Loyalitätskonflikte

Koalitionsraison geht vor Profilierungswillen: Die FDP läßt die Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes platzen

Bernd Protzner kann manchmal sehr gut die Zukunft vorhersagen. "Eine doppelte Staatsbürgerschaft wird es nicht geben", hatte der CSU-Generalsekretär schon klar und deutlich formuliert, als Bundeskanzler Kohl noch davon sprach, daß für die hier lebenden Ausländer der zweiten und dritten Generation zumindest "etwas" getan werden müsse. Aus dem "etwas" ist nichts geworden: Deutscher bleibt auch weiterhin, wer eine deutsche Abstammung nachweisen kann. Hoffnungen der SPD, der CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage durch einen fraktionsübergreifenden Gruppenantrag eine Abstimmungsniederlage wie unlängst beim großen Lauschangriff beizubringen, haben führende FDP-Politiker vergangene Woche zu Grabe getragen.

Jetzt wollen die Sozialdemokraten das Thema Ende März noch einmal im Bundestag "zur Sprache bringen", aber darauf verzichten, einen aussichtslosen Antrag zur Abstimmung zu stellen. Die stellvertretende Innenpolitische Sprecherin der SPD, Cornelie Sonntag-Wolgast, warf den Liberalen enttäuscht vor, an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit nicht interessiert zu sein. "Die Bundesregierung wird eine umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vornehmen" steht im Koalitionsvereinbarung von 1994, ebenso wie schon in der von 1990.

"Was ich hier sage, das gilt", versicherte FDP-Vorsitzender Wolfgang Gerhardt vergangene Woche nach einer Präsidiumssitzung. Es werde bei einer Abstimmung über das Staatsbürgerschaftsrecht zu keinen wechselnden Mehrheiten kommen, die Partei sei nicht auf dem Weg zu anderen Ufern. Die Union könne sich auf ihren Partner verlassen, selbst wenn man "in der Sache" eine andere Ansicht vertrete. Von Verläßlichkeit hatte der FDP-Chef schon eine Woche vorher gesprochen: In der Frage der befristeten doppelten Staatsbürgerschaft bleibe die FDP standhaft, zitierte die Frankfurter Allgemeine, schließlich solle auch die Bürgerrechtspolitik bei den Liberalen nicht zu kurz kommen. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber warnte daraufhin in der Welt am Sonntag, ein dissidentes Abstimmungsverhalten stelle einen "glatten Bruch der Koalitionsverhandlungen dar", CDU-Innenpolitiker Erwin Marschewski sprach von einem "Fall zur Beendigung der Koalition". Die FDP hat mittlerweile versprochen, "nach einer gewonnenen Wahl" (Gerhardt) das Staatsbürgerschaftsrecht für in Deutschland geborene Kinder von Ausländern durchzusetzen.

Doch nicht nur die Liberalen erklärten, nachdem sie bei der Abstimmung über den großen Lauschangriff ihre "Eigenständigkeit" demonstriert hätten, sei es nun an der Zeit, ein Zeichen der Verläßlichkeit zu setzen. Auch die sogenannten Jungen Wilden in der Union, die eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zu einem ihrer medialen Hauptanliegen gemacht hatten und sich dabei zeitweise sogar auf die Zustimmung von Kanzler Kohl beriefen, sind verstummt. Noch im vergangenen Jahr hatten 150 führende CDU-Mitglieder, davon dreißig Bundestagsabgeordnete, eine "Initiative in der CDU für ein zeitgemäßes Staatsbürgerschaftsrecht" unterzeichnet.

Um Druck auf die Hardliner in der Union auszuüben, drohte man damals mit einem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag, in dem allerdings ebenfalls nur von der Möglichkeit die Rede war, sich bei Volljährigkeit zwischen der deutschen oder einer anderen Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Aufgegriffen war damit auch einer der zentralen Gedanken der Gegner jeder Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes, der sogenannte Loyalitätskonflikt: Im Kriegsfall könne die Bundesrepublik den eingebürgerten Nichtdeutschen nicht über den Weg trauen.

Eine Reform ist also weiterhin nicht in Sicht. Wer Deutscher ist, regelt damit nach wie vor das "Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz" von 1913, mit seinen nationalsozialistischen Ergänzungen und einigen Modifikationen aus der Nachkriegszeit. Zwar werden mittlerweile 70 Prozent der Anträge auf Einbürgerung positiv beschieden. Dennoch ist der Prozeß für die Kinder von hier ansässigen Nicht-Deutschen mit handfesten Nachteilen und Schikanen verbunden. Einen Anspruch auf Einbürgerung gibt es für sie nicht, dennoch gestellte Anträge unterliegen dem behördlichen Ermessen: Wer einen deutschen Paß will, muß 15 Jahre ununterbrochenen Aufenthalt in der BRD nachweisen, in der Regel ohne Sozial- oder Arbeitslosenhilfe auskommen, die Staatsbürgerschaft seines Herkunftslandes aufgeben, wegen keiner Straftat verurteilt sein und, last but not least, bei den Sachbearbeitern eine Art Staatsbürger-Eignungs-Test in Form von Diktat, Aufsatz oder Gespräch über die Bühne bringen.

Leichter hat es da, wer nachweisen kann, daß seine Vorfahren vor Jahrhunderten gen Osten gezogen sind. Die Definition des "Volksdeutschen" wurde 1961 wörtlich aus dem Erlaß des Reichsinnenministers Wilhelm Frick von 1939 übernommen. Als "deutsch" gilt damit auch der Enkel eines lettischen SS-Mannes - der spricht zwar kein Deutsch, aber immerhin legte sein Großvater mit dem Eintritt in Hitlers Schutzstaffel ein "Bekenntnis zum Deutschtum" ab. Als ausreichend sehen die Behörden allerdings auch ein Soldbuch der deutschen Wehrmacht oder - wegen der damit verbundenen Deutschtumspflege - die Mitgliedschaft in einem Trachtenverein an.