Rätselraten um den Mord an Hamas-Bombenbauer Sharif

Viele Motive

Einig sind sich die israelische Regierung, die palästinensische Autonomiebehörde und die islamistische Hamas nur darüber, daß Muchieddin Sharif tot ist.

Wesentlich mehr Klarheit herrscht auch nach der Veröffentlichung des Untersuchungsergebnisses über den Tod des Hamas-Bombenbauers nicht. Der letzte Woche von der Autonomiebehörde veröffentlichte Bericht besagt, die Mörder seien eindeutig bei der Hamas zu suchen. Als Beleg dafür, daß es sich um interne Machtkämpfe handelt, wurden sofort fünf Hamas-Aktivisten festgenommen.

Die Hamas bestreitet ihre Urheberschaft, und doch zeigt ihre gespaltene Reaktion, daß der Vorwurf so ganz falsch nicht sein kann. Am vergangenen Donnerstag berichtete die Jerusalem Post, mehrere prominente Aktivisten der Hamas hätten ungeachtet des Untersuchungsergebnisses zu Vergeltungsaktionen gegen jüdische Israelis aufgerufen, da hinter dem Anschlag auf Sharif die israelischen Behörden steckten - entweder der Auslandsgeheimdienst Mossad oder der Inlandsgeheimdienst Shin Beth. Andere Hamas-Quellen behaupten hingegen, Mitarbeiter von Arafats Autonomiebehörde hätten den Anschlag ausgeführt.

Der 32jährige Sharif war Nachfolger des im Januar 1996 von Shin Beth getöteten früheren Hamas-"Chefingenieurs" Jichieh Ayyash. In der letzten Zeit vor seinem Tod soll es zu Hamas-internen Auseinandersetzungen darüber gekommen sein, ob Sharifs Politik der gezielten Terroranschläge gegen die israelische Zivilbevölkerung noch eine sinnvolle Strategie sei. Das macht die Theorie der Autonomiebehörde glaubwürdig.

Dagegen sprechen nur kleinere Indizien. Beispielsweise die bemerkenswert schnelle Verhaftung von fünf Aktivisten, der sogleich das Geständnis eines Verdächtigen gefolgt sein soll - ohne, daß es dabei besonders konkret zuging.

Mordmotive haben auch Arafats Behörde und die zwei israelischen Geheimdienste. Den Chefingenieur umzubringen, könnte Arafat bei der Durchsetzung seiner politischen Strategie zur Fortsetzung des Friedensprozesses zumindest Zeitvorteile bringen. Darüber hinaus könnte es, falls sich die Hamas als gespalten darstellt, eine für die Autonomiebehörde günstige Entsolidarisierung großer Teile der Bevölkerung in der Westbank mit der Hamas geben.

Das Motiv des Shin Beth wäre die Störung und Schwächung der militärischen Infrastruktur des militantesten Gegners Israels. Der Mossad hingegen hat, nachdem sein bisheriger Chef Danny Yatom wegen etlicher Pannen abdanken mußte, lange nach einem Nachfolger gesucht. Auch hier könnten interne Auseinandersetzungen eine Rolle spielen, indem die eine oder andere Fraktion durch Aktionen Tatsachen zu schaffen versucht. Der neue Chef wurde erst in der letzten Woche eingesetzt. Er heißt Ephraim Halevy und gilt, obwohl er zuletzt im diplomatischen Dienst war, als Mann des Dienstes. Ihm werden gute Kontakte zur jordanischen Regierung und zum dortigen Königshaus nachgesagt.

So herrscht wieder Normalität: Der militärische Flügel der Hamas hat einen wichtigen Kopf verloren, der Mossad steht wieder mit einer intakten Führung da, und die Palästinensische Autonomiebehörde hat - unabhängig davon, was von ihrem Untersuchungsergebnis kriminologisch zu halten ist - doch ihren Willen zum Friedensprozeß dokumentiert.