Haider und die Haiderl

Virtuelle Koalition

Was in Frankreich zur Spaltung von Parteien führt, verläuft in Österreich als Integrationsprozeß. Noch vor zweieinhalb Jahren, als die ÖVP offen ließ, ob sie mit Haider koalieren würde, folgte mancher Protest: Konservative Professoren und andere ehrenwerte Herren distanzierten sich öffentlich und empfahlen, die SPÖ zu wählen; und Vranitzky war der Garant für eine Regierung ohne Haider. Inzwischen hat sich vieles geändert, nicht nur der Name des sozialdemokratischen Bundeskanzlers. Anders als die Rechtsextremen in anderen Ländern wird Haider zunehmend in die österreichische Demokratie integriert. Und die Symbiose zwischen Klestil und Haider vor der kommenden Bundespräsidentenwahl ist dafür der bisher deutlichste Ausdruck.

Haider könnte - Nietzsche paraphrasierend - von sich sagen: "Abgesehen davon, daß ich ein Rechtsextremer bin, bin ich zugleich sein Gegenteil: ein Demokrat." Tatsächlich präsentiert sich Haider als Politiker des anything goes. Seine nationale Politik ist flexibilisiert, er spielt mit den Elementen von Rassismus und Antirassismus, Philo- und Antisemitismus. So bezeichnet er einmal seine Bewegung als die PLO von Österreich, ein anderes Mal sieht er sich und seine Parteigenossen "als die Juden von heute" - je nachdem, in welchem Licht er sie gerade erscheinen lassen will.

Als ideeller Gesamtdemokrat stützt er sich auf Cohn-Bendit ("Das Subjekt einer Demokratie sind die Bürgerinnen und Bürger. Allein sie und ihre Institutionen können entscheiden, in welchem Umfang die Bundesrepublik Einwanderungsland sein soll") ebenso wie auf Klaus von Dohnanyi ("Nicht der Nationalismus ist in erster Linie schuld am Ausbruch gewalttätiger Nationalitätenkonflikte, sondern seine Unterdrücker") und sagt: "Der einzige Unterschied zwischen Tony Blair und mir ist der Name."

Mit besonderer Vorliebe greift Haider zum Vokabular der "Globalisierungsfalle", wettert gegen den "Turbo-Kapitalismus", kritisiert ganz im Sinne der Autoren des Bestsellers - die ihr Buch doch gegen Haider geschrieben haben wollen - die Globalisierung und verteidigt den "europäischen Sozialstaat mit seinen kulturellen und sozialen Besonderheiten" gegen die "weltweite offene Wanderungsbewegung von Menschen, Gütern, Geld und Armut".

Mit seiner ausgetüftelten politischen Software, die einmal ein liberales und deutsch-nationales Programm, dann ein österreich-nationales und christlich-soziales, schließlich ein arbeiterbewegtes und antikapitalistisches aktiviert, und durch eine raffinierte Vernetzung per Massenmedien geht Haider weit hinaus über den Tele-Faschismus, wie ihn Berlusconi in Italien mit den eigenen Medien inszenierte (von Stammtisch-Strategen wie Schönhuber und Le Pen ganz zu schweigen). Vor dem Hintergrund von Haiders Informationsfluß, der sich aus einer Vielzahl unabhängiger Quellen speist, erscheint Berlusconi als bloß modernisierter Hugenberg. Anders auch als bei dem Bankrotteur der Forza Italia kennzeichnet es Haider, höchstens auf regionaler, keinesfalls aber nationaler Ebene die "Macht zu ergreifen" -, so daß er in bezug auf den Nationalstaat seit langer Zeit schon die "reine Unschuld" spielen und als solche die "Schuldigen" verfolgen kann. Jene also, die sich auf Regierungsebene immer wieder als korrumpierbar, erfolglos oder fremdbestimmt erweisen. Gerade diese jungfräuliche nationale Attitüde läßt ihn bereits jetzt als Prototyp eines neuen Nationalismus im Europa nach der Währungsunion erscheinen.

Haiders anything goes kann für die "Ausländerfrage" mit "nichts geht mehr" übersetzt werden. Wie weit er darin mit der Mehrheit bereits übereinstimmt, zeigen entsprechende Umfragen. Im deutlichen Kontrast zur Kreisky-Ära erklärte 1996 mehr als die Hälfte der Befragten, sie seien "sehr stolz", weitere 40 Prozent, sie seien "stolz", Österreicher zu sein. Das ist europäischer Nationalismus-Rekord. Linke Historiker und Gegner Haiders in der Tradition des österreichpatriotischen Antifaschismus sind über solche Ergebnisse beglückt und sehen so den gefürchteten Deutschnationalismus gebannt - statt sie als Substrat von Haiders Erfolgen zu begreifen. Der hochprozentige Nationalstolz zeigte sich von seiner anderen Seite bei der gesamteuropäischen Rassismus-Umfrage vom letzten Jahr: 14 Prozent der Österreicher bezeichnen sich demnach als "sehr rassistisch"; 42 Prozent als "eher rassistisch"; macht insgesamt 56 Prozent - dies entspricht etwa jenem Anteil der "sehr stolzen" Österreicher.

"Österreich", sagt Klestil, "ist ein Land der Gastfreundschaft, aber kein Trampelpfad für überflüssigen Durchzugsverkehr und kein Auffanglager für alle Hoffnungslosen dieses Kontinents." Und wirklich: Die Chancen dieses Mannes, den sich ÖVP, SPÖ und FPÖ in einer Art virtueller Koalition als Kandidaten teilen, liegen kurz vor der Wahl bei 54 Prozent (einige Rassisten werden auch eine Nestroyfigur namens Lugner wählen, die besser "Haiderl" heißen sollte; die übrigen Gegenkandidatinnen sind mehr oder weniger als Haider-Gegner ausgewiesen).

Die rassistische Gewalt, die in Deutschland auf den Straßen und im Alltag wütet, nimmt hierzulande oft seltsam vermittelte Formen an (die alte bürokratisch-josephinische Tradition): ein einzelner Rassist etwa, der so anonym bleiben möchte wie in der Wahlkabine, bastelt daheim an seiner ganz persönlichen Stimmabgabe und verschickt (vielleicht zusammen mit Freunden) ab und zu Bomben an Menschen, die seiner Meinung nach zu wenig deutsch oder österreichisch oder bajuwarisch sind; die Masse der Unentschlossenen aber wählt Haider oder - noch diskreter - den von ihm übernommenen Bundespräsidenten. Es steht zu befürchten, daß es beim Näherrücken der beiden Länder durch die Währungsunion zu einem - wie man heute so gerne sagt - Synergieeffekt dieser verschiedenen Formen der Mitbestimmung kommen wird. Man kennt diesen Effekt aus der Geschichte der beiden Länder.