Atombehälter dreimal angematscht

Tests an einem seit mehr als 20 Jahren benutzten Atommüll-Container mußten abgebrochen werden, weil der Behälter sie nicht überstanden hätte. Ein fast baugleicher Typ soll noch im Einsatz sein

Die europäische Atomwirtschaft feiert Chaostage. Nur einige Schrauben seien abgerissen, vermeldete die Presse nach einem mißglückten Falltest für einen Atommüllbehälter der Gesellschaft British Nuclear Fuel (BNFL) wenige Tage vor dem Castor-Transport ins westfälische Ahaus. Die Castor-Hersteller dementierten: "Das war kein Castor, also bitte keine Verwechslungen", hieß es in einer Gegendarstellung, die die taz abdrucken mußte. "Die Geschichte nicht hochhängen", vereinbarten Ministerien und Atomwirtschaft.

Geheimhaltung war angesagt, denn tatsächlich handelt es sich um den bisher schwerwiegendsten Konstruktionsfehler einer Behälterbaureihe (NTL 11), die für den Transport von abgebranntem Atommüll quer durch die europäischen Staaten bestimmt ist. Seit fast einem Jahr ist den französischen Behörden die Gefahr bekannt, ebenso der britischen Herstellerfirma BNFL. Doch die Öffentlichkeit erfuhr davon nichts. Auch davon nicht, daß die völlig irritierten BNFL-Ingenieure am 13. Februar zunächst an einen falsch ausgeführten Falltest dachten und deshalb am 5. und 6. März zwei weitere Falltests folgen ließen. Sie führten im ersten Testschritt gleichfalls zum Abriß der Schockabsorber der Behälter. Der zweite und dritte Testschritt unterblieb jeweils, "weil der NTL 11 die Feuerprobe nicht überstanden hätte", so das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf Anfrage.

"Wir waren von den Testergebnissen auch sehr überrascht", erklärte BfS-Sprecherin Gabi Wiltsche. Der Atomexperte des World Information Service on Energy (WISE) in Paris, Mycle Schneider, beschrieb die Konstruktionsfehler noch deutlicher: "Der Behälter wäre bereits im zweiten Testschritt, dem Fall des Behälters auf einen Stahldorn, geborsten." Doch BNFL dementierte auf Anfrage: "Wir können nicht wissen, ob die Behälter nicht standgehalten hätten, denn wir haben die Tests ja abgebrochen", so Konzernsprecher Bill Anderton.

Inzwischen hat das Bundesministerium für Umwelt (BMU) zwar bestätigt, daß für Behälter des Typs NTL 11 sofort nach dem mißlungenen Test die Genehmigung entzogen wurde. Doch warum die Fehlkonstruktionen seit dem Jahr 1989 für Fahrten zwischen dem süddeutschen AKW Neckarwestheim, dem norddeutschen AKW Krümmel und der britischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield eingesetzt werden, rechtfertigten BMU und BfS einhellig mit "europäischer Genehmigungspraxis". Der Hersteller liefere ausreichende Sicherheitsunterlagen.

Noch im Juli vergangenen Jahres aber hatte die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen erklärt: "Für einen geschlossenen Sicherheitsnachweis werden die Methoden üblicherweise in Kombination angewendet." So galt für den NTL 11 eine Kombination aus einem Falltest aus neun Metern Höhe, einem Ein-Meter-Fall auf einen Stahldorn und einem Feuertest bei 800 Grad Celsius über dreißig Minuten als Sicherheitsnachweis. Offensichtlich hat aber die britische Herstellerfirma BNFL nie einen solchen Nachweis erbracht. Die europäischen Behörden störte das nicht. Denn bereits 1977 wurde die erste Genehmigung für Atommülltransporte mit NTL 11-Behältern erteilt. Ein schweres Zugunglück - darauf sind die Tests ausgelegt - hätten die achtzig Tonnen schweren Atommüllbehälter voraussichtlich nicht überstanden.

Die deutschen Behörden zeigen sich trotz der Testergebnisse weiter schlecht informiert. So geht das Bundesamt für Strahlenschutz davon aus, daß die mit den fehlkonstruierten NTL 11 fast baugleichen "NTL 3-Behälter in der Bundesrepublik überhaupt nicht verwendet werden", während die Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Grünen bereits im Juli vergangenen Jahres erklärt hatte, daß für diesen Behälter eine Betriebsgenehmigung bis Juni 1998 ausgestellt worden sei. Damit nicht genug: "Eine weitere Aufschlüsselung, welcher Behältertyp wie oft verwendet wurde, könnte nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand betrieben werden", antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen.

Nur durch einen Zufall ist die Fehlkonstruktion überhaupt bekannt geworden: Bei einer Routinekontrolle im März 1997 hatte das französische Institut für Strahlenschutz (IPSN) über fehlende Testunterlagen für die NTL 11-Behälter geklagt; im Mai bat die Behörde um Erklärung. Als die BNFL nichts unternahm, forderte die französische Nuklearsicherheitsbehörde DSIN im Oktober 1997 von dem britischen Hersteller ultimativ einen Behältertest. Doch die deutschen Behörden wußten angeblich bis zum Testtag nicht über das akute Sicherheitsrisiko Bescheid. Erstaunlich, denn wie der BNFL-Sprecher Bill Anderton zugab: "Wir hatten über die Behälter seit Mai 1997 einen intensiven Informationsaustausch zwischen den französischen Behörden und der BNFL".

Einzige Erklärung für das Unwissen der deutschen Behörden: Es herrscht Informationsnotstand. Undine von Blottnitz, grüne Europaabgeordnete, kennt auch den Grund: "Bundesumweltministerin Angela Merkel ist neben eklatanten Fehleinschätzungen der Sicherheit der Transportbehälter auch für glatte Rechtsbrüche auf dem Gebiet der Atomtransporte verantwortlich", regt sie sich auf. Blottnitz hatte erst vor wenigen Monaten eine Klage des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen die Bundesrepublik öffentlich gemacht. Der EuGH klagt, weil die Bundesregierung zuständige Behörden über Atomtransporte nur unzureichend informiert.