Gute Geschäfte in Luanda

In Angola ist der Frieden trotz einer "Regierung der nationalen Einheit" längst nicht sicher

Nach mehr als 37 Jahren Krieg erlebt Angola nun einen "nicht wieder rückgängig zu machenden Frieden". Oder auch nicht. Seit dem 1. April ist es laut einem Abkommen zwischen der Regierung, der Nationalen Union für die volle Unabhängigkeit Angolas (Unita) sowie der Uno-Beobachtertruppe MONUA und den "Garantiemächten" USA, Rußland und Portugal mit den Kämpfen vorbei. Der Friedensvertrag, eigentlich ein alter Hut, war bereits am 20. November 1994 unterzeichnet worden. Doch erst am 6. März dieses Jahres einigten sich die Vertragsparteien auf einen Zeitplan zu dessen Umsetzung.

Am Abend des 31. März allerdings waren vier von den zwölf zuletzt vereinbarten Punkten noch nicht erfüllt. Einer davon war der Umzug der Unita-Führung in die Hauptstadt Luanda. Für mehr als eine Million Mark war zuvor der vorgesehene Sitz der Unita renoviert worden, und das "Telejornal", die abendliche Nachrichtensendung des angolanischen Fernsehens, berichtete am 31. März live aus dem noch leeren Haus. Denn so sicher fühlt die Gruppe sich in der Hauptstadt noch lange nicht. Am 1. April zog zwar Unita-Vizepräsident Ant-nio Sebasti‹o Dembo mit einer großen Delegation in das Gebäude ein. Jonas Savimbi allerdings, der Chef höchst selbst, hält sich weiterhin in Bailundo oder Andulo, den kleinen Unita-"Hauptstädten" im zentralen Hochland, auf. Dembo gab sich dennoch zuversichtlich; er war es auch, der auf einer Pressekonferenz am 9. April von dem "nicht wieder rückgängig zu machenden Frieden" sprach.

Die Regierung indes veröffentlichte wenige Tage vorher eine 17-Punkte-Erklärung, die der Unita vorwarf, neue Soldaten zu rekrutieren und zu bewaffnen sowie weiterhin Ausbildungslager im Lande zu unterhalten, Truppen und Waffen zu bewegen und Flugpisten zu erneuern. Die Nachrichten über die Lage im Land sind - wie immer - widersprüchlich. Es gibt bewaffnete Überfälle auf Dörfer oder Fahrzeuge. Meistens bleibt aber unklar, wer dafür verantwortlich ist. "Banditen" ist nun häufig die Bezeichnung für kleine bewaffnete Einheiten. Zur Bekämpfung solcher "Banditen" will die Regierungsarmee laut dem alle zwei Wochen in Luanda erscheinenden fotokopierten Blatt Actual in der östlichen Provinz Moxico ihre aus 2 000 - von südafrikanischen "Beratern" ausgebildeten - Männern bestehende "Leoparden-Brigade" einsetzen. Der verantwortliche Sicherheitsoffizier der MONUA berichtete, in der diamantenreichen Provinz Lunda Norte - bis zur Wiedereinführung der Staatsverwaltung infolge des Abkommens von Lusaka fast vollständig unter Unita-Kontrolle - hätten Regierungstruppen die Zivilbevölkerung in neue Flüchtlingslager getrieben, weil die Dörfer in Zonen liegen, in denen große Unternehmen nach Diamanten suchen wollen. Träfen die Unternehmen in diesen Zonen die Bevölkerung noch an, müßten sie sie friedlich umsiedeln, neue Dörfer für sie bauen lassen und "Sozialpläne" erstellen.

Dabei ist die Unita selbst seit rund einem Jahr an der Regierung beteiligt. Zuvor nur aus der - bis 1992 einzig zugelassenen Partei - MLPA bestehend, gibt es seit dem 11. April 1997 eine Regierung der Nationalen Einheit und Versöhnung. Von 28 Ministern und Ministerinnen gehören vier der Unita an. Ebenfalls seit etwa einem Jahr haben die 1992 gewählten 70 Abgeordneten der Unita ihren Platz im Parlament eingenommen. Die Niederlage der Unita bei den Wahlen 1992 hatte die Führung der Organisation veranlaßt, den Krieg wieder zu beginnen.

Unita wird meist falsch, nämlich italienisch, betont und heißt eigentlich "Einheit". Viele Italiener sehen es nicht gerade gerne, wenn der Name des Zentralorgans der früheren Kommunistischen Partei Italiens in die Nähe dieser angolanischen Organisation gerückt wird. Dabei hat die Führung der Unita in den vergangenen Jahrzehnten ihre eigene Position zu kommunistischen Parteien gelegentlich geändert. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre unterstützte so die Volksrepublik China die Unita. Damit wollte die chinesische Führung während des Kolonialkrieges in Angola gleichzeitig die europäischen Kolonialherren und die MPLA bekämpfen. Diese galt schließlich als revisionistisch. Und als Feind des Feindes galt die Unita als Freund und ließ sich die Unterstützung gerne gefallen. Wenige Jahre später verbündete sie sich dann aber mit Südafrikas Apartheid-Regime und den USA, von denen materiell mehr zu erwarten war als von Chinas Kommunisten.

Als die Volksbewegung für die Befreiung Angolas (MPLA) 1956 als Zusammenschluß von angolanischer KP, Mestizenbevölkerung und den Lohnarbeitern der Kaffeeplantagen gegründet wurde, zelebrierte die KPdSU gerade ihren 20. Parteitag. Fünf Jahre später - am 4. Februar 1961 - begann in Angolas Hauptstadt Luanda mit einer spektakulären Gefangenen-Befreiung der bewaffnete Kampf gegen die portugiesischen Kolonialherren. MPLA und die Nationale Befreiungsfront Angolas (FNLA), eine ihrem Ursprung nach separatistische Bewegung aus dem Norden Angolas, die später auch den Anspruch erhob, für die Befreiung des ganzen Landes zu kämpfen, streiten sich bis heute darum, wer für jene Aktion letztlich verantwortlich war.

In Europa gab es damals nur wenige, die die Situation in Angola oder anderen afrikanischen Ländern genauer betrachteten. Die Nato jedenfalls stand fest zu ihrem Mitgliedsland Portugal. Zu den treuesten Verbündeten des dortigen Salazar- und später Caetano-Regimes und dessen blutrünstiger Kolonialpolitik gehörte die Bundesrepublik. Daran erinnern sich heutige Vertreter der BRD in Luanda nur selten und vor allem nur ungern. Das haben sie gemeinsam mit ihren Kollegen aus anderen Ländern, die ihren Teil zur Zerstörung dieses an Ressourcen so reichen Landes beigetragen haben. Meist begnügt man sich damit, Appelle zum Wiederaufbau an Bevölkerung, Hilfsorganisationen und Privatunternehmen zu richten.

Weil jene Intellektuellen, die die Befreiungsbewegungen in Angola, Mo ç ambique und Guinea-Bissau initiiert hatten, den Nato-Staaten kurzerhand als Terroristen galten, wandten sie sich den Staaten des sogenannten real-existierenden Sozialismus zu. In erster Linie benötigten diese Organisationen damals eine Ausbildung ihrer Mitglieder. Es gehörte zur portugiesischen Kolonialpolitik, daß den Afrikanern der Zugang zu einer Ausbildung, die über den Grundschulunterricht einiger Missionare hinausging (und selbst diesen erhielten nur wenige), so schwer wie möglich gemacht wurde. Die Befreiungsbewegungen mußten auf diesem Gebiet also viel nachholen. Möglichkeiten dazu boten sich in der Sowjetunion, der DDR, Ungarn, Jugoslawien usw. Dort aber erlernten die jungen Streiter - und wenig Streiterinnen - für die Unabhängigkeit Angolas außer einem durchaus oft nützlichen Beruf meist den leninistischen Parteiaufbau und alles, was von oben nach unten daraus folgte. So ähnelt die einzige Tageszeitung in Angola, das einstige Zentralorgan der MPLA Jornal de Angola, noch heute dem Neuen Deutschland zu den machtvollsten Zeiten der SED.

Zur Zeit des Staatsstreichs am 25. April 1974 in Portugal durchlebte die MPLA ihre wohl schwächste Phase. Die Organisation war in drei einander bekämpfende Flügel zerfallen. MPLA-Mitglieder im Exil diskutierten damals, ob es unter diesen Umständen nicht vorzuziehen sei, die erste Regierung eines angolanischen Staates den FNLA und Unita zu überlassen, um diese nach der eigenen Konsolidierung weiter zu bekämpfen. Der Druck von Nato, Ostblock und China zwang MPLA, FNLA und Unita Anfang 1975 an den Verhandlungstisch im portugiesischen Alvor, wo ein Abkommen über die Einheit abgeschlossen wurde. In Angola wurde indes weiter gekämpft. Die FNLA drang teilweise bis in die Vorstädte Luandas vor. Derweil verbündete sich die Unita mit dem südafrikanischen Apartheids-Regime, dessen Truppen schon in Benguela standen, während der MPLA-Vorsitzende, der Arzt und Dichter Agostinho Neto, am 11. November 1975 unter dem Schutz erster kubanischer Militäreinheiten das Land für unabhängig erklärte.

Fidel Castros Truppen verließen 1988 Angola wieder. Und erstaunlich schnell haben sich die führenden Personen der MPLA, die sich auf ihrem dritten Kongreß kurz nach der Unabhängigkeit als "marxistisch-leninistisch" bezeichneten, in geschickte Nutznießer einer Art von freier Marktwirtschaft verwandelt. Händler und Investoren aus verschiedenen Staaten loben mittlerweile Angola als eines der Länder, in denen die besten Geschäfte zu erzielen sind, die eine kleine Gruppe unter sich abmacht. Weniger gut kommen hingegen Tausende von Menschen an den manchmal eher Kaufhausabteilungen ähnelnden Straßenkreuzungen von Luanda weg, seit Anfang März der Polizeipräsident bekanntgab, seine Untergebenen würden keine Razzien gegen Straßenhändler mehr durchführen. Schließlich ist die angolanische Gesellschaft mittlerweile deutlich gespalten in eine kleine reiche und eine große überwiegend extrem arme Bevölkerungsschicht, die so gut wie gar nichts miteinander zu tun haben. Während sich die Führungscliquen der Reichen um die Kontrolle von Öl und Diamanten im Lande streiten, kämpfen die Armen Haß, Mißtrauen und Angst untereinander aus. Die extreme Armut, die zweithöchste Kindersterblichkeit der Erde - eher vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, daß 200 von 1 000 Kindern in den ersten fünf Lebensjahren sterben -, die alltägliche Bedrohung durch Millionen von Landminen, mit denen beide Seiten den Boden verseucht haben, tragen ihr übriges dazu bei.