Mund halten oder Koffer packen

Mexiko weigert sich, das Internationale Rote Kreuz ins Land zu lassen, und weist nicht genehme Ausländer aus

Der Bericht einer internationalen Mission, die sich vor Ort ein Bild von der Situation gemacht hatte, fiel drastisch aus. Die Lage sei weitaus dramatischer, als sie angenommen hätten, sagte die Griechin Angelika Fotiadi vor Journalisten in Mexiko-Stadt. Andere Beobachter berichteten von massivem Druck auf sich und ihre Kollegen: "Alle Nicht-Regierungs-Organisationen werden überwacht." Und es wird gehandelt.

Ende Februar wird der seit 33 Jahren im Norden von Chiapas lebende französische Priester Michel Chanteau ausgewiesen, nachdem er eine Beteiligung des Regimes am Massaker von Chenalho am 22. Dezember angedeutet hatte.

Der Italiener Massimo Boldrini wurde, wie er berichtete, am Morgen des 10. März in der Gemeinde San Jeronimo Tulija von Mitgliedern der paramilitärischen Einheit Chinchulines in ein nahegelegenes Militärcamp verschleppt. In dem Dorf haben Militärs gegen den Widerstand der Bevölkerung seit Ende Februar das Schulgelände zu einem provisorischen Militärcamp umfunktioniert. Boldrini sollte, so sagte er, auf Befehl eines höheren Militärs zunächst von den Paramilitärs zur Migrationsstelle verbracht werden, wurde nach dem Eingreifen einiger zapatistischer Dorfbewohner aber freigelassen.

Nach Angaben der Zeitung Cuatro Poder werden zwölf Ausländer von Polizei und Militär gesucht und bis zu 400 könnten in nächster Zeit heimgeschickt werden - unter Berufung auf Artikel 33 der mexikanischen Verfassung, der Ausländern eine politische Betätigung untersagt. Beobachter rechnen daher mit einer weiteren Eskalation: "Eine Militäroffensive kann eben nur durchgeführt werden, wenn sich keine internationalen Beobachter mehr in den Dörfern befinden."

Das Internationale Rote Kreuz (IRK) hingegen muß Repressionen nicht fürchten, da der Organisation von der mexikanischen Regierung die Erlaubnis zur Einreise verweigert wird - trotz eines verzweifelten Notrufs, den das IRK bereits im Januar in seiner Genfer Zentrale per Fax erhalten hatte: "Wir benötigen humanitäre Hilfe einer neutralen Organisation und laden Sie ein zu sehen, was tatsächlich hier passiert." Absender der Petition waren Dorfbewohner, die aus dem autonomen Bezirk San Pedro Chenalho im mexikanischen Bundesstaat Chiapas vertrieben wurden. Sie schilderten das Elend im Flüchtlingslager in Polho. Mehr als 6 000 Männer, Frauen und Kinder lebten dort zusammengepfercht unter katastrophalen Bedingungen; sie hätten keine Medikamente und kaum genug zu essen, da ihnen die Grundnahrungsmittel von paramilitärischen Banden und der Sicherheitspolizei geraubt worden seien. "Seit wir aus unseren Dörfern flüchteten und vertrieben wurden, starben bereits 15 Kinder, acht Frauen und zehn Männer aufgrund von Krankheiten wie Durchfall, Fieber, Atemwegsinfektionen, Tuberkulose, Geschwüren, durch Parasiten, Hautinfektionen und Unterernährung."

"So einen Appell nehmen wir sehr ernst", sagt Reto Meister, stellvertretender Generaldelegierter für Amerika beim IRK, und bedauert, daß "wir keine Erlaubnis der mexikanischen Regierung haben". Von sich aus könne das Rote Kreuz allerdings nur bei internationalen Konflikten tätig werden. Bei sogenannten innerstaatlichen Auseinandersetzungen, so der Delegierte, "können wir nur unsere guten Dienste der jeweiligen Regierung anbieten".

Das hat das IRK getan. Aber von einem Vertreter des mexikanischen Regierungschefs Ernesto Zedillo kam eine strikte Absage, obwohl offiziell "die mexikanische Regierung alle internationalen Organisationen in Chiapas willkommen heißt", wie Laura Tarragona, Pressesprecherin der mexikanischen Botschaft in Bonn, behauptet. Derweil wird weiter über eine Hilfsmission verhandelt. Meister hofft auf eine Einreiseerlaubnis, die eventuell durch internationalen Druck zustandekommen könnte: "Wir sitzen auf gepackten Koffern und warten."

Das nationale Rote Kreuz Mexikos ist bereits vor Ort, aus mehreren Gründen aber keine große Hilfe. Beobachter berichten, daß zum Teil Medikamente und Nahrungsmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum verteilt würden. Weil sich die Indigenas zudem registrieren lassen müssen, um Hilfe in Anspruch nehmen zu können, und da die erhobenen Daten nachweislich an staatliche Stellen weitergeleitet werden, sehen vor allem die aufständischen Zapatisten die Arbeit des nationalen Roten Kreuzes mit Skepsis. "Da wir ihnen mißtrauen, haben wir beschlossen, daß wir nur noch die von ihnen geschickte Hilfe annehmen werden, die zuvor von der Zivilgesellschaft kontrolliert und auf ihre Tauglichkeit überprüft wurde. Wir haben der Regierung deutlich zu verstehen gegeben, daß wir nichts von ihnen direkt annehmen werden, da sie die Urheber des Massakers sind", heißt es in der Petition aus dem Flüchtlingslager. Die Loyalität eines nationalen Roten Kreuzes sei eben von vornherein schon definiert, es könne sich "nicht gegen die mexikanische Regierung wenden", glaubt auch Reto Meister. Hauptaufgabe des beabsichtigten internationalen Einsatzes sei neben humanitärer Hilfe ohnehin, die Sicherheit der Flüchtlinge zu untersuchen.

Die Weigerung des mittelamerikanischen Staates, die Hilfsorganisation ins Land zu lassen, beweist die Zuspitzung des politischen Konfliktes. Nach dem Aufstand vor vier Jahren hat die zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) in zahlreichen Landgemeinden autonome Verwaltungen eingerichtet. Diese werden seither von staatlich tolerierten oder beauftragten Paramilitärs terrorisiert. Als kurz vor Weihnachten in Acteal ein Todesschwadron 45 Menschen umbrachte, wußte der Bürgermeister von Chenalho schon im Vorfeld davon. Ende Februar wurden zwei leitende Polizeibeamte wegen Totschlags und unterlassener Hilfeleistung angeklagt und - erstmals - die Beteiligung staatlicher Behörden und Sicherheitskräfte an dem Massaker von der Generalstaatsanwaltschaft eingeräumt. Die Anklagebehörde erklärte, staatliche Sicherheitskräfte hätten die Attentäter mit Waffen ausgestattet und im Umgang mit ihnen unterwiesen.

Deshalb hätten die Zapatisten, bedauert eine Pressesprecherin des Innenministeriums, einen "Vorschlag, dessen einziges Ziel die Wiederaufnahme des Dialoges für einen würdigen Frieden in Chiapas ist, als Beleidigung aufgefaßt". Subcomandante Marcos hatte auf ein Friedensangebot, das Innenminister Francisco Labastida in einer landesweit übertragenen Fernsehrede unterbreitete, zurückhaltend reagiert. Die EZLN wolle den seit 18 Monaten ausgesetzten Dialog erst wieder aufnehmen, wenn die in San Andrés unterzeichneten Vereinbarungen umgesetzt würden. Marcos forderte zudem ernsthafte Vorschläge zur Demokratisierung und die Freilassung inhaftierter Zapatisten. Erfülle die Regierung diese Bedingungen, seien die Zapatisten "sofort" zu Gesprächen bereit.

Bereits Ende Januar hatte die EZLN in einem Offenen Brief mitgeteilt, keine Gespräche führen zu wollen, ehe nicht die Vereinbarungen von San Andrés umgesetzt würden. Dort hatten sich im April 1995 beide Parteien auf eine partielle rechtliche und kulturelle Autonomie der Indigenas geeinigt. "Wir verlangen nichts, was die Regierung nicht unterzeichnet hat", unterstrich Marcos in dem Kommuniqué. Das Angebot zum Dialog verspotte die EZLN, da die Staatsgewalt gleichzeitig ihre militärische Präsenz in den Dörfern verstärke - neuesten Berichten zufolge sind dort 30 000 Soldaten stationiert - und offensichtlich eine bewaffnete Gegenreaktion provozieren wolle: "Die Regierung will nur bittere Antworten auf ihren Hohn, Antworten, die ihr erlauben zu sagen: 'Seht, die EZLN will keinen Dialog. Glaubt ihnen nicht, wenn sie sagen, sie kämpfen für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit. Alles, was sie wollen, ist Macht und weiterhin Unruhe zu stiften.'"