Bastion Vladimir

Der König ist tot, es lebe der König. Seit sein Widersacher, Staatspräsident Michal Kovac, zurückgetreten ist, regiert Premier Vladimir Meciar die Slowakei beinahe unumschränkt

Leider wieder nicht. Am vergangenen Sonntag haben die Slowaken erneut eine Gelegenheit zum Urnengang verpaßt. Als eine seiner letzten Amtshandlungen hatte der Anfang März zurückgetretene slowakische Staatspräsident Michal Kovac für den 19. April ein Referendum über die Direktwahl des Präsidenten angesetzt. Doch sein Rivale, Regierungschef Vladimir Meciar, sagte, nachdem er die präsidialen Vollmachten übernommen hatte, das Referendum wieder ab.

Nicht ohne Grund. Die slowakische Verfassung ermöglicht dem Regierungschef einen passablen Karrieresprung: Wenn kein Präsident vorhanden ist, werden die meisten präsidialen Vollmachten auf den Premier übertragen. So verhindert Meciar seit Wochen die Neuwahl eines Präsidenten durch das Parlament, die der Konzentration staatlicher Macht in dem Ein-Mann-Unternehmen Meciar gefährlich werden könnte. Seine Tricks, dabei auch noch Demokratie vorzutäuschen, sind vielfältig.

Dazu gehört sein seelenruhiger Umgang mit den seit Wochen stärker werdenden Protesten der slowakischen Bevölkerung: Jedem anderen von seinen Untertanen derart beflegelten Potentaten wäre vor knapp vier Wochen bei einer Großdemonstration seiner Gegner im Zentrum Bratislavas die Zornesröte ins Gesicht gestiegen. Doch bei Meciar schien es beinahe, als freute er sich. Immerhin 40 000 Menschen brachte das aus sieben Oppositionsparteien gebildete Bündnis Slowakische Demokratische Koalition (SDK) auf die Straße, um gegen das zunehmend autokratischer werdende Regime Meciars anzugehen. Unverhohlen bezeichneten ihn die Demonstranten als "Diktator" und forderten, den Premier ins Gefängnis zu stecken, um ihn dort verrotten zu lassen. Meciar aber erwiderte lächelnd, daß die Demonstration nur zeige, wie entwickelt die Demokratie in der Slowakei sei.

Die Meciar-Gegner sind da naturgemäß anderer Meinung. Sie befürchten eine Verlängerung seines Machtspiels auf unbestimmte Zeit. Die parlamentarische Opposition befürchtet gar, daß Meciar mit der geballten Kraft seiner präsidialen Vollmachten den Ausnahmezustand ausrufen und die im September anstehenden Parlamentswahlen absagen könnte. So vermutet Frantisek Gaulieder, bis November 1995 Meciars Stellvertreter in der Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS), daß Meciar "alles tun wird, um vor den Wahlen ein Klima der Gewalt zu schaffen". Schon jetzt, munkeln andere in Ungnade gefallene ehemalige Meciar-Intimfreunde, gebe es Anzeichen dafür, daß Meciar an einer Destabilisierung des Landes gelegen sei.

Doch wird Meciar sich hüten, die anstehenden Wahlen zu verhindern. Vielmehr legt der Premier in Kooperation mit Beratern und Teilen der Unterwelt Fallstricke aus, die der Opposition politisch und existentiell zum Verhängnis werden können - demokratisch legitimiert, versteht sich. Die erste Stufe dieser Strategie ist die Schaffung gesetzlicher Voraussetzungen, um die nächste Wahl - trotz historischer Umfragetiefs für seine HZDS - zu einem vollen Erfolg werden zu lassen: Gerade wird an einer Novelle des Wahlgesetzes gebastelt, die es der an sich starken SDK schwer machen wird, im Parlament genügend Mandate für einen Regierungswechsel zusammenzubringen. Auch hat keiner der Demonstranten, die den Premier beschimpften, mit Repressalien zu rechnen. Die Polizei hält sich bei solchen Anlässen auffallend zurück, die Opposition kann offensichtlich ungehindert arbeiten. Die oft strapazierte Warnung vor der Installation einer Diktatur verfehlt so bei den meisten Slowaken ihre Wirkung.

Indes bastelt sich Meciar seine eigene Slowakei. Das Staatsfernsehen STV ist fest in den Händen seiner Vertrauenspersonen. Als sich etwa am Tag des Abschieds von Präsident Kovac rund 5 000 Menschen vor dem Präsidentenpalais in Bratislava eingefunden hatten, um den anwesenden Meciar auszupfeifen, zeigte STV nur einen fröhlich den Massen zuwinkenden Premier und ein Häuflein von etwa 50 Anhängern, die ihrem Vladimir huldigten.

Die oppositionellen Medien haben formal nichts zu befürchten - ihnen wird einfach die Informationsbeschaffung in der Praxis so gut wie unmöglich gemacht. Schon lange stehen die Minister des Meciar-Kabinetts oppositionellen Journalisten nicht mehr für Interviews zur Verfügung. Einzelne, besonders kritische Medienleute werden zudem ab und an Opfer von Attentaten. Vor rund einem Monat explodierte das Auto des Journalisten Peter Toth, der für die regierungskritische Tageszeitung SME über kriminelle Verwicklungen des Meciar-Regimes berichtet hatte. Der slowakische Geheimdienst SIS dürfte bei diesem Attentat wie auch bei anderen spektakulären Kriminalfällen federführend gewesen sein. Bereits im August 1995 war es höchstwahrscheinlich der SIS, der den Sohn von Michal Kovac nach Österreich entführte. Die Aufklärung dieser Tat läßt weiter auf sich warten, da Meciar - als eine der ersten Handlungen nach der Übernahme der präsidialen Vollmachten - eine Amnestie für alle beteiligten SIS-Agenten erließ und weitere Untersuchungen per Dekret zu verhindern wußte.

Auch ökonomisch installiert der Premier ein System breiter Kontrolle. Die Privatisierung verstaatlichter Betriebe geht zwar zügig, aber unübersichtlich voran. Vor allem Meciars Günstlinge werden mit Betrieben bedacht und müssen dank großzügiger Sonderregelungen auch nicht mit allzu großen finanziellen Opfern bei der Übernahme eines Betriebes rechnen. So erstand die Frau eines HZDS-Abgeordneten eine Lokomotiv-Fabrik zum Schnäppchenpreis von 55 000 Slowakischen Kronen (etwa 3 000 Mark).

Meciar versteht es zudem, Angriffe auf seine Person immer als Angriffe auf die Slowakei zu dramatisieren. Weil der Langzeit-Premier von vielen Untertanen als Garant staatlicher Unabhängigkeit gesehen wird, fällt es Meciar leicht, dieser Rolle gerecht zu werden. Wenn der Europarat mal wieder die "demokratiepolitischen Defizite" des Landes beklagt und die Slowakei aus dem Club der EU-Beitrittskandidaten verweist, verbrämt Meciar das als Triumph: So sei die Slowakei wenigstens nicht gezwungen, sich dem "Diktat des Westens" zu beugen.

Auch sein Umgang mit der 600 000 Menschen zählenden ungarischen Minderheit als Sündenbock schweißt die Nation zu seinen Gunsten zusammen. Am letzten Sonntag etwa widersetzten sich die Einwohner der vorwiegend ungarisch besiedelten Stadt Sturovo Meciars Anordnung, das Referendum nicht stattfinden zu lassen. Sie schritten zur Wahlurne und stimmten für die Direktwahl. Die Hauspostille Meciars, Slovenska Republika, forderte daraufhin, Armee und Polizei gegen die Aufmüpfigen einzusetzen, um die Anzeichen einer Sezession im Keim zu ersticken. Das ist zwar reichlich konstruiert, doch kann so erneut die Gegnerschaft zu Meciar als Angriff auf die Slowakei inszeniert werden.

Die Angriffsfläche, derer sich Kritiker bedienen könnten, wird so recht klein. Mehr als Tendenzen und kleine Ungereimtheiten sind dem Premier nicht anzuhängen. Indes wird die Bastion Vladimir weiter ausgebaut. Weil in der Hauptstadt Bratislava die Opposition den Bürgermeister stellt, gibt es seit Mai 1996 einen Regierungsbeschluß, den bescheiden hauptstädtischen Flair Bratislavas entschlummern zu lassen und die mittelslowakische Stadt Banska Bystrica zur neuen Metropole zu machen. Gilt sie den Slowaken doch als "Wiege slowakischer Identität" - und schließlich wuchs dort der Premier auf.