Nichts

Keiner käme auf den Gedanken, über den Straßenmusikanten, der beim Gitarrenspiel ganz arg das Gesicht verzieht, ausführlich zu schreiben. Der Straßenmusikant sitzt eben auf dem Bürgersteig in der Fußgängerzone, mit verzogener Miene oder vielleicht auch lächelnd, er ärgert die einen und erfreut die anderen, die meisten aber kümmern sich nicht um ihn, ab und zu fällt eine Münze in des Musikanten Hut.

Ob der Gitarrenspieler mit seinem Instrument umzugehen weiß, ist nicht von Belang. Es sei denn, ein Reporter fände heraus, bei dem Straßenmusikanten handele es sich um einen enterbten Millionärssohn, einen bedeutenden Künstler oder eine verrückt gewordene Lokalgröße. Dann kämen die Journalisten, stellten Fragen und bäten um Fotoerlaubnis, aber meist sind die Geschichten von den Straßenmusikanten, die eigentlich gar keine Straßenmusikanten sind, doch nur die Geschichten der Journalisten, denen sonst nichts einfällt.

Mir fiel nichts mehr ein, als ich die Premiere des neuen Spektakels von Christoph Schlingensief über mich ergehen ließ. Wer es wissen will, was dort im einzelnen geschah, mag dies an anderer Stelle nachlesen. Die Kollegen sehen und hören mehr als ich; in der bedrückendsten Langeweile, in der furchtbarsten Leere sehen sie Symbole, Zeichen und Botschaften. Ich kann das nicht. Und die Langeweile und Leere war keineswegs gewollt, sie war einfach nur da, obwohl es ein lustiger Abend sein sollte bzw. für die lachenden Massen sogar war. Wenn sich einer in die Mitte der Manege stellt und behauptet, er sei ein Hühnerschlachter, höhöhö, dann fehlen mir die Worte, dann kann ich noch nicht mal bemerken, der Zirkus sei schlecht. Dies setzte nämlich voraus, daß irgend etwas Nennenswertes aufgeführt wurde.

Die Theaterkritiker von Freiburg bis Flensburg, die Fernsehteams von ARD bis ZDF waren anwesend, die bekannten Akteure wiederholten die bereits bekannten und in allen Medien zigmal aufgesagten Sprüche, grölten mal "Rhizom" und flüsterten mal "Subversion", es wurde wohl auch eine Partei mit einem Namen gegründet, der an das Zusammenspiel von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände erinnert. In die Spaßpartei, die so wenig spaßig und noch weniger Partei ist, werden die Szenebüttel zuhauf eintreten: Lifestyle-Ironie in einem faden Leben. Harald Schmidt und Alfred Biolek sind ebenfalls mit von der Partie, jetzt dackeln die Groupies hinterher. Eine Partei für die Arbeitslosen sollte ins Leben gerufen werden. Billig, darauf hinzuweisen, daß die Arbeitslosen nicht kamen.

Die Journalisten haben über die Aufführung ohne Aufführung berichtet, als sei Kafka auferstanden von den Toten, Noten wurden verteilt, es wurde gelobt und getadelt, wie immer, jeder nach seinem Geschmack, der nicht begründet zu werden braucht. Man könnte es Schlingensief hoch anrechnen, das gesamte Medieninteresse auf sich konzentriert zu haben, wenn man nicht wüßte, wie ein Hype funktioniert. Die Konkurrenz macht ja auch etwas zu dem Thema, da kann man sich nicht raushalten, so schallt's aus den Redaktionen, anstatt die Veranstaltung, die als Straßenklamauk wenig Beachtung gefunden hätte, einfach zu ignorieren. Alle Beiträge, dieser eingeschlossen, sind zweifelsohne genauso überflüssig wie das Tun der öden Theatertruppe selbst, wenn nicht schlimmer: Denn nur die häufige Erwähnung verleiht dem zur Schau gestellten Nichts Originalität.

Die Kulturbeamten aus Bonn haben Castorfs Haus neulich die Subventionen mit der Begründung gestrichen, einen Staatsfeind wie Schlingensief könne und wolle man nicht fördern. Nun macht es keinen Unterschied, ob ein niederbayerisches Volkstheater oder die Volksbühne in Ost-Berlin die Moneten der Regierung bezieht, denn eines ist Schlingensief auf keinen Fall: staatsfeindlich. Er gehört zum Staatszirkus dazu wie seine vermeintlichen Gegenspieler. Auf die Groschen der Öffentlichen Hand kann fortan eh verzichtet werden, nachdem Wolfgang Joop versprochen hat, Schlingensiefs Aktivitäten zu unterstützen. Der Rabauke wird den Rummel genießen und seinen Kampf um Anerkennung so weiterführen wie bisher.