Coca-Cola-Tag in der Schule

Gefährliche Orte XXV: Der Berliner Senat fördert privates Sponsoring für Bildungseinrichtungen und macht sich damit zum Vorreiter einer bundesweiten Entwicklung nach US-Vorbild

Der 19jährige Mike Cameron wurde in der letzten Märzwoche von seiner Schule, der Greenbier High School in Evans, Texas, suspendiert, weil er ein falsches Hemd, ein, so die Schulleiterin, "zur Spaltung führendes" nämlich, in der Schule angezogen hatte. Nun geht es hier nicht um ein T-Shirt, das ein faschistisches, rassistisches oder irgendwie politisches Motto gezeigt hätte. Vielmehr handelte es sich um ein stinknormales Pepsi-Cola-Shirt. Das Fehlverhalten des Schülers erwächst einzig aus dem Umstand, daß er es am offiziellen Coca-Cola-Tag seiner Schule trug.

An diesem Tag sollte in Anwesenheit einiger Coca-Cola-Manager ein Gruppenfoto mit allen Schülern aufgenommen werden. Und als sich alle Schüler auf dem Rasen so gruppiert hatten, daß sie von oben gesehen die Buchstaben "Coke" bildeten, zog sich Cameron den Pullover, den er bis dahin zur Tarnung über dem verhängnisbringenden T-Shirt trug, über den Kopf und stand da in seinem rot-weiß-blauen Pepsi-Shirt und lieferte so den Grund für seinen Verweis. Hintergrund dieser Geschichte ist, daß Camerons Schule an einem von Coca-Cola ausgeschriebenen Wettbewerb teilnahm, bei dem es zunächst 500 US-Dollar und bei der nationalen Ausscheidung 10 000 US-Dollar zu gewinnen gibt. Inzwischen wurde, so Tom Dohrmann, Leiter der Schulbehörde des Counties, der Verweis als unangemessene Strafe eingestuft und der Eintrag aus der Schulakte gelöscht.

Während sowohl in der internationalen als auch in der deutschen Kunstszene schon lange Diskussionen über Sponsoring laufen, wird in Deutschland die private Unterstützung von Schulen und Schulprojekten merkwürdig unbeachtet gelassen. Im Gegenteil ist es so, daß Modelle des private public partnership eher bejubelt werden; nach den Interessen, die dahinterstehen, wird wenig gefragt. Wenn das Bundesbildungsministerium und die deutsche Telekom sich gemeinsam in der Initiative "Schulen ans Netz" stark machen, dann brechen Politiker wie Peter Glotz regelmäßig in Jubel aus. Auch über die zum Teil hochpolitischen und stark engagierten Projekte der Bertelsmann-Stiftung werden wenig reflektierende Worte gesprochen. "Wir in der Bertelsmann Stiftung sehen sowohl den Bedarf als auch die Möglichkeiten unseres Einsatzes im öffentlichen Bereich", so Reinhard Mohn, Vorsitzender des Vorstands, in einem Tätigkeitsbericht der Stiftung. Dabei ist klar, daß dieser Einsatz nichts mit reiner Liebe zum Menschen zu tun hat. Denn private Finanzierungen im kulturellen und im Bildungsbereich sind immer stark selektiv. Das gilt für die Bertelsmann-Stiftung genauso wie für Banken, Versicherungen, Softdrink- oder Sportschuhhersteller.

Sowohl die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (die nur Empfehlungen geben darf) als auch die Konferenz der Kultusminister der Länder (die die Beschlüsse faßt) beschäftigen sich unaufhörlich mit dem Thema "Privates Geld für staatliche Schulen". Herausgekommen ist dabei bisher herzlich wenig. Ein Grund dafür ist u.a., daß alle Entscheidungen der Kultusministerkonferenz einstimmig zu erfolgen haben. Und 16 Länder, zum Teil rot, zum Teil schwarz regiert, kriegt man eben nur schwer unter einen Hut. So sind die Beratungen dieses Gremiums nicht nur in dieser Angelegenheit äußerst zäh. Vorerst einziges Ergebnis: Im Prinzip bleibt jedes Bundesland auf sich allein gestellt und nutzt seine bildungspolitische Länderhoheit so gut es kann.

In den für die allgemeinbildenden Schulen zuständigen Ministerien quält man sich entsprechend: Auch auf dieser Ebene beschäftigen sich Politiker, Juristen und Bildungsbeauftragte mit Werbung und Sponsoring an Schulen und in anderen öffentlichen Gebäuden. In Hamburg z.B. gelten noch heute diesbezügliche Regelungen aus den Jahren 1952 und 1955.

In Berlin gilt seit Juni 1997 eine neue "Allgemeine Anweisung über Werbung, Handel, Sammlungen und politische Betätigungen in und mit Einrichtungen des Landes Berlin", die eine vergleichsweise taufrische Regelung von 1982 ersetzte. Und doch wagte die Senatorin für Schule Jugend und Sport, Ingrid Stahmer, schon im Januar dieses Jahres einen neuen Anlauf. In einer Pressemitteilung zum Thema "Werbung an Schulen" heißt es: "Werbung an Schulen findet zum Teil schon statt. Sie braucht einen legalisierten Status." Wie wahr, denn Berlin hat im bundesdeutschen Wettstreit eine Art unfreiwilliger Führungsrolle übernommen: nicht nur daß an Schulen Werbung betrieben wird, es werden auch einzelne Schulen mit Beträgen zwischen 50 000 und 70 000 Mark gesponsert. Andere Länder wollen mit derart offensiven Taktiken noch warten. Zum Beispiel darauf, wie massiv die Elternproteste in Berlin noch werden.

Der Aufbau von Medienkompetenz gilt derzeit als vornehmste Aufgabe des Bildungswesens. Diese schon jetzt fast zum Allgemeinplatz verkommene Aussage wird immer wieder gern von Politikern bemüht. Doch mit dem Begriff "Medienkompetenz" kann eben nicht nur die Fähigkeit, mit einem Computer umzugehen, gemeint sein, nicht nur das Wissen um den Umgang mit einer Suchmaschine im Internet. Schüler müssen auch lernen, daß Geld, ganz gleich von wo es kommt, immer bedeutet, daß da jetzt jemand Einfluß nimmt, der es vorher nicht konnte.

Eine staatlich finanzierte Institution wie die Schule ist zunächst einmal auch nur dem Staat verpflichtet. Wenn sie sich von privater Seite finanzielle Unterstützung holt, ist sie auch dieser verpflichtet. Und je mehr Verpflichtungen es gibt - das weiß jeder 14jährige spätestens nach seiner Konfirmation mit den dazugehörigen Geschenken -, desto fester sitzt hinterher der Maulkorb.

Diese Lektion hat Mike Cameron noch vor den Berliner Schülern lernen dürfen.