Arbeit als Chiffre für Antisemitismus

Die DVU spielt die soziale Karte und imitiert das erfolgreiche Vorbild der NSDAP.

Sachsen-Anhalt markiert eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik: Noch nie hat eine so unverhohlen faschistische Partei bei Landtagswahlen ein solches Ergebnis erzielt - das damals ähnlich traumatische Resultat der DVU 1992 in Schleswig-Holstein wurde glatt verdoppelt. Das Erschreckendste war jedoch das business as usual hinterher: Müntefering bagatellisierte das rechte Erdbeben zu einem "Nebenereignis", Fischer geißelte sich wie üblich wegen des Benzinpreis-Beschlusses, Hintze lief erst bei der x-ten Auflage der Rote Socken-Kampagne zu Hochform auf. "Bleiben Sie entspannt", rief er dem PDS-Mann zu.

Bei allem kleinlichen Gezänk waren sich die Parteien aber an einem Punkt bemerkenswert einig: Der Wahlerfolg der DVU sei ein unmittelbares Ergebnis der wirtschaftlichen Krise, insbesondere der Arbeitslosigkeit. Die DVU-Stimmen kämen "nicht nur von Rechtsradikalen, sondern auch von Protestwählern", faßte Ministerpräsident Reinhard Höppner die allgemeine Einschätzung zusammen. Dies deckt sich mit der Selbsteinschätzung der DVU. Parteisprecher Bernhard Dröse weist auf eine inhaltliche Neuakzentuierung hin: "Die traditionelle Rechte hat die soziale Frage lange vernachlässigt. Aber bei uns hat sich das in den letzten zwei Jahren auf Druck von der Basis geändert."

Der Unterschied ist in der Tat auffällig: Rangierten im Parteiprogramm von Anfang der neunziger Jahre die "Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" und soziale Belange nur unter Ferner-liefen, so liest sich die aktuelle Wahlpropaganda über weite Strecken wie ein PDS-Abklatsch. Kostprobe: "Wenn die Bosse nicht investieren, muß der Staat Geld geben, damit Arbeitsplätze geschaffen werden!" Auch das Feindbild hat man modifiziert: "Korrupte Politiker", "Diätenfresser" und "EU-Bonzen" standen für die DVU im aktuellen Wahlkampf auf gleicher Stufe wie "Asylbetrüger". Passend zur Sozialdemagogie führte die DVU ihren Hauptstoß, ganz wie die Linke, gegen Kohl: Er sei "der Hauptschuldige am galoppierenden Zusammenbruch unserer Wirtschaft", trommelte DVU-Chef Gerhard Frey.

Dagegen wurde die PDS in der DVU-Propaganda fast vollständig ignoriert, SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder sogar ausdrücklich gelobt. Zu seinen Gunsten hatte die DVU bei der Niedersachsen-Wahl am 1. März auf eine Beteiligung verzichtet.

Bei alldem darf man nicht vergessen, daß die Nazi-Inhalte nicht aus dem DVU-Programm verschwunden sind, sondern lediglich eine Rochade durchgeführt wurde: Der Rassismus, früher das Haupt-Ziel der rechten Propaganda, ist heute das Haupt-Mittel. Genügte sich der Slogan "Ausländer raus" früher selbst, so fungiert er heute als Rezeptur gegen die Wirtschaftskrise: "Arbeitsplätze für Deutsche zuerst!" Ähnlich verhält es sich mit dem Antisemitismus: Zwar wird Kohl - siehe oben - von der DVU als Hauptgegner bekämpft, aber als eigentlicher Drahtzieher, an dessen Strippen auch der Kanzler hängt, immer penetranter Ignatz Bubis vorgeführt. Das DVU-Organ Deutsche Nationalzeitung, mit knapp 100 000 Exemplaren Auflage die drittgrößte Wochenzeitung in der Bundesrepublik, widmete diesem Topos in den Wochen vor der Wahl fast in jeder Ausgabe eine Schlagzeile: "Was Bubis aus Deutschland machen will", lockte die Titelseite vom 13. März, "So mächtig ist Bubis", hieß es am 3. April, "Die zentrale Rolle des jüdischen Chefs" am 17. April. Der Verfassungsschutz faßt zusammen: "In einer dichten Abfolge von Schlagzeilen und Artikeln werden mit subjektiven Methoden antisemitisch gefärbte Botschaften verbreitet. Breiten Raum nimmt der Versuch ein, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren."

Während die Frage, warum ein solches Hetzblatt in Deutschland legal erscheinen kann, sich keinem einzigen der zahllosen Wahlkommentatoren stellte, wurde die These von der sozialen Kälte und dem Lehrstellenmangel als Gründe für den DVU-Erfolg beinahe gebetsmühlenartig wiederholt. Warum aber sind dann drei Viertel der braunen Wähler Männer, obwohl doch die Wirtschaftskrise Frauen weit stärker trifft? Einzig die Freiburger Forschungsgruppe Wahlen hat dieses Faktum näher untersucht und eine einleuchtende Erklärung geben können: Die Stimmabgabe für Rechts sei kein "Sozialprotest", sondern ein "Rollback der Kleinbürger". "Die Analyse zeigt, daß rechtsextremistische Wähler schon früh Verhaltensunsicherheiten, Berufsunsicherheit, auch Statusprobleme im Hinblick auf Familie und Lebensentwurf zeigen. Und dann kommen Auslöser sozioökonomischer Art hinzu", schreiben die Sozialforscher. Nota bene: Die Ökonomie fungiert als Auslöser, nicht als Grund.

Das Problem ist demnach der Hosenscheißer, der den starken Max markiert - und seine fehlende Ich-Stärke nur durch Verschmelzung mit einem mächtigen Über-Ich in Form von Volk und Führer kompensieren kann.

Daß für den "sado-masochistischen Charakter" ( Erich Fromm) der Ruf nach Arbeit eine Chiffre des Wunsches nach Kommando und Zwang ist, haben die Nazis schon in der Weimarer Republik besser kapiert als die Demokraten. Um diese Kundschaft zu fangen, renovierte seinerzeit die NSDAP ihre Programm-Fassade: Der Antisemitismus, der in den frühen zwanziger Jahren marktschreierisch vertreten worden war, trat zu Beginn der Wirtschaftskrise zugunsten von sozialer Demagogie in den Hintergrund. Die Wahlplakate der NSDAP Anfang der dreißiger Jahren - das bekannteste ist jenes schlichte, auf dem vor den müden Gesichtern von Arbeitslosen der Schriftzug "Ihre einzige Hoffnung: Hitler" erscheint - thematisieren den Antisemitismus nicht mehr.

Mit Verweis auf diese Neuausrichtung der NSDAP-Propaganda vertreten einige Historiker die These, der Antisemitismus könne bei den Deutschen nicht so dominant gewesen sein, wie es Goldhagen behauptet. Doch sie haben Goldhagen schlecht gelesen: Er hat nachgewiesen, daß der nationalsozialistische Arbeitsbegriff selbst ein Synonym für Judenhaß war. So schreibt Hitler etwa in "Mein Kampf": "Im Hakenkreuz (sehen wir) die Mission des Kampfs für den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird." Den Juden als Verderber des ehrlichen Arbeitsmannes mußten die Nationalsozialisten gar nicht mehr explizit nennen, sondern konnten diesen Konnex bei ihrer Klientel stillschweigend voraussetzen. Die sozialdemagogische Wende, die man bei der DVU in den letzten zwei Jahren beobachten kann, ist - ebenso wie die noch viel deutlichere Entwicklung bei der NPD - eine schlichte Imitation dieses Vorbilds.