Frieder Otto Wolf weiß es

»Schröder - das größere Übel?«

Was tun die Grünen, wenn ein SPD-Kanzler sich als Schönhuber-Double entpuppt?

Würde Schönhuber in derselben Weise wie Schröder über Ausländer herziehen und kurzen Prozeß fordern, würde jeder vernünftige Mensch sagen: Da spricht ein Faschist. Wie können die Grünen so ein Schönhuber-Double zum Kanzler wählen? Anders gefragt: Ist nicht Schröder im Vergleich zu Kohl das größere Übel?

Wir haben kein amerikanisches Wahlsystem. Nach bundesdeutschem Wahlrecht wird mit der entscheidenden Zweitstimme die Partei gewählt, nicht der Kanzler. Sieht man sich das Parteiprogramm der SPD auf den Gebieten Ausländerpolitik und Innere Sicherheit an, gibt es vieles zu kritisieren - aber es ist sicherlich weit vom Programm der Republikaner entfernt. Auch ein Kanzler Schröder wird sich an dieses Programm halten müssen.

Die Niedersachsen-Wahl verlief durchaus nach amerikanischem Vorbild. Sie war ein Plebiszit für Schröder, das Parteiprogramm hat niemanden interessiert. Mit der Niedersachsen-Wahl hat die SPD als Partei abgedankt, sie läßt jetzt ihren Kurs vom Plebs bestimmen. Das wird auch nach dem 27. September weitergehen.

Schröder ist nicht so wild, wie er dargestellt wird. Es ist zweifellos Anlaß zur Sorge, wie er auf Populismus macht. Aber in einer rot-grünen Regierungskoalition wird es genügend Gegenkräfte geben, die ihm Paroli bieten. Das muß dann aber auch gemacht werden, selbst wenn es Konflikte gibt.

Konflikte innerhalb der Grünen?

Nein, innerhalb der Koalition. Bei den Grünen sind wir uns an diesem Punkt einig: Sie werden mir keinen in unserer Partei nennen können, der Schröder bei rassistischen Sprüchen nicht Contra geben würde.

Mag sein, daß Teile der rot-grünen Koalition einem schönhubernden Schröder entgegentreten würden. Auf der anderen Seite kann er aber mit mächtiger Unterstützung von der gesellschaftlichen Basis rechnen, wenn er Arbeitsplätze für Deutsche sichert und Ausländer abschieben läßt.

Schröder hat einen Teil der Gewerkschaften hinter sich. So bekam er von dieser Seite Beifall, als er im Wahlkampf mit Landesmitteln die Preussag kaufte, um einen ausländischen Investor fernzuhalten ...

... als ob ein ausländischer Kapitalist schlimmer wäre als Pi'ch und Konsorten.

Das ist ein korporatistisches Modell mit nationalistischem Einschlag. Aber es gibt eine Grenze: Die Gewerkschaften werden keine Schönhuber-Politik unterstützen.

Ein anderes Beispiel, die Außenpolitik. Hat sich die SPD in der jüngsten Golfkrise nicht aggressiver geäußert als die CDU? Muß man folglich nicht damit rechnen, daß Schröder die Bundeswehrmacht skrupelloser einsetzen wird als Kohl - und sei es nur, um den Ruf vom vaterlandslosen Gesellen los zu werden?

Während der Golfkrise hat die SPD-Spitze tatsächlich eine fatale Kriegsstimmung verbreitet. Doch weiß ich nicht, ob sie den Kurs auch weitergefahren hätte, wenn es wirklich um eine konkrete militärische Beteiligung gegangen wäre. Jenseits der Propaganda würde auch ein Kanzler Schröder ganz nüchtern durchkalkulieren, was ein militärisches Engagement außenpolitisch bringt. Und ich glaube nicht, daß es aggressive Ambitionen Deutschlands in der Golf-Region gibt.

Das wäre detaillierter zu diskutieren. Im Bundeswehr-Langzeitplan von 1992 wird die Region dem "Krisenbogen" zugeordnet, in dem die Bundeswehr "unsere vitalen Interessen" in besonderer Weise zu schützen hat.

Jedenfalls werden sich, wenn aus Kriegspropaganda Kriegsbeteiligung wird, nicht nur die Grünen, sondern auch viele sozialdemokratische Abgeordnete im Bundestag querlegen.

Das wird nichts nützen, wie das Beispiel New Labour zeigt: Obwohl der antimilitaristische Parteiflügel um Tony Benn bestimmt mehr Gewicht auf die Waage bringt als der Frankfurter Kreis der SPD, konnte er die Labour-Regierung beim Kriegsspielen am Golf nicht stoppen.

Das läßt sich nicht vergleichen. Die Labour Party ist streng zentralistisch aufgebaut, Tony Blair hat die Parteistrukturen entmachtet. In der SPD aber haben die Gremien nach wie vor das letzte Wort, und wenn es denn eine Person gibt, auf die die Entscheidungsstruktruren zentralistisch zulaufen, dann ist es Lafontaine und nicht Schröder. Lafontaine wiederum vertritt erfreulich internationalistische Ansichten.

Parteifunktionäre kuschen, wenn ein Kanzler mit Rücktritt droht. So hat Helmut Schmidt die SPD-Gremien dazu gebracht, seinen Aufrüstungskurs - Stichwort Nato-Doppelbeschluß - abzunicken. Die wollten zuerst auch nicht.

Schmidt hatte eine Hausmacht hinter sich - die fehlt Schröder. Ohne eine solche Hausmacht gelingt das Powerplay gegen die Gremien nicht.

Keine Hausmacht? Die mitgliederstärksten SPD-Landesverbände in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen stehen geschlossen hinter Schröder.

In personalpolitischen Fragen stehen sie hinter ihm, in der Kandidatenfrage Lafontaine oder Schröder. Aber sonst? Hinter Schmidt gab es einen starken rechten Parteiflügel, der die Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen unterstützt hat. Aber würde der rechte Flügel, den es heute in der SPD gibt, in ähnlicher Weise etwa einen Bundeswehr-Einsatz am Golf befürworten?

Vielleicht nicht am Golf, aber anderswo? Auf dem Balkan war die SPD nicht besonders renitent, gerade sieben Aufrechte haben im Bundestag am 30. Juni 1995 gegen die Truppenentsendung gestimmt.

Den rechten Parteiflügel, auf den sich Schmidt damals stützen konnte, gibt es heute nicht mehr in dieser Form. Die sogenannten Kanalarbeiter sind marginalisiert. Der neue rechte Flügel besteht aus Leuten wie Karsten Voigt - also ehemaligen Kritikern von Schmidt. Natürlich kann man für diese Leute nicht die Hand ins Feuer legen - wie sie als Minister agieren würden, ist offen. Aber ob Voigt oder auch Schröder sich auf Militärabenteuer einlassen, würde ich bezweifeln. Schröder ist abhängig von der Öffentlichkeit und von der Parteiöffentlichkeit ...

... zumindest die Öffentlichkeit hat er immer wieder via Bild und Focus aufgehetzt.

Aufgehetzt ist das falsche Wort. Er hat sie bedient. Er ist ein Darsteller der öffentlichen Meinung.

Wenn nun aber ein Kanzler Schröder doch die Bundeswehr in den Krieg schickt - müßten dann die Grünen nicht die Koalition platzen lassen, wenn sie ihrem Parteiprogramm treu bleiben wollten?

Das ist eine gänzlich hypothetische Frage, denn ich glaube nicht daran, daß ein Kanzler Schröder einen solchen Kriegseinsatz anordnen würde.

Wenn Sie so wollen, ist das eine Gewissensfrage wie früher beim Kriegsdienstverweigerer-TÜV, den Degenhardt so schön persifliert hat. Zeitgemäß umgedichtet: Sie sind mit Schröder nachts im Park und haben die MP dabei. Plötzlich kommt ein Trupp besoffener Russen beziehungsweise Saddams ...

Sehr hypothetisch. Aber wenn's denn sein muß: Selbstverständlich gälte dann die Parole: Keinen Mann und keinen Groschen für diesen Krieg.

Also sofortiger Rückzug der grünen Minister aus dem Schröder-Kabinett?

Der Fall, den Sie konstruieren, wird hoffentlich nie eintreten. Aber selbstverständlich müßten wir in diesem Fall aus der Regierung raus.

Frieder Otto Wolf ist Europa-Abgeordneter von Bündnis 90 / Die Grünen und Sprecher des linksgrünen "Babelsberger Kreises".