Panzerglas für Pinochet

Die Proteste gegen die Ernennung des chilenischen Ex-Diktators zum Senator auf Lebenszeit halten an

Mit den markigen Worten "Mission erfüllt" hat Augusto Pinochet Ugarte, 82jähriger chilenischer Ex-Diktator, Anfang vergangener Woche sein Amt als Generalstabschef an seinen Nachfolger Ricardo Izurieta übergeben. Nach 25 Jahren hat der greise Generalissimus damit zwar seinen Posten als Armeechef geräumt; am folgenden Tag aber nahm er unter wütenden Protesten der Opposition seinen Sitz auf Lebenszeit im Senat ein. Pinochet läßt es sich nicht nehmen, der politischen Entwicklung des Landes auch weiterhin seinen Stempel aufzudrücken - nun allerdings aus dem mit Panzerglas umgebenen weichen Sessel, den er sich in der zweiten Kammer des chilenischen Parlaments hat aufstellen lassen.

Von dort aus wird der General, geht alles nach seinen Wünschen, argwöhnisch darüber wachen, daß dem Ansehen "der siegreichen Armee, die der Selbstzerstörung des Vaterlandes Einhalt geboten hat", auch weiterhin nicht geschadet werde. Dabei geht es um die - je nach Quelle - 3 000 bis 4 000 Opfer, die die "Verteidigung und Sicherung der Integrität des Vaterlandes", wie er es nennt, gekostet hat. Deren Schicksal, so hatte es Pinochet in einer bereits 1978 erlassenen Generalamnestie verfügt, soll weder Staatsanwälte noch Gerichte beschäftigen. Und als Generalstabschef hatte er genügend Macht, unbequeme Nachforschungen im Keim zu ersticken.

Zudem will Pinochet vom Senat aus seine alten Weggefährten schützen. Die Konstellation innerhalb dieses Organs spricht für ihn: Zu seiner "Prätorianergarde" zählen neben fünf weiteren Generälen vier ehemalige Minister aus Pinochets Präsidentenzeit. Hinzu kommen die Senatoren der rechten Parteien - der Uni-n Dem-cratica Independiente und der Renovaci-n Na ç ional -, auf die er erfahrungsgemäß zählen kann. Es dürfte ihm leicht fallen, jede Verfassungsänderung, die nicht seinen Wünschen entspricht, zu blockieren.

Dieses absehbare Szenario hat zu den größten Demonstrationen seit dem Ende der Diktatur 1990 geführt. Viele Chilenen haben es satt, in einer Demokratie von Pinochets Gnaden zu leben. Sowohl die zahlreichen Übergangsbestimmungen, die zwischen 1988 und 1990 mit dem Diktator ausgehandelt wurden, als auch zahlreiche Verfassungsartikel, die aus seiner Feder stammen, sichern ihm und seiner Fraktion zentrale Einflußmöglichkeiten.

Gegen die Realität der "kasernierten Demokratie", die - so hatten viele gehofft - mit dem Abtreten Pinochets als Generalstabschef zu Ende gehen würde, lehnen sich nicht allein die Studenten auf, die in den letzten Tagen die Speeeerspitze der Protestbewegung bildeten. Nahezu jede Universität des Landes hat mittlerweile kommunistische Studentenvertreter, und die chilenische KP kann sich über einen anhaltenden Zulauf Jugendlicher freuen. Dies hat sie nicht zuletzt ihrer konsequenten Politik gegenüber dem Ex-Diktator zu verdanken. Gegen ihn hat die Vorsitzende der KP, Gladys Marin, eine Klage wegen Völkermords und widerrechtlicher Enteignung angestrengt.

Im Regierungsbündnis Concerta ç ion stieß diese Klage ebenso wie die Verfassungsklage, die fünf Abgeordnete der Democracia Cristiana, der Partei von Präsident Eduardo Frei, eingereicht haben, auf geteilte Reaktionen. Frei machte seinen ganzen Einfluß geltend, um die eigene Partei auf seine Linie zu bringen und zumindest die Verfassungsklage abzuwenden, über die im Parlament mit einfacher Mehrheit abgestimmt werden muß. Die Sozialistische Partei spricht sich für die Verfassungsklage aus, der weitere Koalitionspartner, die Demokratische Partei (PPD), dagegen. Damit zieht sich ein tiefer Riß durch die Koalition und auch durch die Partei des Präsidenten. Deren Parteirat stimmte am vergangenen Montag mit 21 zu 20 Stimmen dafür, es den Abgeordneten freizustellen, für oder gegen die Verfassungsklage zu stimmen.

Frei, der damit eine Niederlage in der eigenen Partei kassiert hatte, begründete seinen Appell gegen die Verfassungsklage gegen Pinochet mit der Angst um den Frieden im Lande und die demokratischen Errungenschaften. Damit gehört Frei der Fraktion an, die letztlich für ein Vergessen eintritt - ohne Aufarbeitung der Vergangenheit und ohne Strafverfolgung.

Dagegen läuft allerdings nicht nur die eigene Parteijugend Sturm, die gemeinsam mit den Studenten, aber auch Gewerkschaftsvertretern in der letzten Woche zahlreiche Protestveranstaltungen organisierte, um gegen den Einzug Pinochets in den Senat zu opponieren. Die Sicherheitskräfte gingen hart gegen die Demonstranten vor: Knapp 600 Protestierende wurden während der Auseinandersetzungen festgenommen, und nicht nur Wasserwerfer, Knüppel und Tränengas wurden eingesetzt, sondern auch automatische Waffen. Von den sieben Schwerverletzten weisen einige Schußverletzungen auf. Deshalb fordern mehrere Oppositionsparteien eine Untersuchung der Polizeiaktion, zumal die Ordnungshüter anscheinend auch gezielt gegen mißliebige Oppositionelle vorging: Die KP-Vorsitzende Gladys Marin wurde mit dem Gewehrkolben traktiert, und nicht anders erging es dem Vorsitzenden der Organisation der Angehörigen der unter der Diktatur Verschwundenen, Sola Sierra.

Vollkommen gleichgültig kann Pinochet der Wirbel um seine Person nicht sein: Zum ersten Mal seit geraumer Zeit genießt er keine Immunität. Drei Monate bleiben der Opposition nun Zeit, um Pinochet vor Gericht zu bringen. Danach tritt die parlamentarische Immunität als Senator in Kraft.

Allerdings hat die Armee ihm noch schnell ihre Loyalität bekundet und ihn zum Oberkommandierenden ehrenhalber gemacht - eine deutliche Warnung an die Abgeordneten. Diese lancierten am vergangenen Dienstag einen weiteren Antrag gegen den Ex-Diktator. Die Herkunft seines Privatvermögens soll durch einen Untersuchungsausschuß beleuchtet werden: Ein weiterer unangenehmer Nadelstich für den letzten lateinamerikanischen Caudillo.