Falsch stenographiert

Anthroposophische Studie entschuldigt Rassismen des Ideologen Rudolf Steiner

"Indianer sterben naturbedingt aus", "Neger haben ein starkes Triebleben" und "die Weißen sind eigentlich diejenigen, die das Menschliche in sich entwickelten". Derartige Sätze - hier aus einem Referat aus dem Jahr 1925 - finden sich im Opus von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie und der Waldorfschulen, nicht nur als "Ausrutscher". Vielmehr ziehen sich solche "esoterische Weisheiten" wie ein roter Faden durch Steiners Gesamtwerk (vgl. Jungle World, Nr. 10/98).

Der Vorwurf von KritikerInnen gegen die Anthroposophen und Waldorfpädagogen, sich nie von Steiners rassistischem Menschenbild distanziert und bis heute einer kritische Auseinandersetzung verweigert zu haben, ist nicht neu. Doch seit Mitte Februar kommen auch Anthroposophen in den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland nicht umhin, sich mit dieser Kritik ernsthafter auseinanderzusetzen. Denn nach monatelangem Studium von Steiners Schriften hat jetzt auch eine Kommission der Anthroposophischen Vereinigung in den Niederlanden festgestellt, daß im Gesamtwerk Steiners 75 diskriminierende Passagen mit zwölf strafrechtlich relevanten Formulierungen zu finden seien.

Zu den Passagen zählt die Kommission in ihrer Studie unter anderen Steiners Äußerungen, daß "Schwarze niedrige sexuelle Triebe haben", "Indianer unbrauchbare Menschen sind" und daß, wenn schwangere Frauen "Negerromane lesen, Mulattenkinder und Mischlinge entstehen". Ferner zitiert die Studie Rassismen von Steiner wie: "Die Verpflanzung der Schwarzen nach Europa durch die Franzosen verderbte ihr Blut und ihre Sprache." Letzere "Erkenntnis" bildet im übrigen den Hintergrund dafür, daß Steiner den Französischunterricht in den Waldorfschulen unterband. Zusammenfassend stellte die Kommission fest: "Als Folge von Nachlässigkeiten werden an den Schulen Stereotypen verwendet, die Diskriminierungen fördern."

Den Stein ins Rollen gebracht hatte eine Mutter von zwei Kindern, die eine niederländische Waldorfschule besuchen. Sie war über eine der "diskriminierende Äußerungen" Steiners gestolpert. Im Erdkundeschulheft ihrer Tochter hatte sie den Satz "Neger haben dicke Lippen und ein rhythmisches Gefühl" gelesen. Die Frau ging an die Öffentlichkeit, um eine kritische Auseinandersetzung mit Steiners "Geisteswissenschaft" einzufordern. Erst aufgrund des öffentlichen Drucks und des Medienechos sahen sich der niederländische Bund der Waldorfschulen und die Anthroposophische Vereinigung zum Handeln und zu eindeutigen Stellungnahmen gezwungen.

So betonte beispielsweise Tad van Baarda, der Vorsitzende der internen Untersuchungskommission, bei der Vorstellung der Studie: "Es widerspricht dem Wesen der Anthroposophie zu glauben, daß eine Einzelperson oder eine Gruppe minderwertig ist, weil sie eine andere Hautfarbe hat." Schon wenige Sätze später allerdings relativierte van Baarda das Ergebnis der Studie wieder, indem er das eindeutig rassistische Menschenbild Steiners mit der Schlußfolgerung zu beschönigen versuchte, daß "es bei Steiner eine Zukunftsvision ohne Rasse, Volk und Nation" gebe, und er "daher kein Rassist war, aber diskriminierte".

Da verwundert es kaum, daß die tatsächlichen Auswirkungen der Studie auf die anthroposophischen Lehren und den Unterricht an den Waldorfschulen kaum signifikant sind. Die Kommission empfiehlt lediglich, bei einer Neuauflage von Steiners Werk dieses mit kritischen Anmerkungen zu versehen.

Trotz aller nach außen zur Schau gestellten "kritischen Auseinandersetzungen" versäumten es nicht nur die niederländische Kommission, sondern auch führende Repräsentanten der deutschen Anthroposophen, Steiners Welt- und Menschenlehre - die er im Rekurs auf die "Wurzelrassenlehre" der Theosophie konzipierte - kritisch zu reflektieren. In dem Standardwerk der Anthroposophie, der sogenannten "Akasha-Chronik", spricht Steiner u.a. von "Rassen und Rassencharakteren" und fabuliert von niedergehenden schwarzen und höhersteigenden weißen "Rassen". Auch Steiners Zukunftsvisionen hat die Kommission eher wohlwollend als "nicht rassistisch" interpretiert: Zwar prognostiziere Steiner für die "siebte nachatlantische Kulturperiode" das Verschwinden der "Rassen".

Nach Steiner herrscht aber zur Zeit die "fünfte nachatlantische Kulturperiode", in der die "germanischen Völker" die Weltgeschicke bis zum Jahr 3537 bestimmen werden ... Deutsche Anthroposophen gehören dann auch folgerichtig zu den hartnäckigsten Verteidigern von Steiners Menschenbild. Detlef Hardorp, bildungspolitischer Sprecher der Waldorfschulen in Berlin-Brandenburg, und Justus Wittich, Mitglied des Arbeitskollegiums der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, beispielsweise betonen permanent die vermeintlich historische Intention der "Wurzelrassenlehre".

Kritischere Geister unter den Anthroposophen üben sich derweil in der Suche nach Ausreden und Entschuldigungen: Schon 1993 erklärte Thomas Höfer, Redakteur der anthroposophischen Zeitschrift Flensburger Hefte: "Beinahe jedes Wort, das Steiner sprach, (wurde) aufgezeichnet und überliefert, ohne daß der Urheber es jemals wieder zu Gesicht bekam." Auch Wittich reagierte mit dem Argument, es handele sich bei den in der Studie wiedergegebenen Rassismen "einfach um mitstenographierte Aussagen". Daß derartige Aussagen, die weit über 300 Bände unter dem Etikett Rudolf Steiner in Frage stellen, fällt Wittich und Höfer offenbar nicht auf. Anthroposophische Wege sind eben unergründlich und Steiner doch kein Rassist, wie die Anthroposophie in den Niederlanden und Deutschland einhellig resümiert.