rund 200 Roma in einer Demonstration vor das Rathaus, wo sie lautstark "Bleiberecht" und "menschenwürdige Lebensbedingungen" forderten.

Die Herren der Stadt zeigten sich als flexible Politiker und empfingen, da der Sache anders nicht beizukommen war, eine Delegation der Roma zu einem Gespräch. Dabei fielen von seiten des Stellvertretenden Stadtdirektors viele schöne Worte im Stil von "Wir sehen die Probleme, aber uns sind die Hände gebunden". Der Leiter des Ausländeramtes und der für die elende Unterbringung der Roma zuständige Beamte saßen demonstrativ gelangweilt daneben. Der Fraktionschef der SPD schwang sich zum Anwalt der Flüchtlinge auf und schlug neben einer Verbesserung der Wohnsituation Am Sondert eine großzügige Einzelfallprüfung der aufenthaltsrechtlichen Situation vor.

Das Engagement des Mannes sorgte immerhin dafür, daß sich die nächste Ratssitzung mit dem Thema auseinandersetzen mußte. Gelegenheit für die Roma, Zeugen einer hitzigen Debatte zu werden, in deren Verlauf quer durch alle Parteien von "unglaublichen Zuständen" in der Unterkunft gesprochen wurde. Außerdem stellte sich heraus, daß längst ein Ratsbeschluß existierte, der zum Ziel hatte, die Lage Am Sondert zu verbessern. Obwohl die hierfür zur Verfügung gestellten Mittel verbraucht worden sind, wurde der Beschluß von der Verwaltung nicht umgesetzt.

Gegen Ende einer turbulenten Sitzung entschloß sich der Ausländerbeauftragte, seit 26 Jahren Mitglied der Verwaltung und ein Duzfreund des schweigenden Ausländeramts-Chefs, die Flucht nach vorn anzutreten: An den unhygienischen Zuständen Am Sondert seien die Bewohner selbst schuld, klagte er; unter ihnen seien "unverantwortliche Aufwiegler"; er selbst habe sich aufopferungsvoll bemüht, die Interessen der Roma zu vertreten. Die konnten kaum noch ruhig bleiben. Wiederholt drohte der Versammlungsleiter mit der Räumung des Saales. Doch bevor es dazu kam, fand die für diesen Tag entscheidende Abstimmung statt. Ergebnis: Mit der Mehrheit der CDU wurde nicht nur der Antrag der SPD abgelehnt, den Ermessensspielraum zu nutzen, um möglichst vielen Roma den dauerhaften Aufenthalt zu sichern. Selbst die Forderung, die Mindestwohnfläche der Menschen - solange sie noch hier sind - auf acht Quadratmeter pro Person auszuweiten, scheiterte.

Aufenthaltspapiere werden weiterhin nur für zwei Wochen verlängert. Mehrere Familien erhielten abermals Schreiben, in denen ihnen die Abschiebung angekündigt wird. Ein blindes Ehepaar, dem in der Vergangenheit die Aufenthaltsbefugnis versprochen wurde, erfuhr plötzlich, daß wegen "Problemen im Umfeld" eine entsprechende Maßnahme leider nicht möglich sei.