lebt als Schriftstellerin in Hamburg

Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?

Wenn Sie mich gefragt hätten, wo ich 1996 das Fußball-Weltmeisterschafts-Endspiel Deutschland gegen Tschechien gesehen habe, hätte ich Ihnen einen eindeutigen und interessanten Ort bieten können: Ich lag nämlich im Krankenhaus, im Wochenbett, um genau zu sein, und guckte Fußball mit meinem neugeborenen Knäblein an der Brust. Später hörte ich den Jubel, Böller und Autohupen auf der Straße - ich hätte allerdings den Tschechen den Sieg gegönnt, schon aus historischen Gründen.

Im Juni 1974 machte ich Abitur; danach fuhr ich mit zwei Münchener Freunden durch Südfrankreich. Wir werden, als Sparwasser das Tor schoß, wohl auf irgendeinem Zeltplatz zwischen Aigue-Mortes und Saint Tropez gesessen und Wein getrunken haben, im Schein einer knallroten Kerze, die die Form von Richard Nixons Kopf hatte. Je mehr Wein wir tranken und je mehr die Kerze herunterbrannte, desto diabolischer flakkerten Nixons Augen in ihren Augenhöhlen. Schließlich war die Kerze in der Mitte röhrenartig heruntergebrannt, aber der Kopf als solcher äußerlich intakt geblieben. Wir steckten ihn später auf den Zaunpfahl irgendeines Zeltplatzes, das sah ziemlich gespenstisch aus.

Mein Problem in jenen Wochen war herauszufinden, in wen von meinen Zeltgenossen ich verliebt war. Das heißt, in den einen war ich verliebt, weil ich mit ihm schlafen wollte, mit dem anderen konnte ich viel besser über Literatur (Ana•s Nin und Max Frisch) diskutieren und sozusagen Wortumarmungen genießen. Zu allem Überfluß war ich daheim in Heidelberg mit einem netten Theologiestudenten quasi verlobt. Dies alles beschäftigte mich sehr; Fußball war daher nicht das Thema.

Inzwischen habe ich in meinem 10jährigen Sohn einen begeisterten Fußballer - sowohl in der Praxis als auch in der Theorie - im Hause. Wenn Sie mich künftig nach wichtigen Toren fragen werden, werde ich also nicht mehr von Jugendtorheiten schwärmen