Gerhard Schröder über Gerhard Schröder

»Sie nannten mich: Acker«

Das Wahlkampffieber steigt, doch es dauert nicht mehr lange, dann kommt ein anderer Kampf, der um die Fußballweltmeisterschaft in Frankreich. Und dann fiebern natürlich die meisten Menschen mit unserer Mannschaft. In den vier Wochen, da bin ich mir ziemlich sicher, steht sogar der Bundestagswahlkampf im Schatten von König Fußball. Politik wird für kurze Zeit nicht viel mehr sein als die schönste Nebensache der Welt. Ich bin gespannt auf die WM und ob die deutsche Mannschaft ihrer Favoritenrolle gerecht wird, sich wieder als die typische Turniermannschaft zeigt. Daß die Spieler alles geben werden, weiß jeder, der selbst einmal Fußball gespielt hat. Ich weiß, wovon ich rede. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich meine Karriere als Mittelstürmer beim Fußballverein in meinem Heimatdorf begann, beim TuS Talle. Das ist lange her, zugegeben, und das höchste der Gefühle war in meinem Fall die Bezirksklasse. Aber es ging trotzdem oder gerade deswegen ganz schön zur Sache. Auch wir wollten natürlich jedes Spiel gewinnen.

Sie nannten mich "Acker", weil ich mich immer voll reingehängt habe, und ich gebe zu, ich war schon ein bißchen stolz auf den Spitznamen. "Über den Kampf zum Spiel finden", war meine Devise. Auch wenn es an der Technik vielleicht ein bißchen gehapert hat: Meine Tore habe ich immer geschossen. Trotzdem haben sie mich nicht in irgendwelche Auswahlmannschaften berufen. Das war nicht fair, fand ich, aber sie meinten, ein anderer aus unserem Dorf, der angeblich technisch besser war, sei der Richtige. So weit ich weiß, ist auch er kein Fußballprofi geworden.

Später, als junger Anwalt, kickte ich noch manchmal in Juristenmannschaften mit. Bis zu meinem letzten Auftritt als Fußballspieler. Der liegt mittlerweile zwanzig Jahre zurück. Wir gewannen 7:2, und ich habe fünf Tore geschossen. Fünf von sieben Toren in einem Spiel, ich weiß nicht, wieviele Fußballspieler das jemals geschafft haben. Und ich wußte in dem Moment: Das war's. Zwar werde ich noch heute manchmal gebeten mitzumachen, aber ich sage jedesmal nein. Weil ich ja nie wieder fünf Tore in einem Spiel schießen kann. Das werde ich auf dem Fußballfeld nicht noch mal schaffen. Also bleibt es bei diesem letzten Auftritt. Damit die Legende lebt. Man muß rechtzeitig abtreten. Das habe ich - als Fußballspieler wohlgemerkt - getan.

Und jetzt freue ich mich wie viele andere Menschen auf die WM. Sooft es mein Terminplan zuläßt, werde ich mir natürlich die hoffentlich schönen und spannenden Spiele anschauen. Freilich aus der Distanz, denn der Wahlkampf geht trotzdem weiter. Und wir werden gewinnen.

Wir dokumentieren diesen Beitrag von Gerhard Schröder aus Aufbruch. Die Zeitung der SPD zur Bundestagswahl, April 1998